Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftliches Eigentum für § 7 b-Absetzungen trotz späterer Aufhebung des Kaufvertrags

 

Leitsatz (NV)

Eine Klage, mit der erhöhte Absetzungen nach § 7 b EStG beansprucht werden, kann auch dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn der Grundstückskaufvertrag nachträglich aufgehoben worden ist, der Kläger aber aufgrund des Kaufvertrages zunächst wirtschaftliches Eigentum erlangt hat.

 

Normenkette

FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; EStG § 7b Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) schloß am 11. August 1983 mit den Eheleuten C einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über den Erwerb eines Grundstücks, das mit einer Doppelhaushälfte bebaut war. Der Kaufgegenstand sollte ihr am 11. November 1983 zum Besitz übergeben werden, jedoch nicht vor Kaufpreiszahlung zu Händen des beurkundenden Notars. Die mit dem Kaufgegenstand verbundenen Rechte und Nutzungen, ebenso die Gefahr des Kaufgegenstandes und die darauf haftenden oder damit verbundenen öffentlichen Lasten und Abgaben sollten vom Übergabetag an auf sie übergehen. Sie sollte berechtigt sein, das Grundstück ab 1. September 1983 gegen eine Nutzungsentschädigung von monatlich 1 000 DM, die bis zur Kaufpreiszahlung zu entrichten war, zu nutzen. Zugunsten der Antragstellerin wurde im Oktober 1983 eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Die Auflassung selbst unterblieb. Da die Antragstellerin den vereinbarten Kaufpreis von 225 000 DM nicht bezahlen konnte, ermäßigten die Vertragsparteien in dem notariell beurkundeten Änderungsvertrag vom 2. März 1984 den Kaufpreis auf 190 000 DM. Er sollte dadurch erbracht werden, daß die Antragstellerin eine auf dem Grundstück lastende Grundschuld übernahm. Wie sich aus den erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Überweisungsaufträgen ergibt, hat sie den Kaufpreis von insgesamt 190 000 DM an den beurkundenden Notar in zwei Raten (am 9. März 1984 mit 183 632,36 DM und am 2. Mai 1985 mit 6 367,64 DM) bezahlt. Die Mittel dazu beschaffte sie sich durch ein Darlehen der Grundschuldgläubigerin. Die Eigentumsumschreibung auf die Antragstellerin erfolgte nicht. Vielmehr wurde das Grundstück 1986 an Dritte versteigert.

Nach dem Vortrag der Antragstellerin nutzte sie das Grundstück vom April 1983 bis Juli oder Oktober 1985 zu eigenen Wohnzwecken.

Der Beklagte (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung für die Streitjahre 1984 und 1985 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für das Grundstück zunächst die erhöhten Absetzungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) von je 8 500 DM als Werbungskosten. Nach Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerbescheide erfuhr die Veranlagungsstelle des FA durch eine Mitteilung der Bewertungsstelle, daß der Grundstückskaufvertrag nicht durchgeführt worden war. Das FA änderte darauf die Bescheide für die Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und ließ die erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG nicht mehr zum Abzug zu.

Dagegen wandte sich die Antragstellerin nach erfolglosem Vorverfahren mit ihrer Klage und beantragte gleichzeitig, ihr unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf PKH mit dem angefochtenen Beschluß mangels Erfolgsaussicht der Klage ab. Die Antragstellerin sei nicht wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks geworden und deshalb nicht zum Abzug von Absetzungen berechtigt. Sie habe den im Änderungsvertrag vom 2. März 1984 vereinbarten Kaufpreis nicht bezahlt. Denn die Grundschuldgläubigerin habe die Schuldübernahme nicht genehmigt.

Gegen die Ablehnung der PKH für das Klageverfahren wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Das FG habe verkannt, daß der Eigentümer der Antragstellerin gestattet habe, das Grundstück ab 1. September 1983 eigenständig zu nutzen, und daß sie von diesem Zeitpunkt ab sämtliche auf dem Grundstück liegenden öffentlich-rechtlichen Belastungen getragen habe. Sie habe den Kaufpreis in zwei Raten durch Banküberweisungen bezahlt. Die Grundschuldgläubigerin habe außerdem die Schuldübernahme genehmigt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG vom 29. April 1988 aufzuheben und ihr unter Beiordnung des Rechtsanwalts H PKH zu gewähren.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beschwerde ist begründet. Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist PKH auf Antrag zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint und wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für seinen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht; dabei ist eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten nicht erlaubt. Demnach ist die Rechtsverfolgung hinreichend erfolgversprechend, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Darstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526, und Beschluß des erkennenden Senats vom 9. November 1987 IX B 60/87, BFH / NV 1988, 303).

II. Im Streitfall kann der Klage bei summarischer Prüfung eine gewisse Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden, wenn von dem Sachvortrag der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ausgegangen wird, sie habe den Kaufpreis vollständig bezahlt. Ein die Erfolgsaussichten begründender Sachverhalt kann auch noch im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden (BFH-Beschluß vom 2. Oktober 1986 VII B 39/86, BFH / NV 1987, 390).

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Antragstellerin die erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG von dem Zeitpunkt an in Anspruch nehmen kann, von dem an aufgrund des Kaufvertrages das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück auf sie übergegangen ist. Nach § 7 b Abs. 1 Satz 1 EStG können die erhöhten Absetzungen erstmals in dem Jahr der Anschaffung vorgenommen werden. Anschaffungszeitpunkt ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Zeitpunkt, in dem der Erwerber das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück erlangt. Das ist bei Abschluß von Grundstückskaufverträgen der Fall, wenn der Erwerber das Grundstück als eigenes nutzt und Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten auf ihn übergegangen sind (vgl. die BFH-Urteile vom 15. März 1973 VIII R 90/70, BFHE 109, 254, BStBl II 1973, 591; vom 10. April 1973 VIII R 157/72, BFHE 109, 263, BStBl II 1973, 595; vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553 zu § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes - ZRFG -). Auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung kommt es nicht an. Die Rechtsprechung des BFH hat es außerdem nicht für erforderlich gehalten, daß der Erwerber bürgerlich-rechtlicher Eigentümer des Grundstücks wird, sondern hat es genügen lassen, wenn er wirtschaftliches Eigentum erlangt (BFH-Urteil vom 15. März 1973 VIII R 150/70, BFHE 109, 257, BStBl II 1973, 593, und Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1985 IX R 23/85, BFH / NV 1986, 406). Die Absetzungsbefugnis setzt nicht voraus, daß der Kaufvertrag formwirksam abgeschlossen und die Auflassung erklärt ist (Urteil in BFHE 109, 263, BStBl II 1973, 595). Die nachträgliche Aufhebung des Kaufvertrages führt nicht zu einem rückwirkenden Verlust der Absetzungsbefugnis. Die Gründe für die Vertragsaufhebung sind dabei unerheblich (Urteil in BFHE 109, 257, BStBl II 1973, 593 für den Ersterwerb).

2. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren durch Vorlage der Überweisungsaufträge glaubhaft gemacht, daß sie den Kaufpreis im Mai 1985 vollständig gezahlt hat. Ungeklärt ist allerdings, warum sie den Kaufpreis durch Überweisung getilgt hat, obwohl er nach dem Änderungsvertrag vom 2. März 1984 durch Schuldübernahme getilgt werden sollte. Nach § 3 des Kaufvertrages vom 11. August 1983 sollten Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten und damit das wirtschaftliche Eigentum mit der Bezahlung des Kaufpreises auf die Antragstellerin übergehen mit der Folge, daß sie spätestens in diesem Zeitpunkt wirtschaftliche Eigentümerin geworden sein könnte. Etwas anderes könnte möglicherweise gelten, wenn sie im Zeitpunkt der vollständigen Zahlung des Kaufpreises nicht mehr damit rechnen konnte, bürgerlich-rechtliche Eigentümerin zu werden, weil schon damals feststand, daß der Kaufvertrag von seiten der Verkäufer nicht erfüllt werden würde. Ist die Antragstellerin im Mai 1985 wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks geworden, so war sie für dieses Streitjahr berechtigt, die erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG vorzunehmen. Die nachträgliche Aufhebung oder Nichtdurchführung des Kaufvertrages würde dann, wie dargelegt, die Absetzungsbefugnis nicht rückwirkend beseitigen.

3. Ob die Antragstellerin schon vor der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks geworden ist, ist auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts unklar. Insbesondere hat das FG nicht festgestellt, wie lange die Antragstellerin die im Kaufvertrag vereinbarte Nutzungsentschädigung an die Verkäufer zu entrichten hatte. Solange sie eine Nutzungsentschädigung für die Benutzung des Grundstücks zu zahlen hatte, zog der Verkäufer die Nutzungen des Grundstücks. Die Antragstellerin könnte deshalb für diesen Zeitraum nicht wirtschaftliche Eigentümerin sein (vgl. das Senatsurteil in BFH / NV 1987, 428 mit Abgrenzung zu dem BFH-Urteil vom 14. November 1974 IV R 3/70, BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281). Es läßt sich jedoch nicht von vornherein ausschließen, daß die Antragstellerin nach der Bezahlung des Hauptteils des Kaufpreises im März 1984 keine Nutzungsentschädigung mehr zu zahlen brauchte, so daß sie schon 1984 wirtschaftliche Eigentümerin geworden und damit auch für dieses Streitjahr die Absetzungsbefugnis nach § 7 b EStG erlangt haben könnte.

Außerdem ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorgelegen haben. Nach dem Akteninhalt ist dem FA nachträglich bis zur Einspruchsentscheidung nur bekanntgeworden, daß der Kaufvertrag über das umstrittene Grundstück bürgerlich-rechtlich nicht durchgeführt wurde. Da die Aufhebung eines Kaufvertrages nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. oben Abschn. II 1.) die Absetzungsbefugnis nach § 7 b EStG nicht rückwirkend beseitigt, könnte die Klage auch unter diesem Gesichtspunkt erfolgsversprechend sein.

4. Die Entscheidung des FG erweist sich danach als fehlerhaft, weil es - nach den ihm vorgetragenen Sachverhalt zu Recht - die Möglichkeit, daß die Antragstellerin in den Streitjahren wirtschaftliche Eigentümerin gewesen sein könnte, verneint hat. Der Senat hält es für sachgerecht, die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§§ 132, 155 FGO i. V. m. § 575 ZPO; vgl. auch BFH-Beschluß in BFH /NV 1987, 390). Die Vorinstanz erhält Gelegenheit zu entscheiden, ob auch die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH nach § 114 ZPO vorliegen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 501

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