Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe. Rentenversicherungsbeiträge

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Aufstockungsleistung des Arbeitgebers zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung eines Beziehers von Überbrückungsbeihilfe ist in § 4 TV SozSich nicht geregelt. § 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich bestimmt lediglich eine Aufstockungszahlung in Höhe der auf die Überbrückungbeihilfe entfallenden anteiligen Lohnsteuer.

2. Die Ausgestaltung der Überbrückungsbeihilfe ist nicht gleichheitswidrig.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.04.2002; Aktenzeichen 5 Sa 135/02)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 05.12.2001; Aktenzeichen 4 Ca 773/01)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. April 2002 – 5 Sa 135/02 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die tarifliche Überbrückungsbeihilfe um freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung des Klägers aufzustocken.

Der Kläger war bis zum 31. Oktober 1995 als technischer Angestellter bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde wegen einer Maßnahme der Reduzierung der Streitkräfte zum 31. Oktober 1995 beendet. Seit dem ist der Kläger arbeitslos. Er bezieht Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (fortan: TV SozSich).

Der TV SozSich lautet auszugsweise wie folgt:

㤠3

Eingliederung

1. Der entlassene Arbeitnehmer soll möglichst sofort in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert werden.

§ 4

Überbrückungsbeihilfe

1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:

  1. Zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
  2. zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld),

3.

  1. Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Ziffer 1b) und der gesetzlichen Kranken- oder Unfallversicherung (Ziffer 1c) ist die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Bemessungsgrundlage nach vorstehendem Abs. a). Bei der fiktiven Berechnung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge ist von den für den Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Zahlung der Überbrückungsbeihilfe maßgeblichen Steuer- und Versicherungsmerkmalen – jedoch ohne Berücksichtigung von auf der Steuerkarte aufgetragenen Freibeträgen – auszugehen.

4. Die Überbrückungsbeihilfe beträgt:

im 1. Jahr nach der Beendigung des

Arbeitsverhältnisses 100 v.H.,

vom 2. Jahr an 90 v.H.

des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage (Ziffer 3a oder b) und den Leistungen gem. vorstehenden Ziffern 1 und 2.

Wird die Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit oder der gesetzlichen Kranken- oder Unfallversicherung gezahlt, so ist sie um den zur Deckung der Lohnsteuer erforderlichen Betrag aufzustocken.

…”

Der Kläger erhielt im Jahr 2000 neben der Arbeitslosenhilfe eine monatliche Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 1.418,74 DM (= 725,39 Euro). Seit dem 1. Januar 2000 gelten gemäß § 166 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI die realbezogenen Leistungen eines Arbeitslosen als Bemessungsgrundlage für die Höhe der von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) abzuführenden Rentenversicherungsbeiträge. Zuvor waren diese Beträge nach § 166 Buchst. b AFG iVm. § 1385 Buchst. a RVO anhand des Mittelwertes der letzten Arbeitsentgelte zu berechnen. Auf Grund dieser Gesetzesänderung verminderte sich die Beitragszahlung der BA um insgesamt 3.842,64 Euro.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nach der Neuregelung der Beitragsbemessung für die gesetzliche Rentenversicherung beim Bezug von Arbeitslosenhilfe sei er gehalten, durch freiwillige Beiträge zu erwartende Rentennachteile auszugleichen. Das könne nur zu Lasten seines derzeitigen Einkommens erfolgen. Damit verbliebe ihm nicht mehr das durch den TV SozSich garantierte Nettoeinkommen in Höhe der zuletzt erzielten tariflichen Grundvergütung. Infolgedessen sei der TV SozSich nachträglich lückenhaft geworden. Die Tariflücke könne nur durch eine entsprechende Aufstockung der Überbrückungsbeihilfe geschlossen werden. Die Bemessung der Überbrückungsbeihilfe benachteilige zudem die arbeitslosen Empfänger dieser Leistung gegenüber den erwerbstätigen Leistungsberechtigten.

Der Kläger hat beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.842,64 Euro (= 7.515,55 DM) als Rentenversicherungsbeitrag für das Jahr 2000 auf das Rentenkonto bei der LVA Rheinland-Pfalz, Versicherungsnummer 56 240143 E 000 zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, für das Klagebegehren gebe es keine tarifliche Anspruchsgrundlage. Der Kläger werde gegenüber anderen Empfängern von Leistungen nach dem TV SozSich nicht ungerecht behandelt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Für das Begehren des Klägers ist eine Anspruchsgrundlage nach den Bestimmungen der §§ 1 ff., 4 ff. TV SozSich nicht gegeben.

a) Der bei der Tarifauslegung in erster Linie zu berücksichtigende Wortlaut der Tarifnorm (st. Rspr., vgl. BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82BAGE 46, 308) läßt keine Verpflichtung der Beklagten zur Aufstockung der Rentenversicherungsbeiträge erkennen. Eine solche Aufstockungsleistung zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung eines Beziehers von Überbrückungsbeihilfe ist in § 4 TV SozSich nicht geregelt. § 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich bestimmt lediglich eine Aufstockungszahlung in Höhe der auf die Überbrückungbeihilfe entfallenden anteiligen Lohnsteuer.

b) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt eine tarifliche Lücke. § 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich regelt die zu erbringenden Aufstockungszahlungen abschließend. Das schließt eine Aufstockung der Überbrückungshilfe zur Vermeidung rentenrechtlicher Nachteile bei einem arbeitslosen Leistungsberechtigten aus.

aa) Nach der Rspr. des Senats (20. Mai 1999 – 6 AZR 451/97 – BAGE 91, 358, 364) soll die Überbrückungsbeihilfe dazu beitragen, daß ein Arbeitnehmer, der wegen einer Verringerung der Stationierungsstreitkräfte seinen Arbeitsplatz verliert, baldmöglichst in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert wird. Dieser Zeitraum soll durch die Zahlung der im TV SozSich geregelten finanziellen Hilfen überbrückt werden. Bei Arbeitslosen knüpft die Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Nr. 4, Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b TV SozSich an die gesetzlich bestimmten Lohnersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung an (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe). Nach mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit bemiß sich ihre Höhe nach dem Differenzbetrag zwischen einer solchen Leistung und 90 vH der zuletzt bezogenen, um die gesetzlichen Abzüge geminderten tariflichen Grundvergütung.

bb) Aufstockungszahlungen bestimmt § 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich nur zum Ausgleich von Nachteilen, die Folge der Lohnsteuerpflichtigkeit der Überbrückungsbeihilfe sind. Die Überbrückungsbeihilfe unterliegt der Lohnsteuerpflicht. Ohne die Regelung eines entsprechenden Aufstockungsbetrages hätte die Überbrückungsbeihilfe nicht das in § 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich geregelte Niveau des letzten tariflichen Nettoentgelts erreichen können. Das entsprach jedoch dem Regelungsziel der Tarifvertragsparteien, nach dem einem arbeitslosen Bezieher von Überbrückungsbeihilfe nach mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit einschließlich der gesetzlichen Lohnersatzleistungen ein Betrag in Höhe von 90 vH des letzten, der tariflichen Grundvergütung entsprechenden Nettoeinkommens zur Verfügung stehen sollte. Dieses Ziel konnte nur durch die Aufstockung der Überbrückungsbeihilfe erreicht werden (BAG 20. Mai 1999 – 6 AZR 451/97BAGE 91, 358, 366).

cc) Diese Regelung ist abschließend. Weitere Ausgleichsleistungen sind nach dem in § 4 Nr. 4 TV SozSich zum Ausdruck kommenden Willen der Tarifvertragsparteien ausgeschlossen. Das gilt auch für die Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich rentenrechtlicher Nachteile für langjährig arbeitslose Bezieher einer Überbrückungsbeihilfe. Nach § 4 Nr. 4 TV SozSich soll zwar dem entlassenen und danach arbeitslosen Bezieher von Überbrückungsgeld ein Einkommen gewährleistet sein, wie er es bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften entsprechend dem letzten Nettoeinkommen erzielt hätte. Dieser Tarifbestimmung fehlt aber jeder Bezug zu einer rentenversicherungsrechtlichen Gleichstellung zwischen einem arbeitslosen Bezieher von Überbrückungsbeihilfe und einem fortdauernd erwerbstätigen Arbeitnehmer. Zur rentenversicherungsrechtlichen Absicherung der Arbeitslosigkeit haben die Tarifvertragsparteien keine Regelung getroffen. Diese fällt damit in den Verantwortungsbereich des Entlassenen. Er allein soll abhängig von den zu erwartenden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und seiner persönlichen Erwerbsbiographie eigenverantwortlich für den Versicherungsfall des Alters vorsorgen und hierfür die ihm zustehenden Einkünfte entsprechend verwenden oder nicht.

c) Der TV SozSich ist durch die Änderung der Beitragsbemessungsgrundlage für die Zahlung von Rentenbeiträgen aus der Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2000 nicht lückenhaft geworden.

aa) Eine Regelungslücke kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil eine gesonderte rentenrechtliche Absicherung des arbeitslosen Beziehers von Überbrückungsgeld nicht Gegenstand der tariflichen Leistung ist und jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, daß die Tarifvertragsparteien eine rentenrechtliche Gleichstellung mit einem erwerbstätigen Bezieher von Überbrückungsgeld angestrebt haben oder ihn in rentenrechtlicher Hinsicht gegenüber sonstigen Beziehern von Arbeitslosenhilfe begünstigen wollten.

bb) Zur Begründung seiner gegenteiligen Rechtsansicht kann sich der Kläger nicht auf die Entscheidung des Senats vom 20. Mai 1999 (– 6 AZR 451/97 – BAGE 91, 358) berufen. Danach ist im Wege richterlicher Rechtsfortbildung die Überbrückungsbeihilfe, die einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte zum Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe gezahlt wird, nicht nur um die zur Deckung der Lohnsteuer erforderlichen Beträge aufzustocken (§ 4 Nr. 4 Satz 2 TV SozSich), sondern über den Wortlaut der Tarifnorm hinaus auch um solche zur Deckung der Einkommensteuer, die auf dem durch das Zusammentreffen von Arbeitslosengeld und Überbrückungsbeihilfe ausgelösten Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG beruht. Die erst nach Inkrafttreten des TV SozSich erfolgte Änderung des Steuerrechts und die damit einhergehende Erstreckung des Progressionsvorbehalts auf Arbeitslosengeld im Jahr 1982 hat den TV SozSich nachträglich lückenhaft werden lassen, da § 4 Nr. 4 TV SozSich bestimmte, daß die Überbrückungsbeihilfe dem Entlassenen im Ergebnis steuerlich ungeschmälert zur Verfügung stehen sollte. Diese Regelungslücke konnte unter Berücksichtigung des Tarifzwecks geschlossen werden. Ein solcher Anknüpfungspunkt fehlt hinsichtlich solcher Einkommensminderungen, die ihre Grundlage im Sozialversicherungsrecht haben.

cc) Demgegenüber würde die von der Revision geltend gemachte Auslegung in nicht zulässiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie eingreifen. Diese hindert zwar nicht eine ergänzende Auslegung tariflicher Regelungen. Eine solche kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die Tarifvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – eine an sich regelungsbedürftige Frage bewußt ungeregelt lassen und dies in einer entsprechenden Auslassung zum Ausdruck bringen. Liegt eine solche Regelungslücke vor, ist ihre Ausfüllung durch die Gerichte unzulässig, weil sie einen Eingriff in die Tarifautonomie darstellen würde (BAG 24. Februar 1988 – 4 AZR 614/87BAGE 57, 334 mwN). Lediglich im Falle einer unbewußten Regelungslücke haben die Gerichte grundsätzlich die Möglichkeit und die Pflicht (vgl. insoweit BAG 23. Januar 1980 – 4 AZR 105/78BAGE 32, 364, 369) diese zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben (BAG 24. Februar 1988 – 4 AZR 614/87 – aaO; 10. Dezember 1986 – 5 AZR 517/85BAGE 54, 30, 35; 3. November 1998 – 3 AZR 432/97 – AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 41 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 31, zu I 2 a der Gründe jeweils mwN).

2. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Ausgestaltung der Überbrückungsbeihilfe auch nicht gleichheitswidrig.

Eine Verletzung des Gleichheitssatzes kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Betracht, wenn es die Tarifvertragsparteien versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89BAGE 67, 264, 272). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht den Tarifvertragsparteien im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Befugnis zur Regelung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen ein weiter Regelungsspielraum zur Verfügung. Eine Ungleichbehandlung ist ihnen allerdings verwehrt, wenn sich für das differenzierende Merkmal kein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund finden läßt.

Die unterschiedliche Ausgestaltung der jeweiligen Berechnungsgrundlagen in § 4 TV SozSich ist aber geeignet, einen Anreiz für jene Empfänger der Überbrückungsbeihilfe zu schaffen, sich darum zu bemühen, möglichst rasch wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden (vgl. § 3 Nr. 1 TV SozSich). Damit liegt ein ausreichend sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung vor. Die Regelung über die Begrenzung der Höhe der tariflichen Leistung entspricht auch dem aus den § 1 ff. TV SozSich deutlich werdenden Bestreben, die Leistungsdauer der Überbrückungsbeihilfe der – aus ihrer Bezeichnung ersichtlichen – Zwecksetzung gemäß möglichst zu verkürzen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, D. Knauß, Beus

 

Fundstellen

Haufe-Index 1134499

ZTR 2004, 321

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