Anspruch auf Details zu Messdaten bei Geschwindigkeitsverstößen

Autofahrer, die wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt werden und einen Zweifel daran haben, dass die Messung korrekt war, können einen Anspruch auf Einsicht in Details der Messdaten haben, die sich nicht in der Bußgeldakte befinden. Das gebieten laut Bundesverfassungsgericht der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und ein faires Verfahren.

Ein Autofahrer war geblitzt worden und hatte wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h einen Bußgeldbescheid bekommen und war zudem mit einem einmonatigen Fahrverbot belegt worden.

Zum Abwenden des Fahrverbotes Zugang zu Rohmessdaten gefordert

Der Fahrer bezweifelte die Richtigkeit der Messung. Er legte Einspruch gegen den Bescheid ein und verlangte einen umfassenden Zugang zu Informationen. Konkret: Er wollte Einsicht nehmen in

  • die Lebensakte des verwendeten Messgeräts,
  • den Eichschein
  • und die sogenannten Rohmessdaten

- alles Dokumente, die sich nicht in der Bußgeldakte befanden.

Behörde weigerte sich alle Informationen offenzulegen

Die Behörde legte nur einen Teil der geforderten Informationen vor und begründete das Vorenthalten der anderen Informationen damit, dass diese nicht Teil der Ermittlungsakte seien und deshalb nur auf gerichtliche Anordnung vorgelegt würden. Vor den Fachgerichten blieb der Einspruch erfolglos.

Gerichte sahen keinen Informationsbedarf bei standardisiertem Messverfahren

Der Zugang zu den Informationen wurde ihm von den Gerichten nicht gewährt. Das Amtsgericht argumentierte, bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem zum Einsatz gekommenen Messgerät handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Das Gerät sei geeicht gewesen und durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt worden. Die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts sei damit indiziert. Auch vor dem OLG Bamberg hatte der Fahrer keinen Erfolg. Das Gericht verwarf seine Rechtsbeschwerde.

Bundesverfassungsgericht sah Recht auf faires Verfahren verletzt

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde des Betroffenen stattgegeben. Die Entscheidung der Fachgerichte verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Das BVerfG wies zwar darauf hin, dass es nicht zu beanstanden sei, dass die Fachgerichte im Falle eines standardisierten Messverfahrens von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht ausgegangen seien. Bei diesen Messverfahren seien nach der Rechtsprechung des BGH geringere Anforderungen and die Beweisführung und die Urteilsfeststellung der Fachgerichte zu stellen.  Bestünden keine Bedenken gegen die Richtigkeit eines Messergebnisses, genüge deshalb zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes grundsätzlich

  • die Mitteilung des eingesetzten Messverfahrens
  • die ermittelte Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und des berücksichtigen Toleranzwertes

Wann besteht Anspruch auf Informationen außerhalb der Gerichtsakte?

Allerdings habe ein Betroffener die Möglichkeit, das Tatgericht auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Hierfür müsse er konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgeräts vortragen. Die bloße Behauptung, die Messung sei fehlerhaft, begründet für das Gericht keine Pflicht zur Aufklärung.

Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folge grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.

Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen verlange, die sich außerhalb der Gerichtsakte befänden, um sich Gewissheit über Tatsachen zu verschaffen, die seiner Entlastung dienten, sei ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren.

Informationszugang bei massenhaft vorkommenden Ordnungswidrigkeiten begrenzt

Dies bedeute allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gelte. Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten sei im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten.

In dem Verfahren hätten die Fachgerichte bereits verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht in der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folge.

Anspruch auf eigenständiges Überprüfen des Messvorgangs

Dem Mann sei es nicht auf die Erweiterung des Aktenbestandes oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht gegangen, sondern um die Möglichkeit, den Messvorgang eigenständig zu überprüfen, um gegebenenfalls – bei Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses – die Annahme eines standardisierten Messverfahrens zu erschüttern. Dafür musste er keine konkreten Anhaltspunkte für Fehler vortragen.

(BVerfG, Beschluss v. 12.11.2020, 2 BvR 1616/18).

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Hintergrund: Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit

Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter, der - auch im Blick auf die grundrechtlich gesicherte Verfahrensgarantie aus Art. 103 Abs. 1 GG - den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen hat, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen.

Dem entspricht die Pflicht des Richters, diese Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten gegenüber den Prozessbeteiligten zu wahren (BVerfGE 52, 131, 156 f. m.w.N.).

Erforderlich sind danach die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter und gleichwertige Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Rechte. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180, 188) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.

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Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht, Bußgeld