Haftung für Unfall bei Spurwechsel im Reißverschlussverfahren

Wer die Fahrspur wechselt, ist durch § 7 Abs. 5 StVO zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Beim Reißverschlussverfahren, dem Zusammenführen zweier Fahrspuren im Kolonnenverkehr, ist von beiden Fahrern Aufmerksamkeit und Kommunikationsgeschick gefragt. Ist hierbei für eine Kollision beim Einfädeln die Haftungsfrage so eindeutig, wie bei einem einfachen Fahrbahnwechsel?

Beim Wechseln einer Fahrspur gilt grundsätzlich § 7 Abs. 5 StVO:

„In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Jeder Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.“

Schuldhafter Verstoß des Spurwechslers

In der Praxis führt dies dazu, dass der Beweis des ersten Anscheins oft dafür spricht, dass ein Unfall auf einem schuldhaften Verstoß des Spurwechslers gegen die rechtzeitig ausgeübte Ankündigungspflicht aus § 5 Abs. 1 StVO beruht. Häufig führt dies dann auch zu einer Alleinhaftung des Spurwechslers.

Die Besonderheit ist bei der Haftung möglicherweise gegeben, wenn der Spurwechsel im Reißverschlussverfahren erfolgt. Das OLG München befasste sich mit der Frage, ob dann eine andere Argumentationskette greift.

Widersprüchliche Äußerungen des Spurwechslers

Der in diesem Fall vor einem LKW einfädelnde Porsche-Fahrer hatte sich widersprüchlich geäußert:

  • Einerseits hatte er behauptet, er habe in einem ausreichend großen Abstand vor dem Lkw auf die rechte Spur gewechselt.
  • Andererseits hatte er zu Protokoll gegeben, dass er nicht sagen könne, in welchem Abstand sich der Lkw zu seinem Auto befand, als er den Spurwechsel einleitete.

Schuldanerkenntnis am Unfallort war unbeachtlich

  • Nicht zu Gunsten des Porsche-Fahrers wirkte sich aus, dass der Lkw-Fahrer nach dem Unfall vor Ort eine vom klagenden Porsche-Fahrer formulierte Sachverhaltsdarstellung unterschrieben hatte, wonach der Porsche vom Lkw „übersehen“ wurde.
  • Wenn der Lkw-Fahrer den Pkw nicht gesehen habe, dann könne er auch nicht beurteilen, ob er ihn rechtzeitig hätte erkennen können, so das Gericht.

Verstoß gegen Pflicht zur äußersten Sorgfalt

Letztlich kam das Gericht zu der Einschätzung, dass der die Spur wechselnde Porsche-Fahrer gegen die Einhaltung der äußersten Sorgfalt verstoßen hatte, die § 7 StVO vorschreibt. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sich der Unfall im Zusammenhang mit einem Reißverschlussverfahren ereignet habe.

Wann kommt Mithaftung des Bevorrechtigten in Betracht?

Zur Frage einer möglichen Mithaftung des bevorrechtigten Lkw-Fahrers führte das Gericht aus:

  • Eine Mithaftung des Bevorrechtigten kommt dann in Betracht, wenn er die Gefahr einer Kollision auf sich zukommen sehen musste und unfallverhütend hätte reagieren können
  • Die Beweislast trägt diesbezüglich aber der Spurwechsler

Bei besonderer Sorgfaltspflicht tritt  Betriebsgefahr regelmäßig zurück

Eine automatische Mithaftung in Höhe der allgemeinen Betriebsgefahr existiert auch in dieser Situation nicht

Fazit: Der die Spur wechselnde Porsche-Fahrer haftet allein. Im Rahmen der gemäß § 17 I, II StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung tritt in Fällen des Verstoßes gegen äußerste Sorgfalt fordernde Vorschriften wie § 7 StVO die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurück.

(OLG München, Urteil v. 21.04.2017, 10 U 4565/16).

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Hintergrund: Reißverschlussverfahren

Kommt es bei Anwendung des sog. Reißverschlussverfahrens im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einfädeln zu einer Kollision, handelt der Spurwechsler dem ersten Anschein nach schuldhaft,  da für ihn die die gesteigerte Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO gilt. Er müsste daher die Unabwendbarkeit des Unfalls beweisen.

  • Unabwendbarkeit bedeutet zwar nicht die absolute Unvermeidbarkeit, sondern nur eine besonders sorgfältige Fahrweise und Reaktion.
  • Der Fahrer muss dabei auch erhebliche fremde Fehler berücksichtigen und typische Verhaltensweisen im Straßenverkehr einkalkulieren.
  • Unabwendbar ist daher ein Ereignis nur dann, wenn auch der gedachte Idealfahrer bei Anwendung sämtlicher Sorgfaltsvorschriften das Verkehrsunfallgeschehen nicht hätte vermeiden können (AG Dortmund, Urteil v. 23.02.2010, 423 C 12873/09).
Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht, Kraftfahrzeug