Hinzuweisen ist noch auf eine aktuelle steuerzahlerfreundliche Entscheidung des FG Niedersachsen[6].

Chromosomale Translokation beim Mann ...: Im Streitfall ging es um eine Partnerschaft, in der der Partner der Steuerpflichtigen an einer chromosomalen Translokation (sog. balancierte reziproke Translokation) leidet – einer genetischen Veränderung, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.

... erfordert Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Frau: Die Steuerpflichtige begab sich zum Ende des Jahres 2018 zusammen mit ihrem Partner in ein Kinderwunschzentrum in Behandlung. Im Jahr 2019 fanden im Kinderwunschzentrum mehrere Behandlungen zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung statt, wobei aus medizinischen Gründen bei der vorliegenden chromosomalen Translokation des Mannes dennoch der Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Frau erfolgen musste.

Die entstandenen Kosten machte die Steuerpflichtige als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend.

Das FA lehnte einen steuermindernden Abzug ab.

Das FG gab jedoch der Klage im Grundsatz statt. Die im Streitfall vorliegende chromosomale Translokation beim Mann ist als Krankheit anzusehen, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.

Hinreichend erbrachte Belege für Einordnung als Krankheit: Die von der Steuerpflichtigen

  • eingereichten ärztlichen Bescheinigungen und
  • die Erlaubnis zur Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik

belegen den Zustand der chromosomalen Translokation und die hiermit einhergehenden Risiken hinreichend. Das FG hält es deshalb für angemessen, die vorliegend gegebene chromosomale Translokation angesichts

  • der erheblichen, hieraus resultierenden Risiken und
  • der weitreichenden Folgen für ein auf natürlichem Weg gezeugtes Kind

als Krankheit des Mannes einzuordnen.

Für Krankheitskosten entwickelte Grundsätze gelten auch für nicht erkrankte Partnerin ...: Obwohl eine Krankheit bei der Steuerpflichtigen nicht vorliegt, gelten die für Krankheitskosten entwickelten Grundsätze, d.h. die damit verbundene

  • unwiderlegliche Vermutung der Außergewöhnlichkeit sowie
  • die Unterstellung der Zwangsläufigkeit

der Aufwendungen, nach Auffassung des FG auch für die Steuerpflichtige.

... wegen gebotener Gesamtbetrachtung: Denn

  • die Außergewöhnlichkeit sowohl des auslösenden Ereignisses als auch der Höhe der Aufwendungen sowie auch
  • die Zwangsläufigkeit der zur Umgehung der Krankheit durch eine Kinderwunschbehandlung (in Form einer homologen künstlichen Befruchtung) notwendigen Aufwendungen

sind infolge der gebotenen Gesamtbetrachtung für die gesunde Frau gleichermaßen gegeben.

Paarbezogene Betrachtung bei Kinderwunschbehandlung: Die Außergewöhnlichkeit des die Aufwendungen auslösenden Umstandes und die Zwangsläufigkeit der zur Umgehung der Krankheit entstehenden Kosten sind im Falle einer Kinderwunschbehandlung daher nicht nur personenbezogen – d.h. mit Blick auf die Krankheit des Mannes – zu betrachten.

Abzustellen ist vielmehr auf den anomalen Zustand,

  • der der Zeugung eines Kindes auf natürlichem Weg entgegensteht und
  • der die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik nebst künstlicher Befruchtung zur "Umgehung" der Krankheit und Realisierung des Kinderwunsches – vor allem auch durch eine Behandlung am Körper der Frau – erforderlich macht.

Aufgrund dieser untrennbaren Zusammenhänge ist es nach Auffassung des FG irrelevant, ob der regelwidrige Zustand

  • bei der Frau oder
  • beim Mann

vorliegt.

Partner müssen nicht verheiratet sein: Das FG hob zudem hervor, dass die aufgrund der Untrennbarkeit der biologischen Vorgänge

  • bestehende Zwangsläufigkeit für beide Partner und
  • die Abziehbarkeit von Aufwendungen der Steuerpflichtigen als (dem Grunde nach) außergewöhnliche Belastung

nicht deshalb entfallen, wenn die Partner nicht verheiratet sind.

Beachten Sie: Entscheidend ist vielmehr, dass für beide Partner gleichermaßen eine Zwangsläufigkeit durch den bei einem der Partner vorliegenden, anomalen Zustand begründet ist. Die Einheitsbetrachtung

  • ist demnach ein Privileg der Ehegattenbesteuerung,
  • sie hat aber keinen Einfluss auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG, die auch bei der nichtverheirateten Steuerpflichtigen gegeben waren.

Beraterhinweis Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung des FG Revision eingelegt, die unter dem Az. VI R 2/22 beim BFH anhängig ist.

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