aa) Entschiedener Streitfall

 

Rz. 90

Der BFH setzt die für den Streitfall vorliegende Entscheidung des EuGH zutreffend um. Fraglich ist, welche Folgen sich aus der Entscheidung für andere Fallgestaltungen ergeben und inwieweit insoweit von einer bereits vollzogenen Rechtsprechungsänderung auszugehen ist. Klar dürfte dabei sein, dass für den fiktiv gebildeten Fall der Abwandlung 1 kein Abzugsrecht besteht. Unklar sind die Folgen für den Erschließungsfall der Abwandlung 2.

bb) Aufgabe von BFH-Rechtsprechung

 

Rz. 91

Der BFH erklärt, an zwei früheren Urteilen nicht mehr festhalten zu wollen. In Bezug auf den Vorsteuerabzug geht es um Folgendes:

  • Nach bisheriger Rechtsprechung stehen die Errichtungskosten eines Gebäudes (aus den Jahren 2002 und 2003) in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang nur zur Gebäudevermietung (steuerpflichtig an Ingenieure und steuerfrei an Ärzte), während zu einer Vergabeleistung des Vermieters an einen Apotheker, die vom Apotheker vergütet wird, ein nur mittelbarer Zusammenhang besteht und diese daher bei der Vorsteueraufteilung nach Umsatz nicht zu berücksichtigen ist.[5]
  • Errichtet eine Gemeinde zur elektrischen Erschließung eines Teils ihres Gemeindegebiets eine Stromleitung, die sie einem Energieversorger unentgeltlich überlässt, ist sie auch dann nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn sie erwartet, ihren steuerpflichtigen Wasser- und Fernwärmeabsatz durch die Ansiedelung potentieller neuer Kunden infolge der elektrischen Erschließung des Gemeindegebiets zu fördern, da der unmittelbare und direkte Zusammenhang mit den Aufwendungen zur Errichtung der Stromleitung fehlt.[6]
 

Rz. 92

Dies verdeutlicht, dass sich die Beurteilung nach Maßgabe des Besprechungsurteils auch auf andere Fallgestaltungen auswirkt. Die Sichtweise des EuGH hierzu ist allerdings nicht bekannt.

 

Rz. 93

In Bezug auf die Entnahmebesteuerung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG will der BFH zudem an zwei früheren Entscheidungen[7] nicht mehr festhalten.

[7] BFH v. 14.5.2008 – XI R 60/07, BStBl. II 2008, 721 zum Kreisverkehr, wobei allerdings zugleich offengelassen wird, "ob im dortigen Fall die Vorteile der Allgemeinheit mehr als nur nebensächlich waren und die Maßnahme über das Erforderliche hinausging" und BFH v. 31.5.2017 – XI R 2/14, BStBl. II 2017, 1024 zum KWK-Bonus.

cc) Abweichung von BFH-Rechtsprechung

 

Rz. 94

In Bezug auf das BFH-Urteil zur Erschließung[8] erklärt der BFH hiervon abzuweichen. Die Aufgabe eines Urteils eines anderen Senats war hier (zutreffend) nicht gewollt, eine hiervon ausgehende Bindungswirkung sollte im Hinblick auf das im Streitfall ergangene EuGH-Urteil vermieden werden. Hierzu äußert sich der BFH in Rz. 29 seiner neuen Entscheidung dahingehend, dass der BFH in dem Urteil zur Erschließung entschieden habe, dass

"ein Vorsteuerabzug ... nicht in Betracht [komme], wenn der Unternehmer bereits bei Leistungsbezug beabsichtigt, die bezogene Leistung nicht für seine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Entnahme i.S. von § 3 Abs. 1b UStG zu verwenden. Dies gelte – so der V. Senat – auch, wenn er mit dieser Entnahme mittelbar Ziele verfolgt, die ihn nach seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigen würden. Diese Auffassung ist nach Ergehen des EuGH-Urteils Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (EU:C:2020:712) überholt."

 

Rz. 95

Ob insoweit überhaupt eine geänderte Sichtweise vorliegt, lässt sich unterschiedlich beurteilen. Nach den Leitsätzen seines Erschließungsurteils hat der BFH dort Folgendes entschieden:

Beabsichtigt der Unternehmer bereits bei Leistungsbezug, die bezogene Leistung nicht für seine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Entnahme i.S.v. § 3 Abs. 1b UStG 1999 zu verwenden, ist er nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt (Änderung der Rechtsprechung). Dies gilt auch, wenn er mit dieser Entnahme mittelbar Ziele verfolgt, die ihn nach seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigen würden.

Der Unternehmer ist nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn er bei Errichtung von Erschließungsanlagen beabsichtigt, diese einer Gemeinde durch Zustimmung zur öffentlich-rechtlichen Widmung der Anlagen unentgeltlich i.S.v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zuzuwenden. Dies gilt auch, wenn er bei der Herstellung und Zustimmung zur Widmung der Erschließungsanlagen –mittelbar– beabsichtigt, Grundstücke im Erschließungsgebiet steuerpflichtig zu liefern.

 

Rz. 96

Die Versagung des Vorsteuerabzugs beruht im Erschließungsurteil somit auf der Bejahung einer Entnahme nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG. Damit liegt in Bezug auf den Vorsteuerabzug eine Abweichung erst dann vor, wenn der BFH im Erschließungsfall eine Entnahme unzutreffenderweise bejaht hätte. Davon ist aber zumindest (derzeit) nicht auszugehen, da der EuGH in Rz. 65 seines Urteils die Entnahme insbesondere mit dem Argument abgelehnt hatte, dass

"das Ergebnis dieser Arbeiten – die Straße, die erschlossen wu...

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