Leitsatz

Fehlt eine Seite der Einspruchsentscheidung und wird dies vor Ablauf der regulären Klagefrist gerügt, so endet die Klagefrist erst einen Monat nach Bekanntgabe der fehlenden Seite.

 

Normenkette

§ 47 Abs. 1 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger beanstandete beim FA, die ihm zugegangene Einspruchsentscheidung sei unvollständig, da eine Seite fehle. Das FA gab ihm diese Seite nachträglich bekannt. Bezogen auf die ursprüngliche, unvollständige Einspruchsentscheidung war die Klage verfristet, nicht jedoch, wenn für den Fristbeginn auf die Bekanntgabe der feh­lenden Seite abgestellt wird.

Das FG nahm den Fristbeginn mit der Bekanntgabe der ursprünglichen Einspruchsentscheidung an und wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück. Da es entscheidend auf die Bekanntgabe der fehlenden Seite ankommt, lief die Klagefrist erst einen Monat nach deren Übersendung ab und war somit nicht versäumt.

 

Hinweis

Die Klagefrist beträgt einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1 FGO). Bei Übermittlung durch die Post im Inland gilt die Einspruchsentscheidung nach der gesetzlichen Zugangsvermutung am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).

Obwohl die gesetzliche Regelung nicht ganz eindeutig ist, gebietet es die Rechtssicherheit, § 47 Abs. 1 FGO in dem Sinn auszulegen, dass die Klagefrist erst mit der Bekanntgabe der vollständigen Einspruchsentscheidung beginnt. Denn die die Bestandskraft regelnden Fristen dienen dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Beginn und Ende solcher Fristen müssen deshalb klar und eindeutig sein.

Zur Vermeidung von Unklarheiten kann daher bei einer unvollständig bekannt gegebenen Einspruchsentscheidung für den Beginn der Klagefrist nicht danach differenziert werden, ob etwa die erste, die letzte oder eine mittlere Seite fehlt bzw. ob es sich bei den fehlenden Seiten um einen inhaltlich wesentlichen oder nur weniger wichtigen Teil handelt oder ob etwa ein großer oder nur ein kleiner Teil der Entscheidung übermittelt wurde.

Fehlen in dem dem Steuerpflichtigen bekannt gegebenen Exemplar eine oder mehrere Seiten, beginnt die Klagefrist daher erst dann zu laufen, wenn das FA die fehlenden Seiten nachgeliefert hat.

Der BFH grenzt die Bekanntgabe einer unvollständigen Entscheidung (Fehlen von Seiten) ab von der Zustellung einer vollständigen (Übermittlung aller Seiten), aber -- z.B. durch einen Fehler beim Druck oder durch Wassereinwirkung -- teilweise unleserlichen Entscheidung.

Im letzteren Fall soll keine unvollständige, sondern eine vollständige, lediglich teilweise unleserliche Entscheidung vorliegen, durch die die Klagefrist in Lauf setzt wird. Gravierende Unleserlichkeiten, die die Argumentation des FA für den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbar machen, müssten jedoch die gleichen Folgen wie eine Unvollständigkeit haben.

Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, welche Beweisanforderungen an die Behauptung zu stellen sind, die Einspruchsentscheidung sei unvollständig gewesen. Wird die Unvollständigkeit geltend gemacht, befindet sich das FA regelmäßig in der misslichen Lage, dass es die Vollständigkeit nicht nachweisen kann.

Jedenfalls dann, wenn die Unvollständigkeit innerhalb der regulären Klagefrist gerügt wird und das FA die fehlenden Seiten anschließend bekannt gibt, beginnt die Klagefrist erst mit der Bekanntgabe der fehlenden Seiten.

Grundsätzlich dürfte man davon ausgehen, dass ein Steuerpflichtiger, der ein Einspruchsverfahren führt, eine ihm zugehende und von ihm als Rechtsbehelfsentscheidung erkennbare Einspruchsentscheidung auf Vollständigkeit prüft und sich innerhalb der regulären Klagefrist an das FA wendet und die fehlenden Seiten nachfordert. Jedenfalls nach Ablauf der Klagefrist dürfte es grundsätzlich dem Steuerpflichtigen obliegen, nachzuweisen, dass er eine unvollständige Einspruchsentscheidung erhalten hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 25.07.2007, III R 15/07

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