Leitsatz (amtlich)

Erlaubt die Wortfassung einer Norm zweifelsfrei nur eine Auslegung (grammatische Auslegung) und zeigt zudem die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, daß diese Wortfassung nicht auf einem redaktionellen Versehen beruht, sondern vom Gesetzgeber bewußt unter Inkaufnahme von Härtefällen gewählt wurde, so bestehen an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der auf dieser nach dem Wortlaut ausgelegten Bestimmung beruht, in der Regel keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 FGO.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Streitig ist im Hauptsacheverfahren, ob die besondere Körperschaftsteuer nach § 9 Abs. 3 KStG - sogenannte Nachsteuer - auch auf Schachteleinnahmen der Antragstellerin (Steuerpflichtige), einer AG, zu erheben ist, die bei der ausschüttenden Gesellschaft schon mit 51 v. H. versteuert wurden.

Das FG bestätigte mit dem in EFG 1968, 183 veröffentlichten Urteil vom 12. Dezember 1967 auf die Sprungklage der Steuerpflichtigen den vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid 1962 des Antragsgegners (FA), demzufolge die von der Steuerpflichtigen bezogenen Schachteleinnahmen einschließlich eines bereits bei den ausschüttenden Gesellschaften mit 51 v. H. besteuerten Betrages der Nachsteuer nach § 9 Abs. 3 KStG unterworfen werden. In der eingehenden Begründung des Urteils, das unter Berücksichtigung der einschlägigen Gesetzesmaterialien die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 3 KStG untersucht, gelangt das FG zu dem Ergebnis, daß § 9 Abs. 3 KStG zwar bei verschiedenen möglichen Sachverhaltsgestaltungen zu Härten - gegebenenfalls sogar zu einer Gesamtsteuerbelastung in Höhe von knapp 70 v. H. - führen könne, daß diese unerfreuliche Auswirkung jedoch durch die Rechtsprechung nicht vermieden werden könne. Die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung erlaubten es nicht, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen, weil der Wortlaut der Bestimmung eindeutig sei und die Voraussetzungen für eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen Wortlaut nicht vorlägen.

Die Steuerpflichtige hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, über die der Senat noch nicht entschieden hat.

Darüber hinaus hat die Steuerpflichtige gemäß § 69 Absatz 3 FGO beim Senat als dem Gericht der Hauptsache beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides hinsichtlich der streitigen 169 049 DM bis zur Entscheidung über die Revision auszusetzen. Zur Begründung trägt sie vor, daß der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid nicht rechtmäßig sei. Sie weist darauf hin, daß das FA die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids nur mehr bis 29. Februar 1968 ausgesetzt, den zeitlich darüber hinausgehenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung jedoch abgelehnt habe. Das FA habe aber durch die bisherige Aussetzung der Vollziehung anerkannt, daß Gründe für eine solche Vollziehungsaussetzung bestanden haben. Da die Steuerschuld seit langer Zeit ausgesetzt worden sei, lasse sich die in einer plötzlichen Steueranforderung liegende unbillige Härte auch nicht etwa durch überwiegende öffentliche Interessen rechtfertigen.

Das FA beantragt, den Antrag der Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Vollziehung kostenpflichtig zurückzuweisen. Es betont, daß die bisherige Aussetzung der Vollziehung auf eine Unterredung zwischen Vertretern der Steuerpflichtigen und des FA vom 16. März 1964 wegen Steuerstundung zurückgehe und reinen Stundungscharakter gehabt habe. Aussetzungsgründe im Sinne des § 242 Abs. 2 AO seien nie vorhanden gewesen. Nachdem nach Ablauf von vier Jahren auch keine Stundungsgründe mehr gegeben seien, sei eine weitere Aussetzung der Vollziehung nicht mehr vertretbar. Die Rechtslage im Verfahren der Hauptsache sei nicht zweifelhaft. Aus dem Entgegenkommen des FA lasse sich für die Steuerpflichtige kein Rechtsanspruch auf weitere Aussetzung der Vollziehung herleiten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht begründet.

Nach § 69 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Wie der BFH im Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967 (BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182) ausgeführt hat, bestehen "ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Im vorliegenden Falle bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht.

Der Senat hat im Urteil I 276/61 S vom 3. Juli 1963 (BFH 77, 394, BStBl III 1963, 464) zur Auslegung des § 9 Abs. 3 KStG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes Stellung genommen mit dem Ergebnis, daß die Bestimmung zwar eine sehr allgemeine und rohe Regelung darstelle, die auf die Gestaltung der Verhältnisse im einzelnen keine Rücksicht nehme, daß aber der Wortlaut des Gesetzes keine Handhabe biete, in Härtefällen Ausnahmen von der Nachsteuer zuzulassen. Mit denselben Überlegungen sind die Hauptsacheentscheidung des FG sowie auch das rechtskräftige Urteil des FG Düsseldorf VI 15/60 L vom 20. Dezember 1960 (EFG 1961, 311) begründet. Auch im Schrifttum wird diese Auffassung überwiegend vertreten, wie in der Vorentscheidung zur Hauptsache im einzelnen dargestellt.

Erlaubt die Wortfassung einer Norm zweifelsfrei nur eine Auslegung (grammatische Auslegung) und zeigt zudem die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, daß diese Wortfassung nicht auf einem redaktionellen Versehen beruht, sondern vielmehr vom Gesetzgeber bewußt unter Inkaufnahme von Härtefällen gewählt wurde, so bestehen an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, der auf dieser grammatischen Auslegung der Bestimmung beruht, in der Regel keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 und 3 FGO. Dies gilt insbesondere dann, wenn Rechtsprechung und Schrifttum sich bisher überwiegend auf den Standpunkt der grammatischen Auslegung gestellt haben. Zwar kann auch in Fällen dieser Art nicht schlechthin ausgeschlossen werden, daß im Hauptsacheverfahren eine einschränkende Auslegung des Gesetzes den angefochtenen Verwaltungsakt gleichwohl als rechtswidrig erscheinen läßt; der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem sind jedoch so enge Grenzen gezogen (vgl. BFH-Urteile II 268/58 S vom 22. Februar 1961, BFH 72, 576, BStBl III 1961, 210, und III 193/60 S vom 11. Dezember 1964, BFH 81, 222, BStBl III 1965, 82, mit weiteren Nachweisen), daß es in dem hier gebotenen summarischen Verfahren gerechtfertigt erscheint, diese Möglichkeit unberücksichtigt zu lassen.

Die Steuerpflichtige beruft sich auch zu Unrecht darauf, daß die Vollziehung des angefochtenen Bescheids eine unbillige Härte bedeute. Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegt vor, wenn durch die sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen wirtschaftliche Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind oder wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet wäre (vgl. BFH-Beschluß VI S 9/66 vom 31. Januar 1967, BFH 87, 600, BStBl III 1967, 225). Die Steuerpflichtige hat nicht vorgetragen, daß diese Voraussetzungen bei ihr erfüllt sind. Allein dadurch, daß die Steuerpflichtige einen Musterprozeß führt, der sich naturgemäß über eine gewisse Zeitspanne erstreckt, kann in der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vor rechtskräftiger Beendigung des Hauptsacheverfahrens keine unbillige Härte gesehen werden. Insbesondere erscheint es nicht als Unbilligkeit, wenn das FA nach Ergehen eines sorgfältig begründeten Urteils erster Instanz seine Auffassung zur Frage der Aussetzung der Vollziehung zuungunsten der Steuerpflichtigen ändert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67721

BStBl II 1968, 485

BFHE 1968, 177

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