Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristversäumnis infolge fehlerhafter Einlegung der Revision beim BFH

 

Leitsatz (NV)

1. Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über ihre Zulassung beim FG schriftlich einzulegen. Die Einlegung der Revision beim BFH ist nicht geeignet, die Revisionsfrist zu wahren.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO kann infolge Verschuldens des Prozeßbevollmächtigten nicht gewährt werden, wenn dieser - trotz anderslautender Rechtsmittelbelehrung - die Revision beim BFH eingereicht und dadurch bewirkt hat, daß die Revisionsschrift erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim FG eingegangen ist.

3. Dem Revisionsgericht obliegt nicht aus Gründen der prozessualen Fürsorge eine Pflicht, den Prozeßbevollmächtigten telefonisch auf die fehlerhafte Einreichung der Revisionsschrift beim BFH hinzuweisen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Tatbestand

Nachdem der Beschluß, mit dem der Bundesfinanzhof (BFH) die Revision zugelassen hatte, dem Prozeßbvollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 9. November 1989 zugestellt worden war, ging deren Revision am 8. Dezember 1989 beim BFH ein, der in der Revisionsschrift als Empfänger bezeichnet ist. Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats leitete die Revisionsschrift unter dem 8. Februar 1990 an das Finanzgericht (FG) weiter, bei dem sie am 16. Februar 1990 eintraf.

Auf die Versäumung der Revisionsfrist am 24. März 1990 hingewiesen, beantragte die Klägerin am 6. April 1990 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die Revisionsschrift sei infolge eines Büroversehens nicht beim FG, sondern unmittelbar beim BFH eingereicht worden.

Während des Revisionsverfahrens erklärte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unter dem 10. September 1991 die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 hinsichtlich des Grundfreibetrages für vorläufig nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Hiergegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt und zugleich mitgeteilt, sie sei nicht bereit, die geänderten Bescheide gemäß §§ 68, 121, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das FA hat eine Entscheidung über ihren Rechtbehelf zurückgestellt, bis die Frage der Zulässigkeit der Revision der Klägerin geklärt ist.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem das FA die geänderten Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 am 10. September 1991 erlassen und die Klägerin nicht gemäß §§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO beantragt hatte, diese zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, sondern sie mit dem Einspruch angefochten hatte, hätte grundsätzlich das Verfahren bezüglich der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden müssen, um abzuwarten, ob die geänderten Bescheide Bestand haben oder wieder aufgehoben werden (BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Eine solche Aussetzung hat im Verfahren der Klägerin jedoch zu unterbleiben, da ihr Rechtsschutzbegehren in jedem Falle ohne Erfolg bleiben muß (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177). Denn ihre Revision ist unzulässig.

Die Revision ist nach § 120 Abs. 1 FGO bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Die Einlegung der Revision beim BFH ist nach ständiger Rechtsprechung nicht geeignet, die Revisionsfrist zu wahren (BFH-Urteil vom 18. Juli 1989 VIII R 30/89, BFHE 158, 107, BStBl II 1989, 1020). Die Klägerin war in dem angefochtenen Urteil lt. beigegebener Rechtsmittelbelehrung, die auch im Falle der Zulassung der Revision durch den BFH maßgeblich ist (Urteil in BFHE 158, 107, BStBl II 1989, 1020), darauf hingewiesen worden, daß im Falle der Zulassung der Revision auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen ist. Weiter heißt es darin, daß die Revision beim FG einzulegen ist.

Nachdem der Beschluß über die Zulassung der Revision dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 9. November 1989 zugestellt worden war, lief demnach die Revisionsfrist am 11.Dezember 1989 ab. Die Revision der Klägerin ging jedoch erst am 16. Februar 1990 beim FG und damit verspätet ein.

Der Klägerin kann wegen der Versäumung der Revisionsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO gewährt werden, denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Revisionsfrist einzuhalten. Sie muß sich das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen.

Ihr Prozeßbevollmächtigter handelte schuldhaft, indem er entgegen § 120 Abs. 1 FGO und trotz anders lautender Rechtsmittelbelehrung die Revision beim BFH einreichte und dadurch bewirkte, daß die Revisionsschrift erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim FG einging. Das Risiko des verspäteten Eingangs der Revisionsschrift, die beim BFH statt beim FG eingereicht wird, trägt der Revisionskläger (Urteil in BFHE 158, 107, BStBl II 1989, 1020).

Der Prozeßevollmächtigte kann seine Fristversäumnis nicht mit dem Vorbringen entschuldigen, sein Büro habe die Revisionsschrift fehlerhaft an den BFH adressiert. Bei der Unterzeichnung mußte er nicht nur deren Inhalt durchlesen, sondern sich auch vergewissern, ob der Schriftsatz mit der richtigen Anschrift versehen war. Hätte er dies getan, so hätte er feststellen können, daß der Schriftsatz an den BFH gerichtet war.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine Mitverantwortung des Gerichts an der Fristversäumnis berufen.

Hierbei war nicht eine Verzögerung der Weiterleitung der Revisionsschrift durch die Geschäftsstelle des erkennenden Senats mitursächlich. Nachdem die Revisionsschrift am Freitag, den 8. Dezember 1989, beim BFH eingegangen war, konnte die Geschäftsstelle sie frühestens am Montag, den 11.Dezember 1989, dem Tag des Ablaufs der Rechtsmittelfrist, weiterleiten.

Schließlich kann die Klägerin eine Mitverantwortung des Gerichts auch nicht daraus herleiten, daß dieses nicht spätestens am 11.Dezember 1989 ihren in München ansässigen Prozeßbevollmächtigten telefonisch auf die fehlerhafte Einreichung der Revisionsschrift beim BFH hingewiesen hatte, damit er eine ordnungsgemäße Einlegung des Rechtsmittels beim FG bis zum Ablauf der Frist an diesem Tag nachholen konnte.

Unbeschadet der Frage, ob der bevorstehende Fristablauf auch bei ordnungsmäßigem Geschäftsablauf noch rechtzeitig hätte erkannt werden können, obliegt dem Gericht eine solche Hinweispflicht aus Gründen der prozessualen Fürsorge nicht, zumal es noch nicht einmal für die Einlegung des Rechtsmittels zuständig gewesen ist (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 1972 IV ZB 76/71, Neue Juristische Wochenschrift 1972, 684; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 1972 III C 5/72, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1973, 347). Es ist Sache des Prozeßbevollmächtigten, alle Anstrengungen zur Fristwahrung zu unternehmen. Das Gericht ist dabei nicht sein Erfüllungsgehilfe (BFH-Beschluß vom 8. Juli 1991 X B 3/91, BFH/NV 1992, 120).

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 366

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