Leitsatz (amtlich)

1) Sofern bereits das Bestehen von Ansprüchen dem Grunde nach zu verneinen ist, ist eine Klageänderung in der Berufungsinstanz zwecks Beilegung des Gesamtkonflikts auch dann zulässig, wenn der Kläger seine Klageänderung auf neues Vorbringen zur Anspruchshöhe stützt, welches nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden darf (Anschluss an OLG Naumburg, Urt. v. 25.09.2003, Az. 1 U 29/03).

2) Ein Straßenbahnführer darf darauf vetrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3 und 9 Abs. 3 StVO beachten und Schienen nicht besetzen.

3) Er braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat.

4) Bei der Abwägung der Betriebsgefahr der Straßenbahn gegen das erhebliche Verschulden des Pkw-Führers bei einem Verstoß gegen §§ 2 Abs. 3 und 9 Abs. 3 StVO tritt die Betriebsgefahr der Straßenbahn zurück.

 

Normenkette

HPflG § 1; StVO §§ 2-3; ZPO §§ 531, 533

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 196/16)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11.04.2017 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (2 O 196/16) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von den Beklagten immateriellen und materiellen Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Unfallereignis von November 2015 in C, an dem der Kläger mit seinem Pkw und eine Straßenbahn der Beklagten zu 1) beteiligt waren.

Der Kläger beabsichtigte, einen Wendevorgang (U-Turn) durchzuführen, wobei er links fahrend die für beide Fahrtrichtungen in der Straßenmitte befindlichen Straßenbahngleise hätte passieren müssen. Als die Ampel für ihn Grünlicht zeigte, fuhr er auf die Gleise, wo sein Pkw von der vom Beklagten zu 2) gelenkten, aus gleicher Richtung kommenden Straßenbahn im Bereich der Fahrerseite erfasst wurde. Die zeitlichen Abläufe sind zwischen den Parteien im Streit. Unstreitig hatte kurze Zeit vor dem Unfall bereits eine Straßenbahn aus der Gegenrichtung die spätere Unfallstelle passiert.

Der Kläger wurde durch den Unfall erheblich verletzt, insbesondere musste ihm aufgrund seiner Verletzungen die Milz operativ entfernt werden; weitere Unfallfolgen - insbesondere das Bestehen von Dauerschäden - sind zwischen den Parteien im Streit.

Der Kläger hat von den Beklagten Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 18.000,00 EUR, den Ersatz seiner Selbstbeteiligung bei der Kaskoversicherung, Ausgleich ihm entgangener Beitragsrückerstattungen der privaten Krankenversicherung in Höhe von 5.200,- EUR, die allgemeine Unkostenpauschale, die Erstattung von Attestkosten und eines Rechnungsbetrages des Klinikums sowie den Ersatz des Zeitwerts einer bei dem Unfall beschädigten Hose und seiner Uhr verlangt. Er hat zudem die Feststellung einer Ersatzpflicht des Höherstufungsschadens bei der Kasko-Versicherung begehrt.

Der Kläger hat behauptet, er habe bereits mindestens fünf Sekunden bzw. nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zehn bis zwölf Sekunden auf den Gleisen gestanden, bevor es zur Kollision gekommen sei. Der Beklagte zu 2) hätte bei frühzeitiger Einleitung eines Bremsvorgangs den Unfall vermeiden können. An der Unfallstelle sei besondere Vorsicht geboten gewesen, weil es dort aufgrund der Ampelschaltung, die - insoweit unstreitig - zum damaligen Zeitpunkt "Grünlicht" zeitgleich für die Straßenbahn und für den nach links über die Gleise abbiegenden Verkehr vorgesehen habe, vermehrt zu Unfällen gekommen sei. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, dass die Beklagte zu 1) ein Organisationsverschulden treffe. Hinsichtlich des geltend gemachten Schadenersatzbetrages von 5.200,00 EUR hat der Kläger vorgetragen, dass er in den vergangenen Jahren seine private Krankenversicherung nicht habe in Anspruch nehmen müssen; er habe aus diesem Grunde aufgrund vertraglicher Vereinbarung Prämien von jährlich 2.600,00 EUR von seiner Krankenversicherung rückerstattet bekommen; diese Rückerstattungen seien ihm für die Jahre 2015 und 2016 aufgrund des Unfalls entgangen.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe sich zunächst rechts neben den Schienen eingeordnet und dort gewartet. Er sei sodann auf die Schienen gefahren, wo ihn die vom Beklagten zu 2) gefahrene Straßenbahn erfasst habe. Das klägerische Fahrzeug habe sich im Kollisionszeitpunkt, jedenfalls aber unmittelbar davor noch in Bewegung befunden. Die Kollision sei für den Beklagten zu 2) unvermeidbar gewesen; jedenfalls treffe ihn kein Verschulden. Angesichts des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers trete die Betriebsgefahr der Sta...

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