Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an das Sachvorbringen

 

Leitsatz (NV)

Die besonderen Mitwirkungspflichten, die den Rechtsuchenden in Schätzungssachen treffen, ziehen im PKH-Verfahren verschärfte Anforderungen an die Darlegungspflicht nach sich.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 96, 142; AO 1977 § 162; ZPO § 114 ff.

 

Tatbestand

I. Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Kläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1984 bis 1988 einen Einzelhandel mit Musikinstrumenten und HiFi-Geräten.

Bei einer Außenprüfung wurden mit Hilfe einer überschlägigen Geldverkehrsrechnung erhebliche Fehlbeträge ermittelt. Im Rahmen einer Fahndungsprüfung wurde festgestellt, daß für den gesamten Prüfungszeitraum (1980 bis 1985) laufende Aufzeichnungen, Bestandsverzeichnisse und Originalinventuren fehlten, Forderungen und Schulden zu den Bilanzstichtagen nicht ausgewiesen, Einnahmen und Ausgaben nur unvollständig erfaßt waren. -- Für die Jahre 1986 bis 1988 hat der Kläger außerdem keine Steuererklärungen abgegeben.

Gegen die daraufhin vom Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beklagten (Finanzamt -- FA --) ihm gegenüber in den Einkommensteuerbescheiden 1984 bis 1988 sowie in den Gewerbesteuerbescheiden 1985 bis 1988 vorgenommenen (Hinzu-)Schätzungen wehrt sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch in dem vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren mit der Begründung, er habe seine Buchhaltung nach bestem Wissen und Gewissen angelegt, insbesondere alle Einkaufsrechnungen, Lieferscheine und Verkaufsrechnungen sorgfältig gesammelt und aufbewahrt, also alle Geschäftsvorgänge vollständig erfaßt. Es habe allerdings Zeiten gegeben, in denen das Geschäft nicht geöffnet gewesen, nichts eingekauft und nichts verkauft worden sei. Auch während der Öffnungszeiten sei es nicht immer zu Ein- oder Verkäufen gekommen. Ein "ausgesprochenes Wareneingangsbuch" habe er, der Kläger, zwar nicht geführt, doch erfüllten die gesammelten Einkaufsrechnungen und Lieferscheine dieselbe Funktion. Von Kontierung habe er damals nichts gewußt, diese sei aber im Hinblick auf die Geringfügigkeit der Umsätze auch nicht erforderlich gewesen. -- Ohne die von der Steuerfahndung beschlagnahmten Unterlagen und ohne den Fahndungsbericht könne er zu den Hinzuschätzungen keine genauen Stellungnahmen abgeben.

Das FA hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig und verweist erneut darauf, daß für den gesamten streitigen Zeitraum laufende Aufzeichnungen fehlten, Konten, Wareneingangsbücher nicht geführt und Inventuren nicht vorgenommen worden seien. Für 1986 bis 1988 habe der Kläger auch insgesamt keine neuen Fakten oder Beweismittel vorgetragen.

Den während des Klageverfahrens gestellten Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das FG wegen mangelnder Erfolgsaussichten mit der Begründung abgelehnt, dem Grunde nach sei das FA in allen Streitjahren zur Schätzung berechtigt gewesen. Was deren Höhe angehe, so dürfe die Vernachlässigung von Mitwirkungspflichten keine Vorteile für den Kläger nach sich ziehen. Die "schlichte Behauptung", die Schätzung sei überhöht, reiche als Begründung hinreichender Erfolgsaussicht nicht aus. Auch das Verlangen des Klägers, ihm Unterlagen und Fahndungsbericht zu übersenden, rechtfertige das PKH-Begehren nicht; denn Sache des Klägers sei es, die hinreichende Erfolgsaussicht schlüssig darzulegen, nicht sie in Aussicht zu stellen.

Gegen diese Ablehnung wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, zu deren Begründung er vorträgt, folgende Tatsachen ließen "eine andere" als die vom FA "angenommene Höhe der Besteuerungsgrundlagen wahrscheinlicher erscheinen":

-- Der vom FA zugrunde gelegte Aufschlagsatz von 25 % sei "so nicht zutreffend". Der durchschnittliche Aufschlagsatz habe "allenfalls etwa 10 %" betragen. Er, der Kläger, habe die Instrumente teils nur mit hohen Verlusten, teils überhaupt nicht verkaufen können.

-- Er, der Kläger, sei "kaufmännisch nicht ausgebildet". Das habe zu "betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidungen" geführt. So habe er in eine EDV-Anlage investiert, die sich für seine Zwecke "als nicht ausreichend funktionsfähig erwiesen" habe. Fehleinkäufe hätten vom FA gewinnmindernd abgeschrieben werden müssen. Die Zahlungsmoral vieler Kunden sei schlecht gewesen. Er habe wegen seiner niedrigen Umsätze zu ungünstigen Bedingungen einkaufen müssen. Angesichts der Schnellebigkeit des Markts seien viele Instrumente schon innerhalb weniger Monate veraltet. Im Rahmen der Schätzung müsse außerdem berücksichtigt werden, daß HiFi- Geräte so gut wie überhaupt nicht verkauft worden seien. Schließlich seien die Honorarzahlungen für Musikunterricht bei den Schätzungen doppelt erfaßt worden.

All dies könne die seinerzeit mit den Büroarbeiten befaßte Mitarbeiterin bezeugen.

Bezeugt werden könne außerdem vom früheren Hausarzt des Klägers, daß dieser depressive Phasen gehabt habe. Infolgedessen sei er, der Kläger, jedes Jahr für längere Zeiträume nicht in der Lage gewesen, sein Geschäft zu führen. Auch saisonbedingt sei es zu Umsatzausfällen bzw. -rückgängen gekommen. Schließlich seien bei der überschlägigen Geldverkehrsrechnung weder das angesparte Eigenkapital von 150 000 DM noch die Schulden des Klägers berücksichtigt worden (aus einem Darlehen seiner Mutter in Höhe von ca. 250 000 DM, außerdem Restverbindlichkeiten von 70 000 DM gegenüber der Bank und ca. 150 000 DM bis 200 000 DM gegenüber den Geschäftspartnern).

Für den Fall, daß noch weiterer Vortrag erforderlich sei, hat der Kläger Akteneinsicht und im übrigen unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Gewährung von PKH sowie Beiordnung seiner Prozeßbevollmächtigten beantragt.

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet. Die Beschwerdebegründung enthalte vorwiegend allgemeingehaltene, nicht nachprüfbare Ausführungen. -- Von einem angesparten Eigenkapital und von einem Darlehen über ca. 250 000 DM sei erstmals jetzt die Rede. Bisher sei nur ein Darlehen von 50 000 DM bekannt gewesen, aber auch berücksichtigt worden. Aus welchen Zeiträumen die Hersteller- und Lieferantenschulden stammten, könne mangels Nachweises nicht beurteilt werden. -- Im übrigen habe man sich bei der wegen der Buchführungsmängel gebotenen Schätzung an die wenigen verwertbaren Aufzeichnungen und nachprüfbaren Kalkulationen gehalten, aus denen sich ein Aufschlagsatz von 50 % ergebe. Hiernach bilde der bei der Schätzung verwendete Aufschlagsatz von 25 % die unterste vertretbare Grenze.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den PKH-Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt.

Nach §142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§114 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Prozeßbeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. -- Der zu diesem Zweck beim Prozeßgericht zu stellende Antrag (§117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist insofern zu substantiieren, als es Sache des Rechtsuchenden ist, in dem Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§117 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

1. Dem Rechtsschutzbegehren des Klägers können nach dem derzeitigen Stand der Dinge hinreichende Erfolgsaussichten nicht beigemessen werden.

Die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind erfüllt, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Erfolges in der Hauptsache spricht (Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, §142 Rz. 7 m. w. N.). Dies ist nach Aktenlage, grundsätzlich nicht mit Hilfe von Beweiserhebungen, sondern anhand präsenter Beweismittel zu beurteilen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Februar 1997 VII B 201/96, BFH/NV 1997, 610). Dabei trifft den Rechtsuchenden eine besondere, in Schätzungssachen verstärkte Mitwirkungspflicht (BFH-Beschluß vom 9. Juli 1996 IV B 105/95, BFH/NV 1997, 58, 59, m. w. N.; vgl. auch BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1996 IV S 2/96, BFH/NV 1997, 700, m. w. N.). Auf den Streitfall angewendet heißt dies, daß das Beschwerdevorbringen geeignet sein müßte, eine solide Basis für die Prognose abzugeben, daß konkrete Gründe zumindest für einen Teilerfolg in der Hauptsache sprechen. Das ist hier nicht der Fall. Die vom Kläger gegen die Schätzungen des FA erhobenen Einwände sind zu unsubstantiiert bzw. zu wenig untermauert, als daß sie auch nur gewichtige Zweifel begründen könnten.

a) Unerschüttert erscheint vor allem weiterhin die Geldverkehrsrechnung, weil die einzig bisher bekannte Ausgangsgröße, ein Darlehen über 50 000 DM, vom FA schon berücksichtigt wurde. Das Vorbringen eines weiteren Darlehens der Mutter (250 000 DM) und von Lieferantenkrediten (150 000 DM bis 200 000 DM) und einem Kontokorrentkredit (70 000 DM) ist im übrigen neu, ohne in dieser Neuheit erklärt zu werden, außerdem unpräzise (auch hinsichtlich der Beträge sowie der zeitlichen Zuordnung) und weder belegt noch glaubhaft gemacht oder auch nur durch Beweisantritte erhärtet.

b) Auch der den angefochtenen Schätzungen zugrundeliegende Aufschlagsatz wird durch das bisherige klägerische Vorbringen nicht hinreichend in Frage gestellt, weil dieses einerseits zu vage gehalten ist, andererseits nur durch Beweismittel unterstützt wird, die in Fällen dieser Art regelmäßig als ungeeignet anzusehen sind (zur generellen Untauglichkeit des Zeugenbeweises in Schätzungssachen Gräber, a. a. O., §76 Rz. 24 und §96 Rz. 18, m w. N.).

c) Beizupflichten ist dem FG schließlich auch darin, daß der Schätzungsrahmen entscheidend mitbestimmt wird von dem Gesichtspunkt, daß der nachlässige Steuerpflichtige, der sog. "Beweisverderber", aus seinem Verhalten keinen Vorteil soll ziehen dürfen (Rechtsgedanke des §444 ZPO i. V. m. §155 FGO; s. dazu Senatsurteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 unter 4.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §162 AO 1977 Rz. 6, m. w. N.).

2. Der hilfsweise und unter einer innerprozessualen Bedingung gestellte Antrag auf Akteneinsicht war ebenfalls abzulehnen. Es war -- wie zuvor ausgeführt -- Sache des Klägers, die Erfolgsaussichten seiner Klage darzulegen und in geeigneter Weise zu untermauern. Inwiefern zur Erfüllung dieser prozessualen Verpflichtung Akteneinsicht sachdienlich hätte sein können, ist nicht ersichtlich (vgl. auch Senatsbeschluß vom 24. Januar 1991 X B 7--8/90, BFH/NV 1991, 475, 476).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1125

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