Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen

Nachdem der BFH § 27 Abs. 19 UStG unter erweiterten Voraussetzungen als mit der Verfassung vereinbar angesehen hatte, nimmt die Finanzverwaltung zur weiteren Umsetzung Stellung.

Die Vorgeschichte

Der BFH (Urteil v. 22.8.2013, V R 37/10, BStBl 2014 I S. 128, Haufe Index 5805174) hatte 2013 die bisher von der Finanzverwaltung vertretene Auslegung zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bei ausgeführten Bauleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 UStG) verworfen. Während die Finanzverwaltung früher davon ausging, dass der Leistungsempfänger dann zum Steuerschuldner für eine ihm gegenüber ausgeführte Bauleistung wurde, wenn er im vorangegangenem Kalenderjahr mehr als 10 % seiner weltweit ausgeführten Leistungen als Bauleistungen ausgeführt hatte, wurde dies vom BFH als für die Beteiligten nicht rechtssicher feststellbar angesehen. Der BFH sah eine Übertragung der Steuerschuldnerschaft in diesen Fällen nur dann, wenn der Leistungsempfänger die ihm gegenüber ausgeführte Bauleistung selbst unmittelbar für eine Bauleistung verwendet. Nach der Rechtsprechung des BFH waren insbesondere Bauträger nicht mehr Steuerschuldner für ihnen gegenüber ausgeführte Bauleistungen.

Gesetzgeber übernimmt frühere Verwaltungsauffassung

Durch das "Kroatienanpassungsgesetz" wurde mittelbar die bisher von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung weitestgehend in die Neufassung des § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG übernommen. In der ab dem 1.10.2014 geltenden Neufassung wird der Leistungsempfänger dann zum Steuerschuldner, wenn ihm gegenüber Bauleistungen ausgeführt werden und er selbst nachhaltig solche Leistungen ausführt. Die nach der BFH-Rechtsprechung hergestellte Verknüpfung mit einer unmittelbar damit erbrachten Bauleistung wird so gesetzlich ausgeschlossen. Der Nachweis erfolgt durch die Bescheinigung USt 1 TG, in der dem Leistungsempfänger die Eigenschaft als bauleistender Unternehmer bestätigt wird.

Problem "Altfälle"

Ein besonderes Problem hatte sich für die Altfälle ergeben. Waren die Beteiligten bei Leistungen bis zum 14.2.2014 davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 UStG a. F. zum Steuerschuldner wird und stellte sich dies in Anwendung der Rechtsprechung des BFH als nicht zutreffend heraus, ergab sich die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen.

Im „Kroatienanpassungsgesetz“ hatte der Gesetzgeber den Versuch einer Regelung unternommen. Beantragt der Leistungsempfänger für die vor dem 15.2.2014 an ihn erbrachten Leistungen die Erstattung der von ihm im Reverse-Charge-Verfahren berechneten und abgeführten USt soll die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO gegenüber dem leistenden Unternehmer nicht gelten. Die Steuerfestsetzung ist gegenüber dem leistenden Unternehmer – soweit nicht Festsetzungsverjährung gegeben ist – zu ändern. Allerdings kann der leistende Unternehmer die ihm nach der Gesetzeslage zustehende zivilrechtliche Forderung auf die USt gegenüber dem Leistungsempfänger an das Finanzamt abtreten. Die Abtretung wirkt unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG an Zahlungs statt.

Insbesondere war umstritten, ob die Aussetzung des Vertrauensschutzes nach § 176 AO mit der Verfassung vereinbar ist. In diversen Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz wie auch in regulären Verfahren kamen die FG zu unterschiedlichen Begründungen und unterschiedlichen Ergebnissen. Beide Senate des BFH hatten unabhängig voneinander die Aussetzung der Vollziehung gewährt. Dabei haben sich beide Senate erst einmal von dem Gedanken leiten lassen, dass eine Aussetzung der Vollziehung bei ernsthaften Zweifeln zu erfolgen hat. Alleine schon aufgrund der unterschiedlichen Entscheidungen der Finanzgerichte und der unterschiedlichen Meinungen auch in der Fachliteratur (wobei die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit deutlich überwiegen), seien Zweifel geboten.

BFH-Entscheidung zur Umsatzsteuerfestsetzung des leistenden Unternehmers

In einer Entscheidung, die die Umsatzsteuerfestsetzung des leistenden Unternehmers betraf, hatte der BFH dann Folgendes entschieden:

  • Eine Umsatzsteuerfestsetzung kann nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann geändert werden, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht.
  • Das Finanzamt hat eine Abtretung nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG auch dann anzunehmen, wenn der Steueranspruch bereits durch Zahlung getilgt war. Auf das Vorliegen einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis kommt es nicht an.

Abtretbarer Anspruch ist Voraussetzung

Voraussetzung für die Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG ist nach Auffassung des BFH, dass es einen abtretbaren Anspruch gegenüber dem Bauträger gibt. Dies bedeutet nicht, dass der Anspruch schon abgetreten sein muss, es ist alleine ausreichend, dass ein solcher Anspruch vorliegt. Wenn aber berechtigte Gewährleistungsansprüche dem gegenüber stehen, ist kein abtretbarer Anspruch mehr vorhanden, sodass es nicht zur Änderung einer Veranlagung gegenüber dem leistenden Unternehmer nach § 27 Abs. 19 UStG kommen kann. Die Klärung, ob ein solcher abtretbarer Anspruch vorhanden ist, ist damit Bestandteil des Steuerfestsetzungsverfahrens.

Liegen die Voraussetzungen vor, ist das Ermessen der Finanzverwaltung zur Annahme der Abtretung auf null reduziert.

Das BMF-Schreiben vom 26.7.2017

Die Finanzverwaltung reagiert auf die Entscheidung des BFH, dass die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG unter weiteren Voraussetzungen mit der Verfassung vereinbar ist und ändert das zu § 27 Abs. 19 UStG ergangene BMF-Schreiben aus 2014.

In dem aktuellen BMF-Schreiben werden insbesondere Änderungen im Teil I (Besteuerung des leistenden Unternehmers) vorgenommen. In den Teilen II-IV (verfahrensmäßige Abwicklung der Änderungsanträge der Leistungsempfänger, Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, Abtretung der zivilrechtlichen Forderungen innerhalb der Finanzverwaltung) werden keine bzw. für die Praxis nur wenig relevante Anpassungen vorgenommen.

Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung

Beantragt der Leistungsempfänger für eine vor dem 15.2.2014 ausgeführt steuerpflichtige Bauleistung die Erstattung der von ihm nach § 13b UStG angemeldeten und abgeführten USt, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG für noch nicht festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume (§ 169 Abs. 1 AO) zu ändern, soweit dem leistenden Unternehmer ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht oder zugestanden hat.

Die Steuerfestsetzung kann gegenüber dem leistenden Unternehmer daher auch dann nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG geändert werden, wenn dem leistenden Unternehmer im Zeitpunkt der Änderung deshalb kein zivilrechtlicher Anspruch gegenüber dem Leistungsempfänger mehr zusteht, weil dieser bereits durch Erfüllung oder Verzicht erloschen ist.

Zivilrechtliche Aspekte

Die Finanzverwaltung nimmt auch zu den Fragen der zivilrechtlichen Geltendmachung der USt durch den leistenden Unternehmer gegenüber dem Leistungsempfänger in den Fällen des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG Stellung:

  • Der Anspruch auf die USt kann zusätzlich zum Netto-Entgelt geltend gemacht werden.
  • Der Anspruch ergibt sich regelmäßig aus § 313 Abs. 1 BGB, wenn der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger bei der Leistungserbringung von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgingen (Nettorechnung des leistenden Unternehmers mit Hinweis auf § 13b UStG und Abführung der USt nach § 13b UStG durch den Leistungsempfänger).
  • Der Anspruch kann sich auch aus § 313 Abs. 2 BGB oder aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 BGB ergeben.
  • In den Fällen, in denen die Vertragspartner ein Abtretungsverbot vereinbart haben, ist dieses nach § 354a Abs. 1 Satz 1 HGB suspendiert und steht einer Anwendung des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG nicht entgegen.
  • Der Anspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Leistungsempfänger einen Antrag auf Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzung stellt.

Entsprechend der Vorgabe des BFH werden das Bestehen und die Abtretbarkeit des Anspruchs des leistenden Unternehmers gegen den Leistungsempfänger vom zuständigen Finanzamt im Rahmen des Festsetzungsverfahrens geklärt.

Mitwirkungspflicht des leistenden Unternehmers

Der leistende Unternehmer hat dem Finanzamt alle Informationen und Unterlagen zur Geltendmachung seiner Forderung auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer, die abgetreten werden soll, zur Verfügung zu stellen. Er hat auch alle ihm bekannten Umstände, die zu Einreden, Einwendungen und/oder Aufrechnungen der Forderung führen können, offenzulegen.

Wenn sich im Festsetzungsverfahren aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflicht des leistenden Unternehmers nicht klären lässt, ob ihm ein zivilrechtlicher Anspruch gegen den Leistungsempfänger zusteht oder zugestanden hat, ist davon auszugehen, dass ein zivilrechtlicher Anspruch besteht oder bestanden hat.

Kein Ermessenspielraum

Sind die Vertragsparteien bei der Ausführung der damaligen Leistung von der Anwendung des § 13b UStG ausgegangen und wirkt der leistende Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mit, ist das der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessen auf null reduziert.

Erfüllungswirkung "an Zahlungs statt"

Die Rechnungserteilung mit Steuerausweis durch den leistenden Unternehmer ist keine Voraussetzung für die Abtretung nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG, sondern nur Bedingung für die Erfüllungswirkung „an Zahlungs statt“ nach § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG. Die Abtretung kann auch erfolgen, wenn der leistende Unternehmer die Steuer bereits gezahlt hat.

Ob die Abtretung an Zahlungs statt wirkt und damit zum Erlöschen des Umsatzsteueranspruchs führt, hängt nach Auffassung der Finanzverwaltung von den folgenden Voraussetzungen ab:

  • der leistende Unternehmer hat dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausgestellt,
  • die Abtretung an das Finanzamt bleibt wirksam,
  • dem Leistungsempfänger ist die Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt worden, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
  • der leistende Unternehmer ist seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen.

Wenn der Anspruch des leistenden Unternehmers gegen den Leistungsempfänger vor der Abtretung an das Finanzamt durch Erfüllung oder Verzicht erloschen ist, kann keine Abtretung nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG mehr erfolgen. Die Änderung der Steuerfestsetzung gegen den leistenden Unternehmer bleibt davon aber unbenommen.

Erstattung an den Leistungsempfänger

Den Leistungsempfängern werden beantragte Umsatzsteuer-Erstattungen – unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben und des unionsrechtlichen Neutralitätsgebots – nur gewährt, soweit sie die nachträgliche Zahlung der fraglichen Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer nachweisen oder mit dem Erstattungsanspruch nach § 27 Abs. 19 UStG aufgerechnet werden kann. Im Übrigen wird die Umsatzsteuererstattung abgelehnt.

Konsequenzen für die Praxis

Die Finanzverwaltung setzt in dem Schreiben weitestgehend die Vorgaben aus der Rechtsprechung des BFH um. Nachdem der BFH § 27 Abs. 19 UStG unter den von ihm genannten erweiterten Voraussetzungen als mit der Verfassung vereinbar angesehen hatte, war dies zu erwarten gewesen. Es hat sich damit bewahrheitet, dass die von der Änderung der Steuerfestsetzung betroffenen Unternehmer, die die Abtretungsregelung in Anspruch genommen haben, gut beraten waren. Aber auch jetzt noch kann die Abtretungsregelung unter den genannten Voraussetzungen angewendet werden, wenn der Anspruch gegen den Leistungsempfänger nicht erloschen oder erfüllt ist.

Nachdem der BFH festgestellt hatte, dass die Abtretung der Forderung des leistenden Unternehmers auch ohne die Ausstellung einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener USt vorgenommen werden kann, übernimmt dies die Finanzverwaltung, will aber nur in den Fällen des Ausstellens einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener USt die Wirkung „an Zahlungs statt“ eintreten lassen. Unternehmer sollten dies beachten.

Wenn einmal davon abgesehen wird, dass die gesamte Angelegenheit – schon von der erstmaligen Umsetzung der Regelungen zu den Bauleistungen, über die Rechtsauslegung der Finanzverwaltung zu den Bauträgern bis hin zu dem Urteil des BFH vom August 2013 – eines der überflüssigsten Ärgernisse bei der Umsatzsteuer war, bleibt zu hoffen, dass sie zumindest jetzt einen Abschluss gefunden hat. Dabei sollten die Beteiligten aus Gesetzgebung, Finanzverwaltung und Rechtsprechung vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, dass zur sicher sinnvollen Sicherung der Steuereinnahmen die eigentlich davon gar nicht betroffenen leistenden Unternehmer, die nur den damaligen Auslegungen der Finanzverwaltung folgten, teilweise einen horrenden Verwaltungsaufwand hatten, um im Rahmen der Abtretungsregelung nicht finanziell ruiniert zu werden.

Die Grundsätze des BMF-Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

BMF, Schreiben v. 26.7.2017, III C 3 - S 7279/11/10002-09, veröffentlicht am 1.8.2017