Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf mündliche Verhandlung nach vorheriger Ablehnung des Verzichts

 

Leitsatz (NV)

1. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden.

2. Dagegen ist die Erklärung, nicht auf mündliche Verhandlung zu verzichten, in der Regel frei widerruflich und wird daher durch den später erklärten Verzicht auf mündliche Verhandlung rückgängig gemacht.

 

Normenkette

FGO § 90 Abs. 2; VGFGEntlG Art. 3 § 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wendeten sich nach erfolglosem Vorverfahren mit der Klage gegen zwei gegen sie als Erben des verstorbenen F ergangene Anordnungen einer Außenprüfung wegen Einkommen-, Umsatz- und Vermögensteuer 1979 bis 1981 sowie wegen Gewerbesteuer 1979 bis 1981 und Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1979 bis 1. Januar 1982. Mit Schreiben vom 20. April 1986 teilte ihr Prozeßbevollmächtigter dem Finanzgericht (FG) mit, daß er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden sei. Mit Schriftsatz vom 22. August 1986 an das FG verzichtete der Prozeßbevollmächtigte dann auf mündliche Verhandlung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte bereits mit Schriftsatz vom 10. März 1986 auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Das FG wies die Klage ab. Es vertrat die Auffassung, daß die Prüfungsanordnungen rechtmäßig seien. Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

Gegen das Urteil richtet sich die Revision der Kläger. Mit ihr machen die Kläger weiterhin die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Prüfungsanordnungen geltend. Die Kläger rügen ferner, das Urteil des FG habe nicht ohne mündliche Verhandlung ergehen dürfen. Der in dem Schriftsatz vom 22. August 1986 erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung sei irrtümlich erfolgt. Er sei zudem unwirksam, weil vorher mit dem Schreiben vom 20. April 1986 erklärt worden sei, daß kein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe. Diese vorherige Erklärung sei unwiderruflich und habe daher durch den späteren Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht rückgängig gemacht werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen haben (§ 115 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren - VGFGBeschlG - vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496, und des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 22. Dezember 1989, BGBl I 1989, 2404).

Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

2. Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.

3. Sie ist auch nicht ohne Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar behaupten die Kläger, das FG habe zu Unrecht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden. Hierin könnte i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO die Rüge liegen, daß die Kläger im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen seien (BFH-Urteil vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; BFH-Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679). Verfahrensmängel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h. wenn sie schlüssig vorgetragen sind (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Die von den Klägern vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen nicht die Rüge, daß das FG zu Unrecht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden habe.

a) Das Urteil des FG durfte ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil die Kläger mit dem Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 22. August 1986 wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Der Vortrag der Kläger, daß diese Erklärung irrtümlich erfolgt sei, vermag an der Wirksamkeit des Verzichts nichts zu ändern.

Bei dem Verzicht auf mündliche Verhandlung handelt es sich um eine einseitige, an das Gericht zu richtende Prozeßhandlung, die im Interesse einer eindeutigen und klaren prozeßrechtlichen Lage grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden kann (BFH-Urteile vom 20. Juni 1967 II 73/63, BFHE 90, 82, BStBl III 1967, 794; vom 26. November 1970 IV R 131/69, BFHE 101, 61, BStBl II 1971, 241, jeweils mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte). Im Streitfall kann offenbleiben, ob abweichend vom Regelfall in Ausnahmefällen eine Widerrufsmöglichkeit besteht (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 90 Tz. 13 f.). Die Kläger tragen nämlich nichts für einen Ausnahmefall vor, sondern beschränken sich ohne jede nähere Erläuterungen auf die Behauptung der irrtümlichen Abgabe der Verzichtserklärung.

b) Das vorherige Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Kläger an das FG vom 20. April 1986, mit dem ein Verzicht auf mündliche Verhandlung abgelehnt wurde, hat die Wirksamkeit der späteren Verzichtserklärung nicht gehindert. Anders als die Verzichtserklärung war dieses Schreiben nicht grundsätzlich unwiderruflich. Es ist daher durch die spätere Verzichtserklärung rückgängig gemacht worden.

Grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar sind Erklärungen im Finanzgerichtsprozeß nämlich nur dann, wenn sie Prozeßhandlungen (Prozeßerklärungen) sind. Dies ist der Fall, wenn die betreffende Erklärung das finanzgerichtliche Verfahren gestaltet (Ziemer / Haarmann /Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 6665; vgl. auch Rosenberg /Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, S. 372), indem sie die prozeßrechtliche Lage unmittelbar verändert. Nur bei einer solchen Sachlage besteht das Bedürfnis der Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit, um eine eindeutig klare prozeßrechtliche Lage zu gewährleisten.

Während der Verzicht auf mündliche Verhandlung eine derartige prozeßgestaltende Wirkung hat, kommt der Erklärung, nicht auf mündliche Verhandlung zu verzichten, keine solche Wirkung zu. Der Verzicht eines Prozeßbeteiligten auf mündliche Verhandlung verändert deshalb die prozeßrechtliche Lage, weil er das Gericht berechtigt, abweichend vom Grundsatz des § 90 Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn auch die anderen Prozeßbeteiligten damit einverstanden sind (vgl. § 90 Abs. 2 FGO). Wird nicht von allen Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet, muß das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung oder durch Vorbescheid entscheiden. Dabei ist es unerheblich, ob ein Beteiligter den Verzicht auf die mündliche Verhandlung ausdrücklich ablehnt oder ob er sich überhaupt nicht erklärt. Die ausdrückliche Erklärung, auf mündliche Verhandlung nicht zu verzichten, ändert daher nichts an der prozeßrechtlichen Lage, die auch ohne die Erklärung bestehen würde. Eine Erklärung, es werde nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet, ist daher in der Regel frei widerruflich (Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a.a.O., Tz. 7856).

c) Aus dem von den Klägern angeführten Urteil des BFH vom 11. August 1987 IX R 135/83 (BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141) kann nichts anderes hergeleitet werden. In diesem Urteil hat der BFH eine Erklärung, nicht auf mündliche Verhandlung zu verzichten, als Antrag auf mündliche Verhandlung i. S. von Art. 3 § 5 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - VGFGEntlG - (BGBl I 1978, 446, BStBl I 1978, 174) i. d. F. des VGFGBeschlG gewertet. Es kann dahinstehen, ob dadurch die Erklärung, auf mündliche Verhandlung nicht zu verzichten, unter den Besonderheiten des Art. 3 § 5 VGFGEntlG unwiderruflich geworden ist. Denn ein Fall des Art. 3 § 5 VGFGEntlG liegt im Streitfall offensichtlich nicht vor.

4. Eine Umdeutung der unzulässigen Revision in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht (vgl. Gräber /Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Tz. 50, m.w.N.). Sie wird von den Klägern auch nicht begehrt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 402

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