[Ohne Titel]

cand. iur. Lennart Jacobs[*]

Mit § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 wurde in der AO eine Regelung getroffen, die es ermöglicht, aufgrund "rückwirkender Ereignisse" Widersprüche zwischen der bereits gefallenen und der eigentlich gebotenen Einzelfallentscheidung zu korrigieren. Dieser zweiteilige Beitrag beschäftigt sich zunächst mit den Möglichkeiten einer nachträglichen Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden aufgrund "rückwirkender Ereignisse" i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Im Hinblick auf BFH v. 4.8.2020 – VIII R 39/18, BStBl. II 2022, 98 = AO-StB 2021, 15 [Steinhauff], wird im Anschluss die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO dargestellt. Gerade im Zusammenhang mit der nachträglichen Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kann die Ablaufhemmung im Zusammenspiel mit diesem Urteil bei Unachtsamkeit des Steuerpflichtigen zu prekären Situationen führen, die es zu vermeiden gilt.

Inhaltsübersicht

  I. Einleitung (Teil I)
 

II. Änderung von Steuerbescheiden gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Teil I)

  1. Inhalt und Hintergrund der Norm (Teil I)
 

2. Anwendungsbereich (Teil I)

  a) Zeitlicher Anwendungsbereich
  b) Sachlicher Anwendungsbereich
 

3. Die Tatbestandsmerkmale des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Teil I)

  a) Ereignis
  b) Nachträglicher Eintritt
  c) Steuerliche Wirkung für die Vergangenheit
  4. Rechtsfolgen (Teil I)
 

III. Die nachträgliche Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden (Teil II)

 

1. Gesetzliche Änderungsvorbehalte (Teil II)

  a) Der Nachsteuervorbehalt in § 13 Abs. 1 ErbStG
 

b) Die Übertragung betrieblichen Vermögens

  aa) Verschonungsabschlag
  bb) Lohnsummenregelung
  cc) Fünfjährige Behaltensfrist
  dd) Vorwegabschlag für "Familienunternehmen"
  ee) Investitionsklausel
  ff) Abschmelzmodell
  gg) Keine Anwendbarkeit bei der Verschonungsbedarfsprüfung
  c) Gesetzliche Fiktion mit Rückwirkung
  2. Sonstige Änderungsmöglichkeiten (Teil II)
 

IV. Die veränderte Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 14 AO (Teil II)

  1. Regelungsinhalt der Norm (Teil II)
  2. Die Problematik des Wortlauts des § 171 Abs. 14 AO (Teil II)
  3. Voraussetzungen der Norm (Teil II)
 

4. Relevanz für die Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden (Teil II)

  a) Die Ablaufhemmung bei fehlender Steuerfestsetzung
  b) Lösungsansätze für die Praxis
  V. Fazit (Teil II)
[*] Der Beitrag beruht auf einer Schwerpunktarbeit des Autors am Institut für Wirtschafts- und Steuerrecht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Prof. Dr. iur. habil. Michael Stöber).

I. Einleitung

Mit § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 wurde in der AO eine Regelung getroffen, die es ermöglicht, aufgrund "rückwirkender Ereignisse" Widersprüche zwischen der bereits gefallenen und der eigentlich gebotenen Einzelfallentscheidung zu korrigieren. Dieser zweiteilige Beitrag beschäftigt sich zunächst mit den Möglichkeiten einer nachträglichen Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden aufgrund "rückwirkender Ereignisse" i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Im Hinblick auf BFH v. 4.8.2020 – VIII R 39/18, BStBl. II 2022, 98 = AO-StB 2021, 15 [Steinhauff], wird im Anschluss die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO dargestellt. Gerade im Zusammenhang mit der nachträglichen Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kann die Ablaufhemmung im Zusammenspiel mit diesem Urteil bei Unachtsamkeit des Steuerpflichtigen zu prekären Situationen führen, die es zu vermeiden gilt.

II. Änderung von Steuerbescheiden gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

1. Inhalt und Hintergrund der Norm

Nachträglich eintretende Veränderungen eines Sachverhalts berühren einen nach § 38 AO entstandenen Steueranspruch grundsätzlich nicht. Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen, in denen das materielle Steuerrecht bestimmten Ereignissen eine rückwirkende Bedeutung beimisst. Ein solches rückwirkendes Ereignis lässt den zunächst rechtmäßigen Steuerbescheid rechtswidrig und damit unwirksam werden (v. Wedelstädt in Gosch, AO, Stand: 5/2023, § 175 Rz. 45; Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO, Stand: 2/2023, § 175 Rz. 53).

§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stellt dabei eine (rein) verfahrensrechtliche Generalnorm für die Änderung von Steuerbescheiden dar, regelt jedoch nicht, wann ein Ereignis steuerliche Rückwirkung entfaltet (v. Wedelstädt in Gosch, AO, Stand: 5/2023, § 175 Rz. 1.3; Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 175 Rz. 34; Bartone in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 175 AO Rz. 34). Sie gilt für solche Fälle, in denen sich der für die Besteuerung maßgebliche Sachverhalt nachträglich geändert hat und diese Änderung eine steuerliche Rückwirkung auslöst (v. Wedelstädt in Gosch, AO, Stand: 5/2023, § 175 Rz. 45; Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 175 Rz. 34). Wann eine solche Änderung eintritt, ist dabei eine Frage des materiellen Steuerschuldrechts (BFH v. 28.10.2009 – IX R 17/09, BStBl. II 2010, 539 Rz. 19; Loose in Tipke/Kruse, AO, Stand: 5/2023, § 175 Rz. 22; v. Wedelstädt in Gosch, AO, Stand: 5/2023, § 175 Rz. 48.1).

2. Anwendungsbereich

a) Zeitlicher Anwendungsbereich

Der zeitliche Anwendungsbereich des § 175 AO richtet sich maßgeblich nach dem EGAO. Nach Art. 97 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGAO sind die Vorschriften der §§ 172 ff. AO...

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