Entscheidungsstichwort (Thema)

Divergenz zu Entscheidungen des BVerfG; Rügeverzicht durch Verzicht auf mündliche Verhandlung

 

Leitsatz (NV)

1. Soweit sich die nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderliche Bezeichnung der Divergenz in der Beschwerdeschrift ausdrücklich nur auf Entscheidungen des BFH und nicht auf solche des BVerfG bezieht, spricht einiges für ein durch Analogie zu heilendes Versäumnis des Gesetzgebers.

2. Unterläßt es der Kläger nach Ergehen des Gerichtsbescheids, mündliche Verhandlung zu beantragen, oder verzichtet er auf mündliche Verhandlung, nachdem er einen solchen Antrag gestellt hat, so kommt dies einem Verzicht auf das Recht, einen verzichtbaren Verfahrensmangel zu rügen, gleich.

 

Normenkette

FGO §§ 90a, 115 Abs. 2-3

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 5. August 1996, mit dem unter Hinweis auf den vorangegangenen Gerichtsbescheid vom 13. Juni 1996 lediglich festgestellt wurde, daß der Gerichtsbescheid vom 26. Februar 1996 als Urteil wirke. Gegen diese Entscheidung, wonach die auf den Gerichtsbescheid vom 26. Februar 1996 erneut erhobene Klage aus Gründen der Rechtssicherheit vor allem deshalb nicht in ein zulässiges Rechtsmittel umgedeutet werden könne, weil sie von einem Steuerberater erhoben worden sei, haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) keine Zulassungsgründe i. S. des §115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgebracht. Nachdem der Gerichtsbescheid vom 26. Februar 1996 mangels eines Antrags auf mündliche Verhandlung als Urteil wirkt (§90a Abs. 3 FGO), wirken der danach ergangene Gerichtsbescheid vom 13. Juni 1996 ebenso wie das angefochtene Urteil nach Auffassung des Senats nur noch rein deklaratorisch.

Selbst wenn man jedoch mit den Klägern davon ausgeht, daß die Beschwerde gegen das Urteil des FG vom 5. August 1996 auch eine Überprüfung der in gleicher Sache vorangegangenen Entscheidungen des FG vom 26. Februar und 13. Juni 1996 eröffnet, liegen die gesetzlichen Gründe für eine Zulassung der Revision im Streitfall nicht vor.

1. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen einen Gerichtsbescheid ausreiche, die klageabweisende Entscheidung zu beseitigen, ist nicht klärungsbedürftig und daher nicht von grundsätzlicher Bedeutung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Anm. 9, m. w. N.). Nach §90a Abs. 2 Nr. 2 FGO ist gegen einen Gerichtsbescheid des FG nur die Nichtzulassungsbeschwerde oder der Antrag auf mündliche Verhandlung vorgesehen. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann mit diesen Rechtsmitteln zwar auch verbunden werden; dieser Antrag allein ist jedoch ebensowenig geeignet, die Rechtswirkungen eines Gerichtsbescheids zu beseitigen, wie die von den Klägern erneut erhobene Klage.

2. Soweit die Kläger vorgetragen haben, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Abweichung von dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30. Juni 1976 2 BvR 212/76 (BVerfGE 42, 252), vermag ihnen der Senat ebenfalls nicht zu folgen.

a) Dabei kann dahinstehen, ob die Abweichung von einer Entscheidung des BVerfG ebenso zu bezeichnen ist, wie dies §115 Abs. 3 Satz 3 FGO für die Divergenz zu einer Entscheidung ausdrücklich vorsieht. Seit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 ist nach §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (BGBl I, 1442, BStBl I, 805) die Revision zwar auch zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderliche Bezeichnung der Divergenz in der Beschwerdeschrift bezieht sich indessen ausdrücklich nur auf Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH). Insoweit spricht einiges für ein durch Analogie zu heilendes Versäumnis des Gesetzgebers (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §115 FGO Tz. 89), der auch §115 FGO nur insoweit geändert hat, als dies etwa auch bei §132 Abs. 2 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) oder §72 Abs. 2 Nr. 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) erforderlich gewesen war. Denn für die Nichtzulassungsbeschwerde nach diesen Verfahrensordnungen galt zuvor schon eine allgemeinere Fassung, wonach lediglich die "Entscheidung, von der das Urteil abweicht", zu bezeichnen ist (s. §133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, ähnlich auch §72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG).

b) Jedenfalls besteht die gerügte Divergenz zum Beschluß des BVerfG in BVerfGE 42, 252 nicht. Das BVerfG hat dort zwar ausgeführt, daß das in sämtlichen Prozeßordnungen enthaltene Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als Rechtsbehelf außerhalb des Verfahrensrechts selbständig neben den Rechtsmitteln der Revision oder Beschwerde stehe und daher zum Rechtsweg i. S. des §90 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht gehöre und daraus gefolgert, daß der Beschwerdeführer, der einen solchen Antrag unterläßt, den Rechtsweg nicht erschöpft hat. Zutreffend haben die Kläger auch gerügt, daß das FG "die gegen einen Gerichtsbescheid statthaften Rechtsbehelfe auf die Nichtzulassungsbeschwerde und den Antrag auf mündliche Verhandlung eingeschränkt" habe. Denn tatsächlich hat das FG den auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Vorlage der Vollmacht gerichteten Antrag ignoriert. Aus dem Beschluß des BVerfG in BVerfGE 42, 252 ergibt sich indessen nicht, daß ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das gegen eine gerichtliche Entscheidung gesetzlich vorgesehene Rechtsmittel ersetzt oder, wie die Kläger meinen, einschließt. Es hätte nahegelegen, der Rechtsmittelbelehrung des ersten Gerichtsbescheids folgend, mündliche Verhandlung zu beantragen und in dieser mündlichen Verhandlung auch eine Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand herbeizuführen. Dieses Verfahren genügt der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes.

3. Die Verfahrensrüge ist unzulässig. Die Kläger haben vorgetragen, das FG habe verfahrensfehlerhaft ihren Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt und insoweit auch gegen die Prozeßfürsorgepflicht nach §76 Abs. 2 FGO verstoßen. Soweit sie damit nicht einen von §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht erfaßten materiell- rechtlichen Fehler geltend machen, könnte es sich um die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs handeln. Da dies ein Verfahrensmangel ist, auf dessen Geltendmachung die Kläger entsprechend §295 der Zivilprozeßordnung verzichten konnten, hätten die Kläger zur schlüssigen Rüge eines solchen Mangels vortragen müssen, daß sie den Fehler bei nächster sich bietender Gelegenheit vor dem FG gerügt hätten oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (BFH-Beschluß vom 3. Juni 1992 II B 192/91, BFH/NV 1993, 34). Daran fehlt es im Streitfall. Die Kläger haben im Gegenteil die Gelegenheit versäumt, nach Ergehen des Gerichtsbescheids vom 26. Februar 1996 mündliche Verhandlung zu beantragen; nachdem sie einen solchen Antrag auf den zweiten Gerichtsbescheid vom 13. Juni 1996 gestellt hatten, haben sie ausdrücklich den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt, so daß das angefochtene Urteil ergehen konnte. Dieses Unterlassen eines Antrags und der ausdrückliche Verzicht auf mündliche Verhandlung kommen einem Verzicht auf das Rügerecht gleich. In ähnlicher Weise hat bereits der V. Senat des BFH in seinem Beschluß vom 24. Juli 1992 V B 35/92 (BFH/NV 1993, 308) entschieden, daß unter bestimmten Voraussetzungen der Verzicht auf mündliche Verhandlung einem Verzicht auf das Rügerecht gleichkommen kann.

Im übrigen wird von einer Begründung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66510

BFH/NV 1998, 713

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