Anwaltsregress: Haftungsverteilung bei Fehlern von Erst- und Folgeanwalt
Das OLG München hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem ein Anwalt einen Prozess durch gravierende Fehler in eine für seine Mandantin ungünstige Lage brachte. Ein Nachfolgeanwalt, der das Verfahren fortführte, patzte ebenfalls und unterließ pflichtwidrig mögliche Korrekturen.
Gewährleistungsklage zu schlampig begründet
Die Mandantin war von der Prozessführung des von ihr mandatierten Bevollmächtigten mehr als enttäuscht. Sie hatte den Anwalt beauftragt, gegen eine Baufirma wegen Baumängeln Mängelbeseitigungskosten in Höhe von knapp 19.000 EUR geltend zu machen. Mehrere Hinweise des Gerichts auf eine mögliche Unschlüssigkeit und fehlende Substantiierung der Klage ließ der Prozessbevollmächtigte unbeachtet. Zu dem der Bauausführung zu Grunde liegenden Auftrag, dem Zeitraum der Auftragsdurchführung, der Abnahme und dem Auftragsumfang hatte er zu detailarm und teilweise erst verspätet vorgetragen.
Folgeanwalt sah sich zu Vergleichsabschluss benötigt
In der mündlichen Verhandlung trat vor Gericht nicht mehr der bisherige Bevollmächtigte der Klägerin, sondern ein von der Klägerin beauftragter Folgeanwalt auf. Das Gericht wies auch den neuen Anwalt darauf hin, dass die Klage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unschlüssig sein dürfte. Fristen für weitere Schriftsätze und weiteren Sachvortrag könnten nicht mehr gewährt werden. Der neue Bevollmächtigte schloss in der mündlichen Verhandlung für seine Mandantin einen gerichtlichen Vergleich, in dem die Gegenseite sich zur Zahlung eines Schadensbetrages in Höhe von lediglich 3.000 EUR verpflichtete. Zu diesem Vergleich sah der neue Bevollmächtigte sich infolge der fehlerhaften Prozessführung seines Vorgängers genötigt.
Regressklage gegen Erstanwalt
Daraufhin nahm die Klägerin ihren ursprünglichen Bevollmächtigten auf Schadenersatz in Anspruch und verklagte diesen auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen der vereinbarten Vergleichssumme und ihrer ursprünglichen Schadensforderung. Das erstinstanzlich mit der Sache befasste LG wies die Klage ab, das im Berufungsverfahren zuständige OLG gab der Regressklage teilweise statt.
Ursprungsprozess ging nur wegen Anwaltsversagen verloren
An den Anfang seiner Betrachtungen stellte das OLG eine Beurteilung der Erfolgsaussichten der Ursprungsklage gegen das Bauunternehmen. Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass bei sachgemäßer Bearbeitung durch den Erstanwalt der ursprüngliche Schadenersatzprozess mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in vollem Umfang zu Gunsten der Klägerin ausgegangen wäre. Es bestünden keine vernünftigen Zweifel daran, dass die von der Klägerin geltend gemachte Forderung dem Grunde und der Höhe nach bestanden hat und ihre Schadensersatzforderung ohne die schwerwiegenden Prozessfehler des ursprünglichen Bevollmächtigten durchsetzbar gewesen wäre.
Fehler des Erstanwalts bleiben kausal für Schaden der Klägerin
Entgegen der Auffassung des von der Klägerin in Anspruch genommenen Erstanwalts, bewirkt der Abschluss des für die Klägerin ungünstigen Prozessvergleichs durch den Folgeanwalt nach der Bewertung des Senats keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und dem eingetretenen Schaden. Der Nachfolgeanwalt habe den Vergleich ersichtlich zur Abwendung der durch die Versäumnisse des Beklagten entstandenen ungünstigen Prozesssituation geschlossen, in der mit einer Klageabweisung durch das Ausgangsgericht zu rechnen gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sah das OLG einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen pflichtwidriger Verletzung des Anwaltsvertrages durch den Beklagten dem Grunde nach als gegeben an.
Folgeanwalt hat ebenfalls gepatzt
Nach Auffassung des OLG hat der Folgeanwalt allerdings ebenfalls versagt. Im Hinblick auf die sehr guten Erfolgsaussichten der ursprünglichen Klage sei der vereinbarte Vergleichsbetrag in Höhe von 3.000 EUR viel zu niedrig. Die Klägerin habe auf eine berechtigte Forderung von fast 16.000 EUR verzichtet. Entgegen der Auffassung des Zweitbevollmächtigten habe für den Abschluss des Vergleiches kein zwingender Anlass bestanden.
Zweitanwalt hätte „Flucht in die Säumnis“ antreten müssen
In der konkreten Prozesssituation hat nach Auffassung des OLG für den Zweitbevollmächtigten die Möglichkeit bestanden, nicht aufzutreten und ein Versäumnisurteil ergehen zu lassen. Dies sei ein in der Rechtsprechung anerkanntes Mittel zur Abwendung eines drohenden Prozessverlustes. Die Flucht in die Säumnis hätte es dem Folgeanwalt ermöglicht, die Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil dazu zu nutzen, die Schlüssigkeit der Klage herbeizuführen und die erforderlichen Beweismittel zu benennen. Damit hätte eine endgültige Klageabweisung vermieden werden können.
Zweitanwalt hätte Forderung der Klägerin noch durchsetzen können
Durch Einspruch gegen das Versäumnisurteil wäre der Prozess in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor Eintritt der Säumnis in der mündlichen Verhandlung befand, § 342 ZPO. Das nachgeholte Vorbringen könne vom Gericht nicht als verspätet zurückgewiesen werden, weil es dann gemäß § 296 Abs. 2 ZPO an der für eine Zurückweisung des Vorbringens erforderlichen Verzögerung des Rechtsstreits fehle. Mit diesem Manöver hätte der Rechtsstreit zugunsten der Klägerin gedreht werden können. Selbst eine Klagerücknahme und anschließende neue Einreichung der Klage wäre eine denkbare Option gewesen, da die Klageforderung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen sei.
Klägerin muss sich Fehler des Folgeanwalts anrechnen lassen
Die Klägerin muss sich nach Auffassung des Senats das fehlerhafte Verhalten ihres neuen Prozessvertreters als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Rechtsanwälte, die nacheinander durch Pflichtverletzungen dem gleichen Auftraggeber Schaden zugefügt haben, würden diesem gegenüber zwar grundsätzlich als Gesamtschuldner haften, dies sei aber dann anders, wenn der Mandant sich eines Zweitanwalts bedient hat, um eine im eigenen Interesse geboten Obliegenheit zur Abwehr oder Minderung eines Schadens zu erfüllen, der durch den Erstanwalt herbeigeführt wurde. So liege der Fall hier. Die Klägerin habe sich des Folgeanwalts bedient, um den von ihr erkannten oder zumindest für möglich gehaltenen Fehler des Erstanwalts zu beheben. Deshalb müsse sie sich den schuldhaften Schadensbeitrag des Folgeanwalts als eigenes Mitverschulden gemäß §§ 254, 278 BGB anrechnen lassen.
Erstanwalt haftet für Schaden der Klägerin nur in Höhe von 1/3
Im Rahmen des Mitverschuldens bewertete das OLG den Verschuldensanteil des Erstanwalts an dem verwirklichten Schaden der Klägerin mit 1/3, das Verschulden des Zweitanwalts mit 2/3. Die Schadenersatzklage der Klägerin war damit nur zum kleineren Teil erfolgreich. Gegebenenfalls bleibt ihr die Möglichkeit, den Folgeanwalt ebenfalls zu verklagen, falls die Forderung gegen diesen noch nicht verjährt ist.
(OLG München, Urteil v. 11.11.2025, 9 U 863/25)
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