Entscheidungsstichwort (Thema)

Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 78 a Abs. 4 BetrVG

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zu 7 ABR 54/95.

 

Normenkette

BetrVG § 78a

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 19.09.1995; Aktenzeichen 8 TaBV 41/95)

ArbG Mönchengladbach (Beschluss vom 23.03.1995; Aktenzeichen 1 BV 7/95)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten E. und L. sowie des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. September 1995 – 8 TaBV 41/95 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten über die Auflösung der Arbeitsverhältnisse der Beteiligten zu 2) und 3), die Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung waren.

Die Beteiligten zu 2) und 3) wurden von der Arbeitgeberin in ihrer Niederlassung M. zu Kommunikationselektronikern ausgebildet. Am 31. Januar 1995 schlossen sie ihre Ausbildung erfolgreich ab. Nachdem ihnen die Arbeitgeberin mitgeteilt hatte, daß sie nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden könnten, verlangten sie von der Arbeitgeberin ihre Weiterbeschäftigung.

Mit ihrem am 9. Februar 1995 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt die Arbeitgeberin, die durch die Weiterbeschäftigungsverlangen kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnisse aufzulösen, da ihr die Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2) und 3) unzumutbar sei. In der Niederlassung M bestehe ein Personalüberhang im fernmeldehandwerklichen Bereich von 54 Arbeitskräften und im mittleren fernmeldetechnischen Dienst von 25,5 Arbeitskräften. Im gesamten Unternehmensbereich müsse nach entsprechenden Vorgaben ihres Vorstands bis zum Jahr 2000 eine Personalreduzierung im Umfang von 60.000 Arbeitskräften erfolgen. Ausweislich der Verfügungen ihres Vorstandes vom 13. Dezember 1994 bzw. 28. Februar 1995 stünden für ausgebildete Kommunikationselektroniker lediglich 200 Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern zur Verfügung, wobei diese Arbeitsplätze den sog. Ke-Verkürzern vorbehalten seien, die ihre Ausbildung wegen guter Leistung vorzeitig im Juli/August 1995 abschließen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die zwischen ihr und den Beteiligten zu 2) und 3) begründeten Arbeitsverhältnisse aufzulösen.

Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie halten die Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2) und 3) für zumutbar. Ein Beschäftigungsbedarf in der Niederlassung M. ergebe sich bereits daraus, daß dort per 31. Januar 1995 etwa 4.800 Mehrarbeitsstunden angefallen seien. Auch in der Fernsprechauskunft bestehe ein ständiger Personalbedarf. Die in den neuen Bundesländern bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten seien bei der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigen. Eine Bevorzugung der Ke-Verkürzer sei nicht gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 4) zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 2) bis 4) ihr auf Abweisung des Antrags gerichtetes Verfahrensziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die nach § 78 a Abs. 2 BetrVG entstandenen Arbeitsverhältnisse zu Recht gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG aufgelöst, weil der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 2) und 3) nicht zumutbar war.

I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung im Sinne des § 78 a Abs. 4 BetrVG unzumutbar, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses im Betrieb des Arbeitgebers kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann (BAG Beschlüsse vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90BAGE 68, 187 = AP Nr. 23 zu § 78 a BetrVG 1972 und vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78 a BetrVG 1972, jeweils m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht erst dann unzumutbar, wenn der Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Die zum Begriff der Unzumutbarkeit ist in § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf den Auflösungstatbestand des § 78 a Abs. 4 BetrVG übertragen. Der Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB ist erst dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Bei § 78 a Abs. 4 BetrVG ist demgegenüber zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zumutbar ist. Diese Frage ist im Grundsatz zu verneinen, wenn der Arbeitgeber keinen andauernden Bedarf für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers hat. Soweit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972), der Schutzzweck des § 78 a BetrVG gebiete eine an § 626 Abs. 1 BGB orientierte Auslegung, entnommen werden könnte, die Begriffe seien in § 626 Abs. 1 BGB und in § 78 a Abs. 4 BetrVG inhaltsgleich, wird daran nicht festgehalten. Vielmehr ist der Inhalt der Begriffe nach den genannten unterschiedlichen Funktionen zu bestimmen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß in der Niederlassung M. kein Arbeitsplatz für die Beteiligten zu 2) und 3) zur Verfügung stand. Bei dieser Würdigung ist es zutreffend davon ausgegangen, daß sich das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes nicht danach bestimmt, ob Arbeitsaufgaben vorhanden sind, mit deren Verrichtung ein Arbeitnehmer betraut werden könnte. Jedenfalls in der Privatwirtschaft richtet sich das Bestehen eines Arbeitsplatzes nicht danach, ob eine freie „Planstelle” vorhanden ist oder eine nach objektiven Kriterien meßbare Arbeitsmenge zu erledigen ist. Welche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden sollen und wieviele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden, bestimmt vielmehr der Arbeitgeber durch seine arbeitstechnischen Vorgaben und seine Personalplanung. Entscheidet er sich dafür, keine Arbeiten durch zusätzliche Arbeitnehmer verrichten zu lassen, und hat er mithin keinen Einstellungsbedarf, so ist ein freier Arbeitsplatz nicht vorhanden. Von Mißbrauchsfällen abgesehen ist deshalb der Arbeitgeber auch nicht gehindert, durch eine Veränderung der Arbeitsorganisation Arbeitsplätze wegfallen zu lassen. Dafür bestehen angesichts der vom Vorstand beschlossenen umfangreichen Personalreduzierung keinerlei Anhaltspunkte.

3. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, durch eine Änderung seiner Arbeitsorganisation einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um einen durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden weiterbeschäftigen zu können (vgl. bereits BAG Urteile vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972 und vom 15. Januar 1980 – 6 AZR 361/79BAGE 32, 285 = AP Nr. 9 zu § 78 a BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 29. November 1989 – 7 ABR 67/88 – AP Nr. 20 zu § 78 a BetrVG 1972).

Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Entscheidung, ob durch den Abbau von Überstunden oder von Urlaubsüberhängen zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten geschaffen werden sollen. Denn jedenfalls soweit der Arbeitgeber mit seinen Organisationsmaßnahmen nicht erkennbar das Ziel verfolgt, gerade die Übernahme der durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden zu verhindern, steht es in seiner durch diese Vorschrift nicht eingeschränkten, sondern allenfalls einer Mißbrauchskontrolle unterliegenden unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, durch wieviele Arbeitnehmer er die anfallenden Arbeiten verrichten läßt.

II. Die Beteiligten zu 2) und 3) können sich auch nicht darauf berufen, daß in der Fernsprechauskunft Arbeitskräfte gesucht bzw. in den neuen Bundesländern Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden sollen. Denn derartige Beschäftigungsmöglichkeiten sind, selbst wenn sie bestanden haben sollten, nicht Inhalt des gem. § 78 a Abs. 2 BetrVG entstandenen Arbeitsverhältnisses, um dessen Auflösung gestritten wird.

1. Der erkennende Senat unterscheidet in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Urteil vom 13. November 1987 – 7 AZR 246/87BAGE 57, 21 = AP Nr. 18 zu § 78 a BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90BAGE 68, 187 = AP Nr. 23 zu § 78 a BetrVG 1972) streng zwischen dem nach § 78 a Abs. 2 BetrVG entstehenden Arbeitsverhältnis und seiner Auflösung gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG. Durch das Übernahmeverlangen des Auszubildenden entsteht ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das einen Anspruch auf ausbildungsgerechte Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb begründet (BAG Beschluß vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78 a BetrVG 1972). Inhaltliche Abänderungen dieses Arbeitsverhältnisses unterliegen dem Konsensprinzip, so daß der Auflösungsantrag nach § 78 a Abs. 4 BetrVG nicht mit der Begründung abgewiesen werden darf, dem Arbeitgeber wäre die Begründung eines anderen als des nach § 78 a Abs. 2 BetrVG entstehenden Arbeitsverhältnisses zumutbar gewesen (BAG Beschluß vom 24. Juli 1991, a.a.O.).

2. Sofern allerdings der Auszubildende – wenn auch nur hilfsweise – sein Einverständnis mit einer Weiterbeschäftigung auch zu geänderten Arbeitsbedingungen erklärt hat, Kann es der Schutzzweck des § 78 a BetrVG gebieten, daß der Arbeitgeber auf derartige Änderungswünsche eingeht, anderenfalls von einer Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auszugehen ist. Die Vorschrift des § 78 a BetrVG dient nicht nur dem Schutz der Amtskontinuität, sondern will dem Auszubildenden auch die Besorgnis nehmen, wegen seiner Amtsübernahme oder der Art seiner Amtsausübung vom Arbeitgeber benachteiligt zu werden. Zur Vermeidung einer solchen Benachteiligung kann der Arbeitgeber daher gehalten sein, Änderungswünschen, denen er auch bei anderen Auszubildenden nachkommen würde, bei einem durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden bevorzugt Rechnung zu tragen.

3. Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Arbeitgeberin nach diesen Maßstäben verpflichtet gewesen wäre, ein Beschäftigungsverlangen der Beteiligten zu 2) und 3) in der Fernsprechauskunft oder in einem Betrieb in den neuen Bundesländern zu prüfen. Denn die Beteiligten zu 2) und 3) haben der Arbeitgeberin nicht mitgeteilt, daß sie – wenn auch nur vorsorglich – mit einer derartigen anderweitigen Beschäftigung einverstanden wären.

Auszubildende, die vorsorglich auch zu anderen als den sich aus § 78 a Abs. 2 BetrVG ergebenden Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden möchten, müssen dem Arbeitgeber frühzeitig, regelmäßig nach dessen Nichtübernahmemitteilung gem. § 78 a Abs. 1 BetrVG, spätestens mit dem eigenen Weiterbeschäftigungsverlangen, zu erkennen geben, zu welchen abweichenden Arbeitsbedingungen sie sich ihre Weiterbeschäftigung vorstellen.

Eine Einverständniserklärung erst im gerichtlichen Verfahren genügt nicht. Denn gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG muß der Arbeitgeber den Auflösungsantrag spätestens zwei Wochen nach dem Ende des Berufsausbildungsverhältnisses stellen; hierzu muß er prüfen können, ob durch ein Eingehen auf Abänderungswünsche des Auszubildenden die Antragstellung nach § 78 a Abs. 4 BetrVG zu vermeiden ist. Welche Überlegungsfrist dem Arbeitgeber hierbei einzuräumen ist, brauchte vorliegend nicht entschieden zu werden.

Nach diesen Maßstäben mußte für die Beurteilung der Unzumutbarkeit nach § 78 a Abs. 4 BetrVG die Möglichkeit einer Beschäftigung der Beteiligten zu 2) und 3) mit der nicht ausbildungsgerechten Tätigkeit in der Fernsprechauskunft ebenso außer Betracht bleiben wie der Umstand, daß die Arbeitgeberin in anderen Betrieben als dem Ausbildungsbetrieb eine Anzahl von Auszubildenden, die sog. Ke-Verkürzer, in ein Arbeitsverhältnis übernimmt. Auf die vom Landesarbeitsgericht verneinte Frage, ob es der Arbeitgeberin zuzumuten war, die Beteiligten zu 2) und 3) bis zu dem für die Übernahme der Ke-Verkürzer vorgesehenen Zeitpunkt (Juli/August 1995) zwischenzeitlich anderweitig zu beschäftigen, kam es daher nicht mehr an.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Schmidt, U. Zachert, Niehues

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1089211

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