Rechtsänderungen 2023: Digitalisierung

Ganz oben auf der Liste des Gesetzgebers der für das Jahr 2023 zu erwartenden rechtlichen Änderungen steht die Digitalisierung. Von der Digitalisierung erfasst wird nicht nur die Industrie, sondern insbesondere auch die Justiz und die Verwaltung.

Neu: Das elektronische Bundesgesetzblatt

Grundlegend geändert hat  sich zum 1.1.2023 die Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen des Bundes. Diese werden ab 1.1.2023 nicht mehr im gedruckten, analogen Bundesgesetzblatt veröffentlicht, sondern im Internet im elektronischen Bundesgesetzblatt verkündet. Das elektronische Bundesgesetzblatt  fungiert dann als einzig verbindliche, amtliche Fassung. Die hierzu erforderliche Änderung von Art. 82 Abs. 1 GG wurde vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat in seiner Sitzung am 16.12.2022 abgesegnet.

Neue Plattform gewährt jedermann direkten Zugriff auf Gesetze

Ergänzend werden auf einer Verkündungsplattform des Bundesamts für Justiz Gesetze und Rechtsverordnungen als PDF-Dokumente eingestellt und sind dort für jedermann zum Herunterladen verfügbar. Die exakte Adresse der Homepage dieser Plattform soll noch vor Jahresfrist bekannt gegeben werden.

Videoverhandlung im Zivilprozess

Im Zivilverfahren soll die Videotechnik Einzug halten. Die zentrale Verfahrensvorschrift des § 128a ZPO soll hierzu komplett neu gefasst werden. Nach einem Entwurf des BMJ sollen

  • Gerichte künftig gegenüber Verfahrensbeteiligten die Video-Verhandlung verpflichtend anordnen können.
  • Eine übereinstimmende Vereinbarung der Videoverhandlung durch die Verfahrensbeteiligten soll umgekehrt für das Gericht verpflichtend sein, wobei einzelne Verfahrensbeteiligte für sich unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen beantragen können.
  • Zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG soll die Videoverhandlung in einen für die Öffentlichkeit zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden, so dass Zuschauer sich die Gerichtswandlung nach wie vor im Gerichtsgebäude anschauen können.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten liegt zurzeit den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme vor.

Digitale Rechtsantragsstelle und zielgerichtetes Onlineverfahren

Die digitale Rechtsantragsstelle soll für Bürgerinnen und Bürger als niedrigschwellige, unkomplizierte Anlaufstelle in rechtlichen Problemfällen sowie als Zugang zu einfachen, verständlichen Rechtsinformationen für jedermann dienen. Ein neues, zivilgerichtliches, komplett online durchgeführtes Verfahren soll im Bereich niedriger Streitwerte Bürgern einen nutzerfreundlichen, niedrigschwelligen und vor allem schnellen Weg zur Durchsetzung von Ansprüchen in digitalen gerichtlichen Verfahren ermöglichen. Die Pilotphase soll an einigen Gerichten bereits 2023 starten.

Digitalisierung der Strafverfahren

Das BMJ hat einen Referentenentwurf  eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ( Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) vorgelegt. Der Gesetzentwurf sieht in einem neuen § 271 Abs. 2 Satz 1 StPO-E

  • die Aufzeichnung der gesamten Hauptverhandlung in Bild und Ton in erstinstanzlichen Verfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten vor.
  • Gemäß § 273 Abs. 1 StPO-E hat die Aufzeichnung grundsätzlich unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte der aufgezeichneten Person zu erfolgen.
  • Die Tonaufzeichnung soll automatisiert durch eine Transkriptionssoftware in ein Textdokument übertragen werden, § 271 Abs. 2 Satz 2 StPO-E.
  • Die digitale Inhaltsdokumentation soll das Hauptverhandlungsprotokoll nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Zeitnahe Zugriffsmöglichkeit für die Verfahrensbeteiligten

Gemäß § 273 Abs. 6 StPO-E erhalten die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der anwaltliche Vertreter der Geschädigten nach jedem Verhandlungsvertrag unverzüglich Zugang zur jeweiligen Aufzeichnung und dem dazugehörigen Transkript. Auch nicht durch Rechtsanwälte vertretene Verfahrensbeteiligte sollen befugt sein, nach jedem Verhandlungstag die Aufzeichnungen in Diensträumen unter Aufsicht einzusehen.

Obligatorische Löschung der Aufzeichnungen nach Verfahrensabschluss

Die Aufzeichnungen sind zu löschen, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen oder auf sonstige Weise beendet ist, § 273 Abs. 4 StPO-E. Der Vorsitzende kann eine darüberhinausgehende Speicherung anordnen, wenn die Nutzung der Aufzeichnungen in einem anderen Strafverfahren zu erwarten ist.

Pilotierungsphase ab 2023

Die Pilotierungsphase dauert bis zum 1.1.2030. Für die Hauptverhandlung vor dem Staatsschutzsenat der Oberlandesgerichte soll die digitale Dokumentationspflicht bereits ab 1.1.2026 gelten, § 271 Abs. 2 StPO-E.

Digitalisierung der Korrespondenz mit den Handelsregistern

Mit dem Gesetz zur Änderung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie DiRUG wird ab 1.1. 2023 die Möglichkeit der Online-Beglaubigung von Handelsregisteranmeldungen auf alle Unternehmensformen sowie auch Anmeldungen im Partnerschafts-, Genossenschafts- und Verhaltensregister ausgeweitet.

Digital Sevice Act und Digital Market Act

Der Digital Services Act (DSA) ist im November 2022  beschlossen worden, die Vorschriften treten aber erst im Laufe der nächsten Jahre sukzessive in Kraft und sollen ab dem 17.2.2024 in der gesamten EU unmittelbar geltendes Recht sein. Das Gesetz soll für einen besseren Schutz der Nutzer und der Grundrechte im Internet sorgen und statuiert EU-weit einheitliche Transparenz- und Rechenschaftspflichten.  Der DSA regelt in Ergänzung zur inzwischen 20 Jahre alten E-Commerce-Richtlinie in erster Linie die Pflichten derjenigen digitalen Dienste, die als Vermittler fungieren und Verbrauchern den Zugang zu Waren, Dienstleistungen und Inhalten ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise Meta (Facebook) und auch Online-Marktplätze wie Amazon.

Regelungsinhalt des DSA

Im Einzelnen enthält der Digital Services Act folgende Regelungen:

  • Die Einführung EU-weit gleicher Mechanismen zur Meldung illegaler Online-Inhalte,
  • die Einführung spezialisierter sogenannter „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“, mit denen die Plattformen zusammenarbeiten sollen, um illegale Inhalte zu ermitteln und zu entfernen,
  • Regelungen zur Bekämpfung von Betrügern auf Online-Marktplätzen u.a. durch neue Möglichkeiten der Nachverfolgung von Verkäufern,
  • höhere Transparenz für die User durch klarere Informationen über verwendete AGB und über Algorithmen, die für Empfehlungen verwendet werden (Rankings),
  • neues Anfechtungsrecht der User hinsichtlich der Entscheidungen der Plattformen, wenn Inhalte entfernt oder eingeschränkt werden,
  • verbesserter Schutz für Minderjährige auf sämtlichen Plattformen

Erweiterte Beschwerdemöglichkeiten der User

Die User erhalten neue Beschwerderechte sowie das Recht, eine außergerichtliche Streitbeilegung im Fall einer Beschwerde zu verlangen. Die Verfahren zur Meldung und unverzüglichen Löschung illegaler Inhalte sollen durch die neue Regelung künftig europaweit einheitlich ausgestaltet werden. Für sehr große Onlineplattformen (ab 45.000.000 Usern) wird die Kommission künftig die primäre Regulierungsstelle sein. Kleinere Plattformen unterliegen der Aufsicht der Mitgliedsländer entsprechend dem Ort ihrer Niederlassung.

Neuer Schadenersatzanspruch

Für User besonders wichtig ist die Einräumung eines Anspruchs Ersatz jeglichen Schadens, der ihnen aufgrund einer Verletzung der Vorschriften des DSA entsteht. Im Falle sehr großer Plattformen und Suchmaschinen wird die Kommission in schwerwiegenden Fällen das Recht haben, Geldbußen in Höhe von bis zu 6 % des gesamten Jahresumsatzes eines Unternehmens zu verhängen.

Der Digital Market Act

Die Vorschriften des Digital Market Act (DMA) ergänzen insbesondere das Wettbewerbsrecht und beschränken die Macht marktbeherrschender Digitalkonzerne. Für große Digitalunternehmen sieht das neue Recht einen Verhaltenskodex vor. Sie dürfen im Rating eigene Angebote künftig nicht mehr bevorzugen.