BMF Kommentierung: Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen

Die Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen steht seit Monaten im Fokus: Nach dem der BFH die alte Verwaltungsauffassung verworfen hatte, wurde diese zunächst angepasst. Jetzt wird die bisherige Regelung gesetzlich festgeschrieben und das BMF nimmt u. a. zum Thema Vertrauensschutz für die Altfälle Stellung. 

Nach der durch die Rechtsprechung des BFH notwendigen Änderung der Verwaltungsauffassung zur Übertragung der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen ergab sich das Problem, welche Konsequenzen sich für die Vertragsparteien ergeben, wenn in Altfällen (Leistungen vor dem 15.2.2014) der nach damaliger Rechtsauffassung die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schuldende Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer beantragt. Der Gesetzgeber hat durch § 27 Abs. 19 UStG den Versuch unternommen, durch Außerkraftsetzung des § 176 AO die Steuer auch rückwirkend bei dem leistenden Unternehmer zu erheben, ihm allerdings das Angebot gemacht, durch Abtretung der zivilrechtlichen Forderung seine Steuerschuld zu begleichen. Die Finanzverwaltung nimmt kurz nach Veröffentlichung des Gesetzes umfassend zu Inhalt und Abwicklung Stellung.

Die rechtliche Problematik

Der BFH (Urteil v. 22.8.2013, V R 37/10, BStBl 2014 I S. 128) hatte die bisher von der Finanzverwaltung vertretene Auslegung zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bei ausgeführten Bauleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 UStG) verworfen. Während früher von der Finanzverwaltung davon ausgegangen wurde, dass der Leistungsempfänger dann zum Steuerschuldner für eine ihm gegenüber ausgeführte Bauleistung wurde, wenn er im vorangegangenem Kalenderjahr mehr als 10 % seiner weltweit ausgeführten Leistungen als Bauleistungen ausgeführt hatte, wurde dies vom BFH als für die Beteiligten nicht rechtssicher feststellbar angesehen. Der BFH sieht eine Übertragung der Steuerschuldnerschaft in diesen Fällen nur dann, wenn der Leistungsempfänger die ihm gegenüber ausgeführte Bauleistung selbst unmittelbar für eine Bauleistung verwendet. Nach der Rechtsprechung des BFH sind insbesondere Bauträger nicht mehr Steuerschuldner für ihnen gegenüber ausgeführten Bauleistungen.

Gesetzliche Neuregelung zum 1.10.2014

Der Gesetzgeber hat mittelbar die bisher von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung weitestgehend in die Neufassung des § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG übernommen (Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 25.7.2014 („Kroatienanpassungsgesetz“), BGBl 2014 I S. 1266). In der ab dem 1.10.2014 geltenden Fassung wird der Leistungsempfänger dann zum Steuerschuldner, wenn ihm gegenüber Bauleistungen ausgeführt werden und er selbst nachhaltig solche Leistungen ausführt. Die nach der BFH-Rechtsprechung hergestellte Verknüpfung mit einer unmittelbar damit erbrachten Bauleistung wird damit gesetzlich ausgeschlossen. Der Nachweis soll in Zukunft grundsätzlich durch eine (neue) Bescheinigung des für den Leistungsempfänger zuständigen Finanzamts erfolgen, in der ihm die Eigenschaft als bauleistender Unternehmer bestätigt wird.

Ein besonderes Problem hatte sich für die Altfälle ergeben. Waren die Beteiligten bei Leistungen bis zum 14.2.2014 davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 UStG a. F. zum Steuerschuldner wird und stellte sich dies in Anwendung der Rechtsprechung des BFH als nicht zutreffend heraus, ergab sich die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen. Insbesondere war dies fraglich in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer für die an ihn ausgeführte Leistung nach damaliger Auffassung der Finanzverwaltung schuldete, aber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war (insbesondere Bauträger). Umstritten war dabei, ob der Leistungsempfänger die von ihm an das Finanzamt entrichtete USt zurückfordern und ob die Finanzverwaltung die USt nachträglich beim leistenden Unternehmer einfordern konnte.

Die Finanzverwaltung hatte schon in 2 Schreiben zu den Rechtsfolgen der Entscheidung des BFH Stellung genommen und die wesentlichen Grundsätze umgesetzt (BMF, Schreiben v. 5.2.2014, BStBl 2014 I S. 233; BMF, Schreiben v. 8.5.2014, BStBl 2014 I S. 823). Allerdings wurden in diesen Schreiben die Rechtsfolgen für die Altfälle (Leistungen vor dem 15.2.2014) nicht abschließend geregelt. Nachdem jetzt eine gesetzliche Regelung vorliegt, nimmt die Finanzverwaltung zu den Inhalten der gesetzlichen Regelung und deren Abwicklung ausführlich Stellung.

Hinweis: Die Finanzverwaltung hatte bisher zwar grundsätzlich festgestellt, dass die Vertragsparteien auch in den Altfällen an der bisherigen Behandlung festhalten können (Vereinfachungsregelung/Nichtbeanstandungsregelung), aber keine Feststellung zu der Frage getroffen, wie gegenüber dem leistenden Unternehmer zu verfahren ist, wenn der Leistungsempfänger nachträglich die Erstattung der USt beantragt.

Im „Kroatienanpassungsgesetz“ hat der Gesetzgeber den Versuch einer Regelung unternommen. Beantragt der Leistungsempfänger für die vor dem 15.2.2014 an ihn erbrachten Leistungen die Erstattung der von ihm im Reverse-Charge-Verfahren berechneten und abgeführten USt soll die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO gegenüber dem leistenden Unternehmer nicht gelten. Die Steuerfestsetzung ist gegenüber dem leistenden Unternehmer – soweit nicht Festsetzungsverjährung gegeben ist – zu ändern. Allerdings kann der leistende Unternehmer die ihm nach der Gesetzeslage zustehende zivilrechtliche Forderung auf die USt gegenüber dem Leistungsempfänger an das Finanzamt abtreten. Die Abtretung wirkt unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG an Zahlungs statt.

Das BMF-Schreiben vom 31.7.2014

Neben den allgemeinen Grundsätzen, die sich aus der Rechtsprechung des BFH ergeben, stellt die Finanzverwaltung noch einmal besonders heraus, dass die Beteiligten auch in den Altfällen (Leistungen bis zum 14.2.2014) – einvernehmlich – an der bisherigen Behandlung festhalten können. In diesen Fällen ergeben sich für alle Beteiligten keine Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BFH; es besteht keine Notwendigkeit für die Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG.

Beantragt der Leistungsempfänger aber die von ihm im Reverse-Charge-Verfahren berechnete und an das Finanzamt abgeführte USt, da er in den Altfällen nach der Rechtsprechung des BFH nicht Steuerschuldner geworden sei, ist die Steuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer zu ändern, soweit nicht Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Die Finanzverwaltung geht inhaltlich nicht auf eventuelle Vertrauensschutztatbestände für den leistenden Unternehmer ein und wiederholt lediglich die schon in § 27 Abs. 19 UStG enthaltene Aussage, dass der Änderung der Steuerfestsetzung gegen den leistenden Unternehmer § 176 AO nicht entgegensteht.

Wichtig: Über diese schon im Gesetz enthaltene einfache Aussage – die auch in der Gesetzesbegründung nicht näher systematisch erläutert wird – wird es in der Zukunft voraussichtlich Streit geben. Es ist fraglich, ob der Gesetzgeber – nur aus fiskalischen Gründen – ein verfahrensrechtliches Grundrecht einfach so außer Kraft setzen kann. Vertrauensschutztatbestände verlieren ihren Sinn, wenn der Gesetzgeber sie je nach Interessenslage rückwirkend außer Kraft setzt.

Der leistende Unternehmer kann die ihm jetzt gegen den Leistungsempfänger zustehende zivilrechtliche Forderung auf die USt an sein Finanzamt abtreten. Die Abtretung wirkt an Zahlungs statt, wenn (§ 27 Abs. 19 UStG):

  • Der leistende Unternehmer eine Rechnung (erstmalig oder als geänderte Rechnung) mit gesondert ausgewiesener USt erteilt hat;
  • die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt;
  • dem Leistungsempfänger die Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung hat und
  • der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.

Beantragt ein Leistungsempfänger gegenüber seinem Finanzamt die Erstattung einer bisher im Reverse-Charge-Verfahren berechneten USt, hat er dem Finanzamt die folgenden Informationen zu übermitteln:

  • Persönliche Daten des leistenden Unternehmers (Name, Anschrift und Steuernummer),
  • Rechnungsinformationen (Datum, Nummer, Leistungsbezeichnung, Entgelt und – soweit schon eine berichtigte Rechnung vorliegt – Steuersatz, Steuerbetrag Zeitpunkt der Zahlung und/oder der Schlusszahlung der hierüber erteilten Rechnungen bzw. Gutschriften),
  • Zahlungsinformationen (Zeitpunkt und Höhe geleisteter Anzahlungen oder Teilzahlungen) mit den jeweiligen Rechnungsdaten dazu,
  • Zuordnung der bezogenen Bauleistung bzw. der geleisteten Anzahlung zu dem jeweiligen Ausgangsumsatz; dabei muss der Ausgangsumsatz konkret mit der Baumaßnahme angegeben werden, damit überprüft werden kann, ob nicht auch nach der Rechtsprechung des BFH der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner wird (Verknüpfung mit einer von ihm selbst unmittelbar erbrachten Bauleistung).

Hinweis: Die Finanzverwaltung soll den Leistungsempfänger darauf hinweisen, dass diese Daten auch zum Zweck der Besteuerung des jeweils leistenden Unternehmers verwendet werden.

Das Finanzamt des Leistungsempfängers informiert unverzüglich das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt darüber, dass der Leistungsempfänger sich auf das BFH-Urteil beruft. Darüber hinaus ist der leistende Unternehmer darauf hinzuweisen, dass

  • die Umsatzsteuer jetzt von ihm geschuldet wird,
  • eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 UStG beabsichtigt ist und
  • er die Steuerschuld durch Abtretung der zivilrechtliche Forderung erfüllen kann.

Die Abtretung der Forderung auf Zahlung der USt soll – zur Beschleunigung des Verfahrens – schon vor einer Änderung der Steuerfestsetzung  erfolgen.

Die Entscheidung über die Erstattungsansprüche des Leistungsempfängers sollen so lange zurückgestellt werden, bis das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt mitgeteilt hat, ob eine wirksame Abtretung vorliegt.

Im Zusammenhang mit der Erstattung bzw. mit der Nachzahlung geht die Finanzverwaltung auf ein weiteres Problem ein: Soweit es sich um Steueränderungen der Vergangenheit handelt, die mehr als 15 Monate zurückliegen, stellt sich die Frage der Verzinsung nach § 233a AO. Diese Frage löst die Finanzverwaltung pragmatisch: Der Erstattungswunsch des Leistungsempfängers wird als rückwirkendes Ereignis i. S. d.  § 233a Abs. 2a AO angesehen, sodass der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in der das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass dem leistenden Unternehmer keine Verzinsung der Nachzahlungsverpflichtung droht. Zum Verzinsungsanspruch des Leistungsempfängers äußert sich die Finanzverwaltung dagegen nicht, sodass für diesen wohl eine Verzinsung (mit 0,5 % pro Monat) in Betracht kommt.

In einem letzten Teil nimmt die Finanzverwaltung zu der finanzamtsinternen Abwicklung im Umgang mit der abgetretenen Umsatzsteuerforderung Stellung. Grundsätzlich wird klargestellt, dass die Finanzverwaltung gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch des Leistungsempfängers (oder andere Erstattungsansprüche) die durch Abtretung erworbene zivilrechtliche Forderung des leistenden Unternehmers ab deren Fälligkeit aufrechnen kann.

Hinweis: Soweit sich die Aufrechnungslage weder aus § 226 Abs. 1 AO aufgrund der Ertragsberechtigung noch aus § 226 Abs. 4 AO aufgrund der Verwaltungshoheit ergibt, kann die Gegenseitigkeit durch Abtretung des Erstattungsanspruchs an die den Erstattungsanspruch erfüllende Körperschaft hergestellt werden.

Die Grundsätze über die Abwicklung des § 27 Abs. 19 UStG werden indirekt in den UStAE aufgenommen, indem in Abschn. 27.1 Abs. 5 UStAE ein Hinweis auf dieses BMF-Schreiben aufgenommen wird.

Konsequenzen für die Praxis

Es war die spannende Frage nach der Veröffentlichung des BFH-Urteils, wie die Finanzverwaltung aus der Steuerfalle in den Altfällen – insbesondere bei den Bauträgern – herauskommen will. Nachdem nun der gesetzliche Lösungsversuch des § 27 Abs. 19 UStG verabschiedet und in Kraft gesetzt worden ist, sind aber nicht alle Fragen geklärt. Zum einen wird einer weiteren rechtlichen Klärung vorbehalten bleiben, ob der Gesetzgeber so einfach die Vertrauensschutzregelungen des § 176 AO für den leistenden Unternehmer außer Kraft setzen kann. Darüber hinaus wird in der Regelung des § 27 Abs. 19 UStG offensichtlich stillschweigend davon ausgegangen, dass sich nach Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs für die ursprünglich vom Leistungsempfänger geschuldete USt und einer Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer automatisch eine zivilrechtliche Forderung des leistenden Unternehmers gegenüber dem Leistungsempfänger ergibt. Ob dies so ist und immer so sein muss, kann bezweifelt werden. Hier wird es auch auf die individuellen Vertragsvereinbarungen ankommen. Ein Rechtsirrtum – ob aufgrund einer Verwaltungsanweisung oder nicht – über den zutreffenden Steuerschuldner, führt nicht automatisch zu einem Nachforderungsrecht für die dann gegenüber dem leistenden Unternehmer festgesetzte USt.

Darüber hinaus wird verkannt, dass eigentlich – soweit überhaupt zulässig – gegenüber dem leistenden Unternehmer nur eine USt festgesetzt werden dürfte, die aus dem insgesamt erhaltenen Betrag herausgerechnet wird. Der Betrag, den der leistende Unternehmer von dem Leistungsempfänger erhalten hat, stellt – soweit der Leistungsempfänger die USt nicht zusätzlich zu zahlen bereit ist – den Bruttobetrag dar.

Die Finanzverwaltung setzt nur die vom Gesetzgeber verabschiedete Regelung um, das BMF-Schreiben enthält die für die Abwicklung notwendigen Schritte und Auskunftsverpflichtungen. Ob die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG aus den genannten Gründen rechtlich haltbar sein wird, wird die Zukunft zeigen. Im Ergebnis ist es ein vielschichtiges Problem. Zum einen hat die Finanzverwaltung durch die damals gegenüber den Bauträgern durchgesetzte Anwendung der Übertragung der Steuerschuldnerschaft die Grundlage für die derzeitige Problematik gelegt. Zum anderen ist das Urteil des BFH in seiner inhaltlichen Aussage auch nicht überzeugend – eine andere Lösung wäre sicher möglich gewesen. Offensichtlich wurde hier eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Verwaltung und Rechtsprechung ausgetragen. Schließlich ist es auch eine moralische Frage: Ist es gerechtfertigt, dass der Leistungsempfänger USt zurückfordert, wenn damals davon ausgegangen wurde, dass er der Steuerschuldner wird und deshalb der leistende Unternehmer nur einen Nettobetrag berechnet? Allerdings passen Moral und Steuerrecht sowieso nicht zusammen.

BMF, Schreiben v. 05.02.2014​​​​​​​, IV D 3 – S 7279/11/10002