VGH BW: Verfassungsbeschwerde gegen Blitzerbußgeld

Der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof (VGH) hat der Verfassungsbeschwerde eines Kraftfahrers gegen ein wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verhängtes Bußgeld stattgegeben. Die Behörde hatte den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt.

Auch in einem einfachen Bußgeldverfahren muss der Grundsatz des fairen Verfahrens beachtet werden. Deshalb muss dem Betroffenen im Fall des Vorwurfs einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf sein Verlangen Zugang zu den Reparatur- und Wartungsunterlagen des verwendeten Messgeräts gewährt werden. Andernfalls ist sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

Geldbuße und Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsüberschreitung

Dies entschied der baden-württembergische VGH im Fall der Verurteilung eines Betroffenen durch die Instanzgerichte zu einer Geldbuße in Höhe von 160 EUR sowie einem einmonatigen Fahrverbot wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h.

Betroffener forderte Zugang zu den Messdaten

Bereits vor und auch während des gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens begehrte der Betroffene Zugang zu den Unterlagen und Messdaten des verwendeten Lasergeräts „PoliScanSpeed“. Das Regierungspräsidium Karlsruhe gewährte dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zwar Einsicht in die Ermittlungsakte, verweigerte jedoch die Übermittlung der Unterlagen zu den Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweisen. Begründung: Diese könnten ohnehin nur von einem Sachverständigen ausgelesen werden. Man sei bereit, die Datensätze an einen vom Beschwerdeführer zu beauftragenden, anerkannten privaten Sachverständigen zu übermitteln.

Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Geldbuße und das Fahrverbot hatte beim VGH Erfolg. Der VGH stellte klar, dass nach ständiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung Betroffene auch in Bußgeldverfahren das Recht auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen haben. Dies folge aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens (BVerfG, Beschluss v. 12.11.2020, 2 BvR 1451/18).

Recht auf Waffengleichheit

Der Anspruch auf ein faires Verfahren beinhaltet nach der Entscheidung des VGH einen Anspruch auf verfahrensrechtliche Waffengleichheit zwischen der Exekutive und dem Betroffenen. Dies bedeute, dass der Betroffene bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Möglichkeit haben muss, auf den Gang und auf das Ergebnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens Einfluss zu nehmen. Eine solche Einflussnahme setzt das Recht auf frühzeitigen und umfassenden Umgang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und zu den für das Verfahren wichtigen Informationen voraus (BVerfG, Urteil v. 30.3.2004, 2 BvR 1520/01).

Strafrechtliche Verfahrensgrundsätze gelten auch im Ordnungswidrigkeitenrecht

Diese teilweise für das Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätze gelten nach Ansicht des VGH für bußgeldrechtliche Verfahren gleichermaßen. Gerade die technische Komplexität bei Geschwindigkeitsmessungen und die verschiedenen zum Einsatz kommenden Messmethoden ließen das Bedürfnis der Betroffenen an dem Zugang zu sämtlichen die Messung betreffenden technischen Informationen als nachvollziehbar und geboten erscheinen. Allerdings folge hieraus kein unbegrenztes Recht auf Zugang zu sämtlichen, außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen, vielmehr müsse der Betroffene die gewünschten Unterlagen konkret benennen. Zudem setzte der Anspruch voraus, dass die geforderten Informationen einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zum konkreten Ordnungswidrigkeitenvorwurf aufweisen.

Recht auf ein faires Verfahren verletzt

Nach der Entscheidung des VGH hatten sowohl das AG als auch das OLG verkannt, dass im konkreten Fall der Informationsanspruch des Betroffenen die Einsichtnahme in die Wartungs- und Reparaturanlagen des verwendeten Messgerätes erfasst, da die Einsichtnahme zu einer wirksamen Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte erforderlich sei. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass bei nicht ordnungsgemäßer Wartung und Reparatur des Messgeräts sich entscheidende Entlastungsmomente für den Betroffenen ergeben könnten.

AG muss erneut entscheiden

Mit dieser Argumentation kam der VGH zu dem Ergebnis, dass die vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 LV BW i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig waren, die Rechte des Beschwerdeführers verletzten und daher aufzuheben sind. Der VGH hat die Sache an das erstinstanzlich zuständige AG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

(VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 16.1.2023, 1 VB 38/18)

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