vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [VI R 2/22)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abziehbarkeit von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung können als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen sein. Dafür ist es erforderlich, dass die künstliche Befruchtung mit dem Ziel erfolgt, die auf einer „Krankheit” der Frau oder des Mannes beruhende Kinderlosigkeit zu beheben. Eine chromosomale Translokation mit erheblichen hieraus resultierenden Risiken und möglichen Folgen für ein auf natürlichem Weg gezeugtes Kind ist als Krankheit einzuordnen.
  2. Die bei Vorliegen einer Krankheit bei dem bzw. der einen Partner(in) unwiderleglich vermuteten Merkmale der Außergewöhnlichkeit und der tatsächlichen Zwangsläufigkeit im Sinne von § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind aufgrund der infolge des gemeinsamen Kinderwunsches gebotenen Gesamtbetrachtung auf die bzw. den sich gleichermaßen in einer Zwangslage befindende(n) gesunde(n) Partner(in) zu übertragen. Dies gilt ungeachtet des Bestehens einer Ehe.
  3. Die Berücksichtigung von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung kommt bei einer Einzelveranlagung gemäß § 25 EStG angesichts der für beide Partner bestehenden Zwangslage bei dem Partner bzw. der Partnerin in Betracht, dem bzw. der die Aufwendungen im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG „erwachsen” sind, weil er bzw. sie die Aufwendungen tatsächlich und aufgrund der gleichgerichteten Interessenlage zumindest auch aus eigenem Interesse getragen hat. Eine Berücksichtigung bei dem anderen Partner bzw. der anderen Partnerin nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungswegs kann nicht erfolgen; ein Wahlrecht besteht nicht.
 

Normenkette

EStG 2009 § 33 Abs. 1, 2 S. 1, § 25; BGB § 267 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2019

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen für die mit einer künstlichen Befruchtung zusammenhängenden medizinischen Behandlungen sowie hierdurch veranlasste Fahrtkosten sowie weitere Aufwendungen für eine professionelle Zahnreinigung als außergewöhnliche Belastung der Klägerin im Sinne von § 33 des Einkommensteuergesetzes -EStG- zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin war im Streitjahr ledig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Der Partner der Klägerin, X, leidet an einer chromosomalen Translokation (sogenannte balancierte reziproke Translokation), einer genetischen Veränderung, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Auf den Befund des Universitätsklinikums B vom xx.yy.zzzz über die zytogenetische Untersuchung des X (Anlage 9 zur Klageschrift) wird Bezug genommen.

Die Klägerin begab sich zum Ende des Jahres 2018 zusammen mit X im Kinderwunschzentrum A (nachfolgend: Kinderwunschzentrum) in Behandlung.

Dem ging eine humangenetische Beratung am Universitätsklinikum B sowie am Institut C voraus. Das Institut C bestätigte mit Schreiben vom xx.yy.2018, dass im vorliegenden Fall aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und des X die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik indiziert sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Anlagen 10 und 15 zur Klageschrift Bezug genommen. Des Weiteren erfolgte ein Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum zur künstlichen Befruchtung (Anlage 11 zur Klageschrift) sowie eine psychosoziale Beratung (Anlage 12 zur Klageschrift). Im Anschluss an die Beratungsgespräche entschieden sich die Klägerin und X dazu, eine künstliche Befruchtung mit Präimplantationsdiagnostik durchführen zu lassen, dadurch die chromosomale Fehlstellung auszuschließen und eine fortlaufende Schwangerschaft zu erreichen.

Die PID-Kommission der Ärztekammer D erteilte mit Schreiben vom xx.yy.2018 die erforderliche Zustimmung zur Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik, nachdem die Klägerin und ihr Partner ihre Lage angesichts des gemeinsamen Kinderwunsches gegenüber der PID-Kommission dargelegt und deren Zustimmung beantragt hatten. Wegen der Einzelheiten des Antrags und der Zustimmung wird auf die Anlagen 13 und 14 zur Klageschrift Bezug genommen.

Im Jahr 2019 fanden im Kinderwunschzentrum mehrere Behandlungen zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung statt, wobei aus medizinischen Gründen bei der vorliegenden chromosomalen Translokation des Mannes dennoch der Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Frau erfolgen musste.

In ihrer am 19. Februar 2020 bei dem beklagten Finanzamt eingereichten Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin für im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung entstandene Kosten den Abzug von Aufwendungen in Höhe von (zunächst) 22.965 € als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG.

Mit Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2020...

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