Leitsatz

Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in einer Einspruchsentscheidung erteilten Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO für die Ermittlung des Tags der Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) nicht erforderlich.

 

Normenkette

§ 55 Abs. 1 und 2 FGO, § 108 Abs. 3 AO, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Mit Einspruchsentscheidung vom 5.6.2003, die am selben Tag mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde, wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthielt den Hinweis, dass "bei Zusendung durch einfachen Brief ... die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt (gelte), es sei denn, dass diese Einspruchsentscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist ...". Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt hingegen keinen Hinweis darauf, dass nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98, BFH-PR 2004, 36) die einmonatige Klagefrist erst am nächstfolgenden Werktag beginne, wenn – wie im Streitfall – das Ende der für die Bekanntgabe geltenden Drei-Tages-Frist auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Samstag falle.

Der Kläger erhob seine Klage erst 11 Monate nach Zugang der Einspruchsentscheidung. Er meinte, wegen der Lückenhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung sei die Klage gem. § 55 Abs. 2 FGO innerhalb eines Jahrs nach Zugang der Einspruchsentscheidung zulässig.

Das FG wies die Klage wegen Verfristung als unzulässig ab (FG München, Urteil vom 28.9.2004, 6 K 2287/04, EFG 2005, 1824). Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

 

Entscheidung

Für eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung genüge es, wenn diese den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmungen wiedergebe und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns informiere (vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 30.8.1995, V B 72/95, BFH/NV 1996, 106). Hingegen sei es nicht geboten, dass die Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO enthalte, die diese Bestimmung für den Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts durch die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98, BFH-PR 2004, 36) erhalten habe.

Durch die korrekte und vollständige Wiedergabe des Wortlauts des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO sei der Beteiligte imstande, sich – ggf. nach der bei gehöriger Wahrnehmung seiner Mitverantwortung gebotenen Einholung von fachkundigem Rat – die erforderliche Klarheit über den Fristbeginn zu verschaffen.

 

Hinweis

Im Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98 (BFH-PR 2004, 36) hat der BFH entschieden, dass sich die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe (vgl. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) bis zum nächstfolgenden Werktag verlängert, wenn – was im vorliegenden Streitfall zutraf – das Ende der Dreitagesfrist auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Samstag fällt. Dementsprechend wird der Beginn der Frist zur Anfechtung des betreffenden Verwaltungsakts hinausgeschoben.

Im vorliegenden Fall hatte der BFH die Frage zu beantworten, ob auf diese Verlängerung in der dem bekannt gegebenen Verwaltungsakt beigefügten Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen ist.

Das Besprechungsurteil verneint diese Frage mit m.E. zutreffenden Erwägungen und im Einklang mit den in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätzen. Danach gebietet die Rechtsschutzgarantie (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) eine Rechtsmittelbelehrung nur dann, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten des Rechtswegs auszugleichen, die die Ausgestaltung des Rechtsmittels anderenfalls mit sich brächte. Auch in Verfahren, in denen kein Vertretungszwang besteht, kann vom Rechtssuchenden – im Rahmen des Zumutbaren – erwartet werden, er werde sich rechtzeitig über die Formerfordernisse des Rechtsmittels Aufklärung verschaffen. Will er sich im Einzelfall nicht sofort an einen fachkundigen Berater wenden, kann er sich bei der Behörde, die den anzufechtenden Verwaltungsakt erlassen hat, nach den Rechtsmittelmöglichkeiten und -erfordernissen erkundigen (BVerfG, Beschluss vom 20.6.1995, 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, 108 f.).

Hiervon ausgehend stellen auch die Fachgerichte darauf ab, dass mit einer Rechtsmittelbelehrung unzumutbare Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung im Instanzenzug ausgeglichen werden sollen. Entscheidend ist, ob die Formerfordernisse eines Rechtsmittels so kompliziert und schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtssuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können (BGH, Beschluss vom 2.5.2002, V ZB 36/01, BGHZ 150, 390). Andererseits soll die Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter ist eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden, die – statt Klarheit zu schaffen – wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet (BSG, Urteil vom 24.3.1993, 9/9aRV 17/92, MDR 1...

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