Leitsatz

1. Die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung für ein gewerbliches Einzelunternehmen, das im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Prüfungsanordnung als Mittelbetrieb eingestuft ist, bedarf grundsätzlich keiner über § 193 Abs. 1 AO hinausgehenden Begründung.

2. Eine derartige Prüfung ist ermessensgerecht, wenn keine Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung bestehen und sie nicht gegen das Übermaßverbot verstößt. Sie ist nicht übermäßig, wenn das Unternehmen während des vorgesehenen Prüfungszeitraumes zeitweise als Großbetrieb eingeordnet war und sich aufgrund vorliegenden Kontrollmaterials aus Sicht des FA ein Prüfungsbedarf ergibt.

 

Normenkette

§ 193 Abs. 1, § 393 Abs. 1, § 397 Abs. 3 AO, § 68 Satz 1, § 102 Satz 2 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger betreibt in mehreren Filialen einen Einzelhandel mit Waren verschiedener Art, der zum 1.1.2004 als Kleinbetrieb, zum 1.1.2007 als Mittelbetrieb, zum 1.1.2010 als Großbetrieb und ab dem 1.1.2013 wieder als Mittelbetrieb eingestuft war.

Für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 sowie 2005 bis 2007 führte das FA Außenprüfungen durch, die zu keinen nennenswerten Beanstandungen führten. Am 22.1.2013 ordnete es eine weitere Außenprüfung für 2008 bis 2011 an, die nach Einspruch des Klägers auf 2008 bis 2010 begrenzt wurde.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30.4.2013 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Während des Klageverfahrens übersandte das FA dem FG Auszüge aus ihm vorliegenden Kontrollmaterial. Auf einen rechtlichen Hinweis des FG, dass zweifelhaft sei, ob die Prüfungsanordnung vom 20.2.2013 ausreichend begründet sei, erließ das FA sodann eine neue Prüfungsanordnung, die wiederum auf § 193 Abs. 1 AO gestützt war. Sie ergehe aufgrund einer Ermessensentscheidung, bei der das Kontrollmaterial von ausschlaggebender Bedeutung sei und eine zweite Anschlussprüfung erfordere.

Das FG gab der Klage statt und hob die Prüfungsanordnung auf (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.3.2014, 4 K 2166/13, Haufe-Index 7701221, EFG 2015, 879 und vom 13.3.2014).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

Außenprüfungen sind für Betriebe mit Arbeitsaufwand und Beratungskosten verbunden und belasten sie daher auch dann, wenn es nicht zu Mehrergebnissen kommt. Die Frage, wie häufig Betriebe geprüft werden können, wenn sie nicht bereits als Großbetriebe der Anschlussprüfung unterliegen, und ob das FA für eine Anschlussprüfung besonderer Gründe bedarf, ist daher praktisch bedeutsam.

1. Die Anordnung einer Außenprüfung ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu prüfen ist, ob

  • die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden (dazu 2.) und
  • die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat (dazu 3.).

2. Die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO setzt nur voraus, dass der Steuerpflichtige einen gewerblichen Betrieb unterhält. Weitere Anforderungen enthält die Norm nicht. Daher sind Außenprüfungen im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig. Ein bestimmter Turnus oder zeitliche Abstände sind nicht einzuhalten. § 193 Abs. 1 AO unterscheidet nicht zwischen erstmaligen Prüfungen und Anschlussprüfungen und enthält – anders als § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO – keinen Vorrang der Prüfung an Amtsstelle. Unerheblich ist auch, ob der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht.

3. Der BFH hat im Streitfall keine Ermessensfehler festgestellt.

  • Die Anordnung der zweiten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, der hier § 3 und § 4 BpO zu entnehmen ist. Anschlussprüfungen sind auch bei Mittelbetrieben ohne Weiteres ausdrücklich zugelassen (§ 4 Abs. 3 Satz 3 BpO).
  • Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung des Klägers gab es nicht.
  • Der Kläger wurde durch die Prüfungsanordnung nicht übermäßig belastet, denn das Unternehmen des Klägers war zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt (= Bekantgabe der Prüfungsanordnung, § 4 Abs. 4 BpO) als Mittelbetrieb eingestuft, aber zuvor und innerhalb des vorgesehenen Prüfungszeitraums als Großbetrieb eingeordnet. Daher durfte der Prüfungsabstand gegenüber anderen Mittelbetrieben ermessensfehlerfrei verkürzt werden. Gegen eine übermäßige Belastung des Klägers sprach auch das dem FA vorliegende Kontrollmaterial, das vom FG – für den BFH bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) – dahin gewürdigt wurde, dass es einen Prüfungsbedarf indiziere.

4. Ältere Rechtsprechung kann dahin verstanden werden, dass bei Mittelbetrieben Anschlussprüfungen nur ausnahmsweise in Betracht kommen und das FA die Feststellungslast für die erforderlichen besonderen Umstände trägt. Das BFH-Urteil vom 16.11.1989, IV R 29/89 (BFHE 159, 28, BStBl II 1990, 272) hat z.B. an das FG zurückverwiesen, weil das FA sich auf das vom FG angenommene Zufallsverfahren nicht berufen hatte und zudem tatsächliche Feststellungen zum Zu...

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