Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf Reisekostenvergütung bei Tarifbindung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Verzicht eines Angestellten auf die Erstattung von Reisekosten im Rahmen des § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O ist nicht wirksam.

 

Normenkette

TVG § 1 Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; BGB §§ 134, 288 Abs. 1, § 397; BBesG § 2 Abs. 3; BAT-O § 42 Abs. 1 S. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 19.04.2002; Aktenzeichen 3 Sa 134/01)

ArbG Dresden (Urteil vom 05.12.2000; Aktenzeichen 7 Ca 4216/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erstattung von Reisekosten.

Die Klägerin ist beim Beklagten als Lehrerin tätig. Kraft beiderseitiger Tarifbindung finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifrechtliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. In § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O heißt es:

“Für die Erstattung von

a) Auslagen für Dienstreisen und Dienstgänge (Reisekostenvergütung),

sind die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden.”

Die Reisekostenvergütung der Beamten des Beklagten regelt das Sächsische Gesetz über die Reisekostenerstattung der Beamten und Richter (Sächsisches Reisekostengesetz – SächsRKG) vom 8. Juli 1998 (SächsGVBl. S. 346).

Die Klägerin beantragte im November 1999 die Genehmigung für eine Dienstreise wegen einer Klassenfahrt zu einer Jugendfreizeitstätte. Das Antragsformular enthielt einen vorgedruckten Verzicht auf Erstattung von Reisekostenvergütung nach Maßgabe des SächsRKG, soweit die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für eine Abrechnung der anfallenden Kosten ggf. nicht ausreichend sind. Nach der Durchführung der genehmigten Klassenfahrt im Dezember 1999 verlangte die Klägerin Erstattung von Fahrt- und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 187,00 DM.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe einen tariflichen Anspruch auf die Erstattung ihrer Reisekosten nach den Vorschriften des SächsRKG. Ihr Verzicht auf Reisekostenvergütung sei nicht wirksam.

Die Klägerin hat beantragt

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 187,00 DM (= 95,61 Euro) nebst 4 % Zinsen seit dem 26. März 2000 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

I. Der Anspruch auf Erstattung von Reisekosten folgt aus § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BAT-O.

1. Nach dieser Tarifvorschrift sind für die Erstattung von Auslagen für Dienstreisen und Dienstgänge (Reisekostenvergütung) die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden. Eine derartige Verweisung auf die beamtenrechtlichen Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Erlasse) in einer Tarifnorm ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig (13. Februar 2003 – 6 AZR 411/01 – NZA 2003, 1034, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu 1 der Gründe; 19. Oktober 2000 – 6 AZR 206/99 – ZTR 2001, 470, zu II 1 der Gründe; 25. Juli 1996 – 6 AZR 683/95 – BAGE 83, 311, 315, 316 mwN; 16. Februar 1989 – 6 AZR 289/87 – AP BAT § 42 Nr. 9, zu II 1 der Gründe).

2. Einer solchen Verweisung steht § 1 Abs. 2 TVG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift bedürfen Tarifverträge der Schriftform. Das dient der Normenklarheit. Die Tarifunterworfenen sollen den Inhalt eines Tarifvertrags anhand einer Urkunde erkennen können. Der Tarifinhalt wird auch dann eindeutig festgelegt und die notwendige Klarheit erreicht, wenn auf andere schriftliche Bestimmungen verwiesen wird (BAG 16. Februar 1989 – 6 AZR 289/87 – AP BAT § 42 Nr. 9, zu II 1 der Gründe).

3. Damit finden die Regelungen des SächsRKG einschließlich der hierzu ergangenen Durchführungsverordnungen und Erlasse Anwendung. Diese Bestimmungen gelten auf Grund der Verweisung als tarifliche Rechtsnormen. Ein darauf gerichteter Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass die beamtenrechtlichen Reisekostenvorschriften des Beklagten ohne die Übernahme in § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O für die dem BAT-O unterworfenen Angestellten nicht gelten würden (vgl. BAG 27. August 1982 – 7 AZR 190/80 – BAGE 40, 102, 106).

II. Die Parteien sind tarifgebunden. Die Klägerin konnte wegen § 4 Abs. 1 TVG nicht wirksam auf den tariflichen Anspruch auf Reisekostenvergütung verzichten.

1. Der BAT-O ordnet den Inhalt des Arbeitsverhältnisses der beiderseits tarifgebundenen Parteien. Für sie gelten die Regelungen des SächsRKG auf Grund der Verweisung in § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend. Das schließt einen Verzicht auf künftig entstehende tarifliche Rechte aus. Die zwingende Wirkung einer Tarifnorm besteht darin, dass widersprechende arbeitsvertragliche Abreden wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig sind.

2. Die Voraussetzungen, nach denen § 4 Abs. 3 TVG abweichende Vereinbarungen gestattet, liegen nicht vor.

a) Nach dieser Vorschrift sind abweichende Abmachungen ua. zugunsten des Arbeitnehmers zulässig. Der von der Klägerin erklärte teilweise Verzicht auf Reisekostenvergütung ist keine dem Arbeitnehmer günstigere Vereinbarung. Als Erlassvertrag bringt er den Anspruch auf Reisekostenvergütung nach § 397 Abs. 1 BGB in dem vereinbarten Umfang zum Erlöschen. Das ist eine Vereinbarung zu Lasten der Klägerin.

b) § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BAT-O gestattet auch keine von den übernommenen beamtenrechtlichen Reisekostenbestimmungen abweichenden Abmachungen iSv. § 4 Abs. 3 TVG. Die Tarifvorschrift enthält keine Öffnungsklausel für einen Verzicht auf Reisekostenvergütung.

aa) Das folgt schon aus dem Wortlaut der Tarifvorschrift, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt (st. Rspr., BAG 27. Juni 2002 – 6 AZR 209/01 – AP BAT § 29 Nr. 18, zu A II 2a der Gründe; 27. Juni 2002 – 6 AZR 378/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 18, zu A IV 1 der Gründe). Danach sind für die Erstattung von Auslagen für Dienstreisen und Dienstgänge (Reisekostenvergütung) die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden. Ein Wille der Tarifvertragsparteien zur Öffnung für andere arbeitsvertragliche Abmachungen hat im Wortlaut der Tarifnorm keinen Niederschlag gefunden.

Wegen der entsprechenden Anwendbarkeit der für die Beamten des Arbeitgebers geltenden Bestimmungen wäre vom Wortsinn des § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BAT her auch eine abweichende Abmachung iSv. § 4 Abs. 3 TVG denkbar, die aus einer in Bezug genommenen beamtenrechtlichen Bestimmung folgt. Die für die Beamten des Beklagten geltenden Reisekostenvorschriften sehen abweichende Abmachungen nicht vor. Sie enthalten keine Regelung, wonach der Beamte auf die Erstattung der Reisekostenvergütung ganz oder teilweise verzichten kann.

bb) Die Zulässigkeit eines Verzichts auf Reisekosten für die dem BAT-O unterworfenen Angestellten kann auch nicht aus § 2 Abs. 3 Halbsatz 1 BBesG abgeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte, Richter oder Soldat auf die ihm gesetzlich zustehende Besoldung weder ganz noch teilweise verzichten. Ob daraus im Wege des Umkehrschlusses herzuleiten ist, dass der Verzicht eines Beamten auf Reisekosten wirksam ist, bedarf keiner Entscheidung. § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BAT-O bezieht sich als reine Verweisungsnorm nur auf die für die Erstattung von Reisekosten geltenden beamtenrechtlichen Bestimmungen. Die Tarifvorschrift erstreckt sich nicht auf sonstige beamtenrechtliche Vorschriften außerhalb des Reisekostenrechts. Sie fingiert auch nicht, dass der Angestellte im Reisekostenrecht als Beamter gilt. Damit deckt sie einen Rückgriff auf allgemeine ungeschriebene beamtenrechtliche Grundsätze nicht ab. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob eine solche Verweisung den Tarifinhalt bezüglich der Erstattung von Reisekosten noch eindeutig festgelegt und damit dem Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG genügt.

cc) Sinn und Zweck der Tarifvorschrift stehen mit diesem Auslegungsergebnis im Einklang. Verweist ein Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes – wie hier § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O – auf die für die Beamten des Arbeitgebers geltenden Bestimmungen, soll dem Arbeitnehmer insoweit dieselbe Rechtsstellung wie dem Beamten eingeräumt werden (BAG 13. Februar 2003 – 6 AZR 411/01 – NZA 2003, 1034, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu 1 der Gründe; 21. November 1996 – 6 AZR 222/96 – AP BAT § 2 SR 2d Nr. 1, zu II 1 der Gründe). § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O dient der Vereinheitlichung und Vereinfachung der Erstattung von Reisekosten. Die Übernahme der für die Beamten des Arbeitgebers geltenden Bestimmungen soll gewährleisten, dass der Angestellte hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und der Dauer der zu gewährenden Leistungen nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt wird als der vergleichbare Beamte. Ein Gefälle sozialer Leistungen zwischen Beamten und Angestellten soll vermieden werden (BAG 16. Februar 1989 – 6 AZR 289/87 – AP BAT § 42 Nr. 9, zu II 1 der Gründe). Die tarifliche Verweisung will zudem die Erstattung von Reisekosten vereinfachen. Der Arbeitgeber soll in den Stand versetzt werden, seine in den verschiedenen Behörden und Dienststellen zusammenarbeitenden Beamten und Angestellten nach denselben Rechtsnormen zu behandeln (BAG 16. Januar 1985 – 7 AZR 270/82 – AP BAT § 44 Nr. 9, zu 2 der Gründe).

Dieser tarifliche Regelungszweck wird auch erreicht, wenn bei beiderseitiger Tarifbindung die übernommenen Reisekostenbestimmungen unmittelbar und zwingend gelten und abweichende Abmachungen iSv. § 4 Abs. 3 TVG nicht zulässig sind. Für die Zielsetzung der tariflichen Verweisung, die Reisekostenvergütung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, des Umfangs und der Dauer für die Beamten und Angestellten zu vereinheitlichen und die Erstattung von Reisekosten im Interesse des Arbeitgebers zu vereinfachen, ist die Wirksamkeit eines Verzichts auf die Reisekostenvergütung ohne Bedeutung. Ein aus § 2 Abs. 3 BBesG abgeleiteter allgemeiner beamtenrechtlicher Grundsatz, wonach einem Beamten ein Verzicht auf Reisekostenvergütung möglich sein soll, steht in keinem Zusammenhang mit der von § 42 Abs. 1 Satz 1 BAT-O beabsichtigten Vermeidung eines Gefälles sozialer Leistungen zwischen Beamten und Angestellten. Er beeinträchtigt auch nicht die bezweckte Vereinfachung des Reisekostenrechts. Unterschiedliche Rechtsfolgen des Verzichts eines Beamten und eines tarifgebundenen Angestellten hätten ihren Ursprung nicht im Reisekostenrecht, sondern im Besoldungs- und Tarifrecht. Sie beruhten auf den verschiedenen Ordnungs- und Regelungsbereichen für die Angestellten und die Beamten.

III. Der Beklagte hat der Klägerin nach den in § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BATO in Bezug genommenen Reisekostenbestimmungen weitere Reisekosten in Höhe von insgesamt 187,00 DM (95,61 Euro) zu zahlen.

Der Klägerin steht nach § 5 Abs. 1 und Abs. 4 SächsRKG Fahrtkostenerstattung, nach § 9 Abs. 1 SächsRKG Erstattung von Übernachtungskosten und nach § 12 SächsRKG Erstattung von Nebenkosten, insgesamt in unstreitiger Höhe von 187,00 DM (= 95,61 Euro), zu.

IV. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 291 BGB in der bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung.

 

Unterschriften

Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Wendlandt, Oye

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1542581

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge