Straßenbahn rammt Kfz, während die Ampel für beide Grün anzeigt

Wenn ein Auto mit einer Straßenbahn zusammenstößt, ist physikalisch gesehen klar, wer den Kürzeren zieht. Doch wie sieht die Haftungsfrage aus, wenn sowohl die Ampel für den Autofahrer als auch die für die Straßenbahn auf "Grün" bzw. auf freie Fahrt stand? Im Zweifel ist der Schienenverkehr besser gestellt, schließlich hat er den längeren Bremsweg.

Ein links abbiegendes Kfz kollidierte an einer beampelten Kreuzung bei einer 180 °- Wende mit einer geradeaus fahrenden Straßenbahn.

Auto rammt Straßenbahn beim U-Turn

Die Ampelanlage für den Autofahrer, der durch einen Fahrtrichtungswechsel um 180° wenden wollte, stand auf Grün. Die Ampel für die geradeaus fahrende Straßenbahn, deren Gleise der Mann bei seinem "U-Turn" auf eine mehrspurigen Straße kreuzte, ebenfalls. Es kam zum Crash, auch deshalb, weil durch die Ampelschaltung ein gleichzeitiges Befahren des Bahnübergangs durch Individualverkehr und eine Straßenbahn nicht ausgeschlossen war. Vor Gericht musste die Frage der Verantwortung geklärt werden.

Der Kläger, ein zum Zeitpunkt des Unfalls 79 Jahre alte Autofahrer, musste bei seinem versuchten U-Turn die für beide Fahrtrichtungen in der Straßenmitte befindlichen Straßenbahngleise überfahren. Bei dem Versuch wurde er von einer aus der gleichen Richtung kommenden Straßenbahn erfasst. Der Mann erlitt schwere Verletzungen ­ als Folge des Unfalls musste ihm die Milz operativ entfernt werden. Der Autofahrer klagte gegen die Verkehrsbetriebe und den Straßenbahnfahrer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Autofahrer hatte keinen Anspruch auf Schadensersatz

Die Klage wurde letztlich vom OLG Hamm zurückgewiesen. Es bestünden keine Ansprüche auf den Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden.

  • Zwar lägen die Haftungsvoraussetzungen des § 1 (Haftpflichtgesetz) HPflG vor.
  • Allerdings ergäbe die Abwägung der Verursachungsbeiträge,dass der Kläger für die Unfallfolgen zu 100 % selbst haftungsrechtlich verantwortlich sei, entschied das OLG Hamm.

Keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Verkehrsbetriebe

Entgegen der Auffassung des Klägers ging das Gericht nicht von einer unfallursächlichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Verkehrsbetriebe aus.

  • die Verkehrsbetriebe hätten nicht wegen der Gefahrenträchtigkeit der Unfallstelle auf eine Änderung der Ampelschaltung hinwirken müssen,
  • um zu vermeiden, dass beide Ampeln auf Grün stehen – die für die linksabbiegenden Autofahrer und die für die Straßenbahn.
  • Vielmehr greife in der Unfallsituation die gesetzliche Vorrangsregelung zugunsten der Schienenbahn
  •  gegenüber einem bei Grünlicht abbiegenden Linksabbieger gemäß Abs. 37 Abs. 2 Ziffer 1 StVO.

Zwar sei es zwecks Vermeidung von Unfällen sicherer, wenn durch eine Ampelschaltung ein gleichzeitiges Befahren des Bahnübergangs durch Individualverkehr und eine Straßenbahn ausgeschlossen sei. Auf eine solche Lösung hätten Verkehrsteilnehmer aber keinen Anspruch, da sie zu längeren Wartezeiten im Kreuzungsbereich führe und damit die Gefahr von Staus erhöhe.

Rechtlich komfortabler als für Autofahrer ist die Situation von Straßenbahnführern

Bei einer derartigen Ampelphasenschaltung greift die Vorrangregelung zugunsten der Schienenbahn. Straßenbahnführer dürfen darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer die §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 StVO beachten und Schienen nicht besetzen (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 05.03.1991, 9 U 106/90, OLG Hamm Urteil v. 22.11.2004, 13 U 131/04).

  • Straßenbahnführer müssen nicht damit rechnen, dass ein vor ihnen fahrendes Fahrzeug in einer Entfernung, die die Gefahr eines Zusammenstoßes in sich schließt, in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt
  • dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat
  • wenn dem Straßenbahnfahrer weder eine für den Unfall (mit)ursächliche Geschwindigkeitsüberschreitung,
  • noch eine verspätete Reaktion nachgewiesen werden können.

Konsequenz für Autofahrer

Da der klagende Autofahrer vorhatte, mittels eines U-Turns über die Schienen in den Gegenverkehr zu wenden, handelte es sich bei seinem Fahrmanöver nicht um ein doppeltes Linksabbiegen, sondern um ein Wenden i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO.

  • Der Autofahrer hätte sich dabei gemäß § 9 Abs. 5 StVO so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre
  • Während das Gericht beim Autofahrer schwere Verkehrsverstöße gegen §§ 9 und 2 StVO sah, habe sich auf Seiten des Beklagten lediglich die allgemeine – nicht durch Verkehrsverstöße erhöhte – Betriebsgefahr der Straßenbahn verwirklicht.

Diese Betriebsgefahr der Straßenbahn trete gegen die Verstöße des Autofahrers zurück. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit liegt deshalb vollständig auf Seiten des Klägers.

(OLG Hamm, Urteil v. 13.04.2018, 7 U 36/17).

Weitere News zum Thema:

Haftung für Unfall bei einem Spurwechsel im Reißverschlussverfahren

Verstopfte Kreuzung – Rote Karte für Rechthaber

Rotlichtverstoß

Haufe Online Redaktion
Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, Haftung