Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen bei Steuern im Ausland

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Berechnung des pfändungsfreien Arbeitseinkommens nach § 850e ZPO bleiben Steuern außer Ansatz, die nicht vom Arbeitgeber einbehalten werden, weil sie der Arbeitnehmer wegen seines Wohnsitzes im Ausland unmittelbar entrichten muß. Solche Belastungen können allerdings eine Erhöhung des pfändungsfreien Betrages durch das Vollstreckungsgericht rechtfertigen (§ 850f ZPO).

 

Normenkette

GG Art. 11; GVG § 13; BGB §§ 280, 286, 362; EWGVtr Art. 48; BGB §§ 398, 400; ZPOEG §§ 1, 3; GG Art. 2 Abs. 1; ZPO §§ 850 e, 850 f.; EStG § 38 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 23.06.1983; Aktenzeichen 8 Sa 408/83)

ArbG Aachen (Entscheidung vom 02.03.1983; Aktenzeichen 3 Ca 2158/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe das Arbeitseinkommen der Klägerin pfändbar ist.

Die Klägerin ist in der Rheumaklinik der Beklagten in A beschäftigt. Den pfändbaren Teil ihres Arbeitslohns hat sie an eine Bank abgetreten. Die Klägerin wohnt seit 1981 in Belgien. Sie brauchte aufgrund von Freistellungsbescheiden der zuständigen deutschen Finanzbehörden in den Jahren 1982 und 1983 in der Bundesrepublik Deutschland keine Lohn- und Kirchensteuer zu zahlen, weil sie nach Art. 15 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 (BGBl II 1969, 18) in Belgien besteuert wurde. Demgemäß zog die Beklagte seit 1. Januar 1982 vom Arbeitslohn der Klägerin keine Lohn- und Kirchensteuer mehr ab. Auch bei Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens berücksichtigte sie diese Steuern nicht. Die so ermittelten pfändbaren Beträge zahlte sie an die Abtretungsgläubigerin.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe von 4.610,45 DM zu. Diesen Betrag habe die Beklagte zu Unrecht an die Abtretungsgläubigerin abgeführt. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den der Lohn- und Kirchensteuer entsprechenden Teil des Lohns bei Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens unberücksichtigt zu lassen. Dadurch hätte sich der pfändbare und somit an die Abtretungsgläubigerin abzuführende Betrag verkleinert. Außerdem sei die Beklagte verpflichtet, künftig den der Lohn- und Kirchensteuer entsprechenden Teil des Lohns an sie auszuzahlen, damit sie davon ihre Steuerpflicht gegenüber dem belgischen Fiskus erfüllen könne. Der mit den §§ 850 ff. ZPO bezweckte Schuldnerschutz werde unterlaufen, wenn sie aus dem ihr verbleibenden pfändungsfreien Betrag in Belgien noch Steuern zahlen müsse. Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie

4.610,45 DM zu zahlen,

2. festzustellen, daß die Beklagte ver-

pflichtet ist, ab Dezember 1982 die

Lohnsteueranteile zum Lohn an die

Klägerin auszuzahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich auf den Standpunkt gestellt, nach § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO dürften nur die Steuern, die unmittelbar, also vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer an den Staat abzuführen seien, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens abgezogen werden. § 850 e Nr. 1 Satz 2 Buchst. a und b ZPO seien auf Steuern nicht entsprechend anzuwenden.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Die Klägerin kann die geforderten 4.610,45 DM, die die Beklagte an die Abtretungsgläubigerin gezahlt hat, nicht nach § 611 BGB als restliche Vergütung verlangen. Der Betrag gehörte zum pfändbaren Teil des Arbeitslohns. Diesen hatte die Klägerin wirksam an ihre Bank abgetreten (§§ 398, 400 BGB). Die Beklagte ist somit durch Leistung an die Abtretungsgläubigerin von ihrer Lohnzahlungspflicht freigeworden (§ 362 BGB). Auch das Feststellungsbegehren geht fehl, weil die Beklagte weiterhin so verfahren muß wie bisher.

1. Nach § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO sind für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens Beträge nicht mitzurechnen, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Dazu gehören die vom Arbeitgeber nach § 38 Abs. 3 EStG vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer und die Kirchensteuer. Beträge, die danach unberücksichtigt zu bleiben hatten, fielen bei der Klägerin nicht an. Dies führte dazu, daß das pfändbare Arbeitseinkommen der Klägerin nicht um den Klagebetrag gemindert wurde.

Die Klägerin war von der inländischen Lohn- und Kirchensteuer befreit. Die Freistellungsbescheide des deutschen Finanzamts waren von der Beklagten zu beachten. Diese war somit nicht befugt, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens der Klägerin fiktive Abzüge zu berücksichtigen, die in ihrer Höhe dem entsprachen, was die Klägerin als Lohn- und Kirchensteuer hätte zahlen müssen, wäre sie steuerpflichtig gewesen.

Die Steuer, die die Klägerin dem belgischen Fiskus schuldete, war nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen der Klägerin unmittelbar abzuführen. Eine solche Pflicht der Beklagten entfiel, weil sie nicht im Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart ist. Die Vertragsstaaten haben sich zwar in Art. 27 des Abkommens in bestimmtem Umfang gegenseitig Amtshilfe bei der Steuererhebung versprochen (z. B. Bekanntgabe und Beitreibung der Steuer). Der Abzug der ausländischen Steuer von im Inland verdientem Lohn ist jedoch nicht festgelegt.

Auf andere als "unmittelbar" vom Arbeitgeber abzuführende Steuern ist § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO nicht anwendbar. Dies hat das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 24. Oktober 1979 (BAG 32, 159, 169 = AP Nr. 6 zu § 829 ZPO, Bl. 87O R) für die jährliche Einkommenssteuer entschieden. Daran ist festzuhalten.

2. § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO ist wirksam. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin dagegen, daß die Bestimmung nur die unmittelbar abzuführenden Beträge von der Berücksichtigung ausnimmt, greifen nicht durch. Die Klägerin wird weder in ihrem Recht auf Freizügigkeit noch in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

a) Die der Klägerin nach Art. 48 des EWG-Vertrags zustehende Freizügigkeit wird nicht beeinträchtigt. Nach den Absätzen 1 und 2 dieser Bestimmung ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen abgeschafft. § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO diskriminiert die Klägerin nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit. Die Bestimmung ist auf jeden Vollstreckungsschuldner im Geltungsbereich der Zivilprozeßordnung anwendbar, ohne Rücksicht auf dessen Staatsangehörigkeit (§ 1 und § 3 Abs. 1 EGZPO in Verb. mit § 13 GVG).

b) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) scheidet bereits deshalb aus, weil dieses Grundrecht auf das Bundesgebiet beschränkt ist. Die Ausreisefreiheit wird nicht garantiert.

c) Die Klägerin wird auch nicht in ihrem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.

Zwar gehört die Ausreisefreiheit zur allgemeinen Handlungsfreiheit, stellt sich also als freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG dar. Dieses Grundrecht wird jedoch nur innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört jede formell und materiell verfassungsmäßige Rechtsnorm (BVerfGE 6, 32, 38; 41, 88, 116; 49, 168, 181; 55, 159, 165; 59, 275, 278). § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO ist Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung.

Zwar könnte der Umstand, daß sich der pfändbare Betrag durch die Nichtberücksichtigung der ausländischen Steuern höher errechnet als bei Anwendung des § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO, dazu führen, daß dem Vollstreckungsschuldner nach Befriedigung des ausländischen Steuerfiskus weniger zur Lebensführung verbleibt, als wenn er seinen Wohnsitz nicht ins Ausland verlegt hätte. Dem kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht mit der Erwägung begegnet werden, daß der ausländische Fiskus im Inland kein Gläubigervorrecht genießt. Es liegt auf der Hand, daß der Arbeitnehmer, wenn er aus dem ihm verbleibenden Nettobetrag den ausländischen Steuerfiskus nicht befriedigt und dieser seine Forderung nicht beitreiben kann, mit Zwangsmaßnahmen rechnen muß, die bis zur Ausweisung aus dem Gastland gehen könnten. Diese Risiken werden jedoch durch die Regelung des § 850 f Abs. 1 ZPO abgemildert.

Nach dieser Bestimmung kann das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag von dem pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen dies erfordern und überwiegende Belange der Gläubiger nicht entgegenstehen. Damit soll ein Ausgleich geschaffen werden, wenn der unpfändbare Betrag wegen Belastungen, die nicht nach § 850 e ZPO absetzbar sind, unzureichend erscheint (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 850 e Rz 5; Stöber, Forderungspfändung, 7. Aufl., Rz 1134; BAG 32, 159 = AP Nr. 6 zu § 829 ZPO). Im Verfahren der Zwangsvollstreckung hat der Vollstreckungsschuldner also die Möglichkeit zu erreichen, daß das Vollstreckungsgericht ihm einen weiteren pfändungsfreien Betrag zuspricht. Damit erweist sich § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO jedenfalls bei Berücksichtigung der Regelung des § 850 f Abs. 1 ZPO als verfassungsgemäß.

Ob und gegebenenfalls inwieweit diese im Zwangsvollstreckungsverfahren bestehende Regelung im Falle der Lohnabtretung entsprechend angewendet werden muß, um dem Schuldner im Hinblick auf die Ausreisefreiheit den der ausländischen Steuerschuld entsprechenden Teil des pfändbaren Arbeitseinkommens ganz oder teilweise zu sichern, bedarf keiner Entscheidung. Die Klägerin hat weder die Höhe der von ihr in Belgien zu entrichtenden Steuern noch Umstände vorgetragen, die eine Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen unter den in § 850 f Abs. 1 ZPO genannten Gesichtspunkten ermöglichen würden. Sie besteht vielmehr darauf, daß fiktive deutsche Steuern bereits bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens abgezogen werden.

3. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ist das Leistungsbegehren auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, in analoger Anwendung des § 850 e Nr. 1 Satz 2 Buchst. a und b ZPO die von der Klägerin zu entrichtende Steuer abzuziehen.

Nach dieser Bestimmung stehen den unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften abzuführenden Beträgen die Beträge gleich, die der Vollstreckungsschuldner für den Auszahlungszeitraum nach den Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze zur Weiterversicherung entrichtet oder an eine Ersatzkasse oder ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung leistet, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Die Berufung darauf geht schon deshalb fehl, weil die Klägerin auch bei entsprechender Anwendung des § 850 e Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a und b ZPO das von ihr verfolgte Ziel nicht erreichen könnte.

Als Soziallasten sind nach dieser Bestimmung nur Beiträge abzuziehen, die der Vollstreckungsschuldner nachweislich zur Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder an Ersatzkassen oder private Krankenversicherungen leistet (vgl. Stöber, aaO, Rz 1135). Die analoge Anwendung würde also voraussetzen, daß die Klägerin vorträgt, in welcher Höhe sie in Belgien Steuern zahlt. Dies hat sie jedoch während des ganzen Rechtsstreits vermieden. Wie der Feststellungsantrag zeigt, begehrt die Klägerin nicht die Berücksichtigung der Aufwendungen, die ihr durch die Erfüllung ihrer Steuerpflicht in Belgien tatsächlich entstehen, sondern eines der deutschen Lohn- und Kirchensteuer entsprechenden fiktiven Betrags. Diese Rechtsfolge wäre jedoch der am Aufwendungsgedanken orientierten Bestimmung des § 850 e Nr. 1 Satz 2 ZPO auch dann nicht zu entnehmen, wenn man sie bei Auslandsbesteuerung entsprechend anwenden könnte.

II. Der Klageanspruch ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) begründet.

1. Der Klägerin ist kein Schaden entstanden. Durch die Abführung der umstrittenen Beträge an die Abtretungsgläubigerin ist ihr ein gleichwertiger Vorteil zugefallen. Sie ist durch diese Zahlungen von ihrer Schuld gegenüber der Abtretungsgläubigerin freigeworden. Für einen sonstigen Schaden, der ihr dadurch entstanden sein könnte, daß die gezahlten Beträge ihrer Verfügung vorenthalten wurden, hat die Klägerin nichts vorgetragen.

2. Im übrigen hat die Beklagte aber auch keine schuldhafte Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten begangen.

Die Beklagte ist bei Errechnung des pfändbaren Betrags richtig verfahren. Aufgrund der Angaben, die die Klägerin ihr gemacht hatte, mußte sie die Beträge, die als deutsche Lohn- und Kirchensteuer einzubehalten gewesen wären, wenn die Klägerin im Inland steuerpflichtig gewesen wäre, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens unberücksichtigt lassen.

Zu einem besonderen Hinweis auf die Rechtslage nach § 850 e Nr. 1 Satz 1 ZPO beim Wohnsitzwechsel ins Ausland war die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht verpflichtet. Die Umstände des Falles lassen nicht erkennen, daß die Beklagte nach § 242 BGB Anlaß zu aufklärenden Hinweisen an die Klägerin hatte.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO und bezüglich der Streithilfe aus § 101 Abs. 1 ZPO.

Dr. Dieterich Schaub Dr. Peifer

zugleich für den

Ehrenamtl. Rich-

ter Dr. Hromadka, Lichtenstein

dessen Amtszeit

geendet hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 438638

DB 1986, 1399-1400 (LT1)

NJW 1986, 2208

NJW 1986, 2208-2209 (LT1)

ARST 1987, 43-44 (LT1)

RdA 1986, 268

AP § 850e ZPO (LT1), Nr 1

AR-Blattei, ES 1130 Nr 61 (LT)

AR-Blattei, Lohnpfändung Entsch 61 (LT)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge