Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe. Ausschluß bei Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Stationierungsstreitkräfte

 

Orientierungssatz

Die Regelung in § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich, nach der nur Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen zum Bezug des Altersruhegeldes oder des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen, Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe haben, erfaßt auch die Rente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI. Der tarifliche Ausschlußtatbestand ist auch erfüllt, wenn die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente mit Rentenabschlägen verbunden ist.

 

Normenkette

Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 2; Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 8; SGB VI §§ 35-39, 187a, 237; AVG § 25 Abs. 2; RVO § 1248 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.11.2001; Aktenzeichen 6 Sa 618/01)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 05.04.2001; Aktenzeichen 2 Ca 321/01)

 

Tenor

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich).

Der am 4. September 1940 geborene Kläger war bis zum 31. Oktober 1996 als ziviler Arbeitnehmer bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 28. März 1996. Ein dem Kläger bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehändigtes Merkblatt zur Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich enthält den Hinweis, daß für die rechtliche Beurteilung der Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfe der TV SozSich maßgebend ist.

Ab November 1996 bezog der Kläger zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) Überbrückungsbeihilfe. In einem Schreiben vom 3. Juni 1997 teilte das Amt für Verteidigungslasten dem Kläger ua. mit, daß er vorbehaltlich der tarifvertraglichen Voraussetzungen voraussichtlich bis zum 30. September 2005 Leistungen nach dem TV SozSich erhalten werde. Im TV SozSich heißt es:

“§ 2

Anspruchsvoraussetzungen

Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer,

die

2. im Zeitpunkt der Entlassung

d) die Voraussetzungen zum Bezug des Altersruhegeldes oder des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen, und …

§ 8

Ausschluß der Zahlung und Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfen und Beitragszuschüsse

1) Überbrückungsbeihilfe und Beitragszuschuß werden nicht gezahlt für Zeiten,

c) nach Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Voraussetzungen zum Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt …”

Der Kläger hat mit der Vollendung seines 60. Lebensjahres am 4. September 2000 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Bezug der Rente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI erfüllt. Er beantragte diese Rente nicht, sondern bezog weiterhin Arbeitslosenhilfe. Die Beklagte zahlte ihm ab Oktober 2000 keine Überbrückungsbeihilfe mehr.

Der Kläger hat gemeint, ihm stehe trotz seines Anspruchs auf Rente wegen Arbeitslosigkeit über den September 2000 hinaus Überbrückungsbeihilfe zu. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien ihm Leistungen nach dem TV SozSich auf der Grundlage des damals geltenden Rentenrechts zugesagt worden. Der tarifliche Anspruchsausschluß erfasse nicht die Rente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI. Bei einer Inanspruchnahme dieser Rente vor dem 1. Juli 2004 habe er erhebliche Rentenabschläge auch für den Bezug der Regelaltersrente hinzunehmen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab Oktober 2000 bis zum 1. Juli 2004 Überbrückungsbeihilfe zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht über den September 2000 hinaus keine Überbrückungsbeihilfe mehr zu.

1. Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden Rentenrechts. Eine darauf gerichtete Vereinbarung hat er nicht schlüssig dargelegt. Überdies hat ihn die Beklagte im Merkblatt zur Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich und im Schreiben vom 3. Juni 1997 darauf hingewiesen, daß sich der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe allein nach den tariflichen Vorschriften bestimmt. Auch dies spricht gegen eine gesonderte vertragliche Abrede.

2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Zahlung von Überbrückungsbeihilfe ab Oktober 2000 die negative Anspruchsvoraussetzung des § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich entgegensteht. Nach dieser Tarifvorschrift haben nur Arbeitnehmer Anspruch auf die tariflichen Leistungen, die die Voraussetzungen zum Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen. Daran fehlt es. Mit der Vollendung seines 60. Lebensjahres am 4. September 2000 hat der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Bezug einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erfüllt. Die Beklagte hatte dem Kläger deshalb gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich ab Oktober 2000 keine Überbrückungsbeihilfe mehr zu zahlen. Diese Tarifvorschrift erfaßt auch die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach dem ab 1. Januar 2000 geltenden Recht der gesetzlichen Rentenversicherung.

a) Vor der mit 65 Jahren zustehenden Regelaltersrente nach § 35 SGB VI kann eine Altersrente zu einem früheren Zeitpunkt als Altersrente für langjährig Versicherte ab Vollendung des 62. Lebensjahres (§ 36 SGB VI) oder als Altersrente für Schwerbehinderte ab Vollendung des 63. Lebensjahres (§ 37 SGB VI) oder als Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (§ 237 SGB VI) oder als Altersrente für Frauen (§ 39 SGB VI) jeweils ab Vollendung des 60. Lebensjahres beansprucht werden. § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich knüpft für den Ausschluß des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe an diese gesetzlichen Tatbestände an (BAG 30. März 2000 – 6 AZR 645/98 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 33 = EzA TVG § 4 Stationierungsstreitkräfte Nr. 7, zu II 2 der Gründe; 26. September 2002 – 6 AZN 462/02 – zu II 2 der Gründe). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Neue beachtliche Gesichtspunkte zur Auslegung des Tarifbegriffs des vorgezogenen Altersruhegeldes hat der Kläger nicht vorgebracht.

b) Die Rente wegen Arbeitslosigkeit ist allerdings nicht mehr in § 38 SGB VI, sondern seit dem 1. Januar 2000 in § 237 SGB VI geregelt. Durch Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 – RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998, 3000) ist die frühere Vorschrift § 38 SGB VI zum Bezug eines vorgezogenen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit mit Wirkung zum 1. Januar 2000 aufgehoben worden. § 237 SGB VI entspricht jedoch in der ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung für die Jahrgänge bis 1951 hinsichtlich der maßgebenden Anspruchsvoraussetzungen dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden § 38 SGB VI. Diese Änderung führt deshalb entgegen der Auffassung des Klägers nicht dazu, daß diese Rentenart nicht mehr von § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich erfaßt wird. § 237 SGB VI ist wie zuvor § 38 SGB VI eine Nachfolgeregelung zu § 25 Abs. 2 AVG und zu § 1248 Abs. 2 RVO, die bis zum 31. Dezember 1991 den Anspruch auf eine vorzeitige Rente wegen Arbeitslosigkeit regelten.

c) Für den tariflichen Ausschlußtatbestand kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die Höhe der gesetzlichen Rente an. Die Voraussetzungen für den Ausschluß der Überbrückungsbeihilfe nach § 8 Nr. 1 Buchst. c TV SozSich liegen auch dann vor, wenn der Bezug einer Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres zu Rentenabschlägen führt.

aa) Nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift, auf den es bei der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags zunächst ankommt (BAG 27. Juni 2002 – 6 AZR 378/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 18, zu A IV 1 der Gründe) , schließt nicht nur der Anspruch auf eine unverminderte Rente die tariflichen Leistungen aus. § 2 Nr. 2 Buchst. d TV SozSich spricht von “vorgezogenem Altersruhegeld” und nicht von “unvermindertem Altersruhegeld” oder “Altersruhegeld ohne Rentenabschläge”. Die Tarifbestimmung für den Ausschluß des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe knüpft allein an den Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld und nicht an die Höhe dieser Renten an. Dabei waren sich die Tarifvertragsparteien bewußt, daß der Bezug einer Altersrente stets mit einer Absenkung des Einkommens verbunden ist (BAG 30. März 2000 – 6 AZR 645/98 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 33 = EzA TVG § 4 Stationierungsstreitkräfte Nr. 7, zu II 2 der Gründe; 26. September 2002 – 6 AZN 462/02 – zu II 2 der Gründe).

bb) Sinn und Zweck der tariflichen Regelung bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Die Überbrückungsbeihilfe dient dazu, einen während eines Arbeitsverhältnisses oder der Arbeitslosigkeit auftretenden Bedarf älterer Arbeitnehmer oder Arbeitsloser für die Sicherung ihres Lebensunterhalts zu überbrücken. Sie bezweckt nicht, eine nach der Beendigung des Erwerbslebens zustehende und als unzureichend empfundene Altersrente zu ergänzen (BAG 30. März 2000 – 6 AZR 645/98 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 33 = EzA TVG § 4 Stationierungsstreitkräfte Nr. 7, zu II 3c bb der Gründe). Bei Arbeitnehmern, die bereits die Voraussetzungen für eine gesetzliche Altersrente erfüllen, geht die Tarifregelung davon aus, daß eine Sicherung des Lebensunterhalts im Hinblick auf den zeitlich begrenzten Sinn und Zweck der Überbrückungsbeihilfe nicht in Betracht kommt. Die Tarifvertragsparteien haben im Rahmen der Zwecksetzung ihrer Regelung trotz möglicherweise erheblicher Unterschiede der individuellen Rentenbeträge für den Ausschluß des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe typisierend an die Berechtigung zum Bezug einer vorgezogenen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angeknüpft. Sie konnten zwar bei Abschluß des TV SozSich am 31. August 1971 von den späteren Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung keine Kenntnis haben. Ihnen waren jedoch die verschiedenen Rentenarten und die unterschiedliche Höhe gesetzlicher Renten bekannt. Gleichwohl haben sie nicht darauf abgestellt, ob die zu erwartende Rente tatsächlich die Aufrechterhaltung des Lebensstandards gewährleisten kann. Nach Einführung der Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente haben sie den TV SozSich nicht geändert, sondern sind davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber dem Versorgungsinteresse des Rentenberechtigten auch bei einer gekürzten Rente ausreichend Rechnung getragen hat. Soweit eine ausreichende Versorgung durch die gesetzliche Rente mit oder ohne Rentenminderung nicht besteht, ist eine daraus entstehende Härte anders auszugleichen als durch die tarifliche Überbrückungsbeihilfe (BAG 30. März 2000 – 6 AZR 645/98 – aaO, zu II 3c bb der Gründe). Insoweit besteht für den Kläger nach § 187a SGB VI die Möglichkeit, durch die Zahlung freiwilliger Beiträge die Rentenabschläge infolge einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente wegen Arbeitslosigkeit ganz oder teilweise zu vermeiden.

 

Unterschriften

Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, D. Knauß, Beus

 

Fundstellen

NZA 2004, 1239

ZTR 2004, 91

PersR 2004, 365

NJOZ 2004, 3769

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