Entscheidungsstichwort (Thema)

Übersehen vermeintlich nicht entscheidungserheblicher Tatsachen

 

Leitsatz (NV)

Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn das FG Tatsachen übergeht, die nach den von ihm selbst gebildeten Rechtssätzen entscheidungserheblich sind. Übersieht das FG Merkmale des Tatbestandes einer Rechtsnorm und bildet es nicht den nach der Rechtslage gebotenen Rechtssatz, begeht es keinen Verfahrensfehler, wenn es infolge dessen klar zutage liegende Tatsachen unbeachtet läßt.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Ein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), ist nicht schlüssig bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Mit dem Vorbringen der Beschwerde, nach dem Urteil des BFH vom 16. April 1991 VIII R 63/87 (BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832) habe das FG erkennen müssen, daß wegen des Wertes der vom Sohn der Klägerin unentgeltlich übernommenen Anteile eine Entnahme vorliege, wird die falsche Anwendung des materiellen Rechts und kein Verfahrensmangel gerügt.

Die Beschwerde meint allerdings, das FG habe eine Tatsache nicht berücksichtigt, die sich aus den Akten ergebe. Damit wird ein Verstoß des FG gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geltend gemacht. Nach dieser Vorschrift hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Hierzu gehört die vollständige Auswertung der dem Gericht vorliegenden Akten.

Hat das FG eine nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) unzweifelhaft als gegeben zu betrachtende Tatsache bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt, so stellt dies jedoch nicht stets einen Verfahrensmangel dar. Ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt insoweit vielmehr nur dann vor, wenn das FG Tatsachen übergeht, die nach den von ihm selbst gebildeten Rechtssätzen entscheidungserheblich sind. Denn bei der Prüfung, ob dem FG ein Verstoß gegen die sein Verfahren regelnden Vorschriften unterlaufen ist, ist von der materiell- rechtlichen Sicht des FG auszugehen (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 31. Juli 1995 V B 34/95, BFH/NV 1996, 157). Das gilt auch bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Gebot, nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu entscheiden. Denn das Verfahren des FG dient der Anwendung des materiellen Rechts und insbesondere der Feststellung und Berücksichtigung der Tatsachen, auf die es nach dem materiellen Recht ankommt. Das FG kann sich nur an die Tatsachen halten, deren Feststellung seiner Ansicht nach das materielle Recht verlangt; Tatsachen, die nach seiner materiell-rechtlichen Ansicht nicht entscheidungserheblich sind, hat es bei seiner Entscheidung nicht zu berücksichtigen. Seine Entscheidung kann überdies nicht auf der Nichtberücksichtigung oder mangelhaften Aufklärung solcher Tatsachen i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen, deren Entscheidungserheblichkeit es gar nicht erkannt hat. Übersieht das FG also Merkmale des Tatbestandes einer Rechtsnorm und läßt es deshalb Tatsachen unbeachtet, die an sich klar zutage liegen, so begeht es keinen Verfahrensfehler, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler. Sein Urteil beruht in einem solchen Fall darauf, daß es den richtigen materiellen Prüfungsmaßstab für die von ihm zu treffende Entscheidung verfehlt und nicht den nach der Rechtslage gebotenen Rechtssatz gebildet hat, unter den es die feststehenden Tatsachen hätte subsumieren müssen.

In der Beschwerdebegründung ist nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht erkennbar, daß das FG einen Rechtssatz gebildet hat, nach dem es für die steuerliche Beurteilung der von der Klägerin vorgenommenen Anteilsübertragung darauf ankommt, daß diese unentgeltlich war, und nach dem wegen der teilweisen Übertragung ihres Anteils an der GmH auf ihren Sohn ein Entnahmegewinn bei den gewerblichen Einkünften zu berücksichtigen wäre. Die rechtlichen Über legungen des FG -- mögen sie richtig oder unrichtig sein -- erschöpfen sich vielmehr darin, daß bei Wegfall der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung zu prüfen sei, ob eine Betriebsverpachtung vorliege, die fraglichen Vermögensgüter im Betriebsvermögen verblieben und ein (Aufgabe-)Gewinn daher nicht vorliege. Die Beschwerde richtet sich gegen diesen Prüfungsmaßstab des FG, also dagegen, daß das FG das Entstehen eines Entnahmegewinns nicht in Betracht gezogen hat. Damit läßt sich jedoch ein Grund für die Zulassung der Revision nicht dartun.

Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Angabe weiterer Gründe.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 590

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