Wucherähnliches Sale-and-rent-back-Geschäft
Sale-and-rent-back-Geschäfte dienen in der Regel dazu, Personen, die dringend Geld benötigen, kurzfristig Liquidität zu verschaffen. In der Praxis handelt es sich häufig um Autoverkäufe. Der sich in einem Liquiditätsengpass befindliche Kfz-Besitzer verkauft sein Fahrzeug an einen Abnehmer, der ihm das Kfz dann wieder zurückvermietet, sodass er die benötigte Liquidität in Form des Kaufpreises generiert, sein Fahrzeug aber dennoch wie gewohnt weiter nutzen kann. Finanziell sind solche Geschäfte für den Verkäufer unterm Strich häufig mit einem erheblichen finanziellen Verlust verbunden.
Sale-and-rent-back-Unternehmen ging leer aus
In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar ein Sale-and-rent-back-Unternehmen verklagt. Die Ehefrau als Eigentümerin eines Kfz hatte dieses im Sale-and-rent-back-Verfahren an das beklagte Unternehmen zu einem Kaufpreis von 50.000 EUR verkauft und anschließend zurückgemietet. Das LG hatte das beklagte Unternehmen zur Rückübereignung des Fahrzeugs und zur Rückzahlung der bereits geleisteten Mietzahlungen in Höhe von ca. 30.000 EUR verurteilt. Die Hilfswiderklage der Beklagten auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises hat das Gericht abgewiesen. Die Beklagte musste das Geschäft also rückabwickeln und den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 50.000 EUR als Verlust verbuchen.
Auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
Das OLG hat diese Entscheidung der Vorinstanz im Berufungsverfahren in vollem Umfange bestätigt. Das LG habe den geschlossenen Kaufvertrag über das Kfz zu Recht gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung für nichtig erklärt. Der erstinstanzlich gerichtlich bestellte Sachverständige habe den Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses mit 112.000 EUR veranschlagt. Der gezahlte Kaufpreis habe mit 50.000 EUR mehr als 50 % unter diesem Wert gelegen. Leistung und Gegenleistung stünden damit in einem auffälligen Missverhältnis.
Nichtigkeit von wucherähnlichen Rechtsgeschäften
Das OLG stellte klar, dass gegenseitige Verträge, auch wenn sie den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Punkten erfüllen, dennoch als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein können. Neben dem für eine solche Annahme erforderlichen
- auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung müsse in diesen Fällen mindestens
- ein weiterer Umstand hinzu treten, der den Vertrag als sittenwidrig erscheinen lässt.
- Dies sei z.B. dann der Fall, wenn der Begünstigte eine verwerfliche Gesinnung dadurch gezeigt habe, dass er die wirtschaftlich schwächere Position oder Zwangslage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass der andere sich nur „unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen“ hat (BGH, Urteil v. 16.11.22, VIII ZR 436/21).
Verwerfliche Gesinnung wird bei grobem Missverhältnis vermutet
Diese Voraussetzungen waren nach Auffassung des OLG im konkreten Fall erfüllt. Ein auffällig grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liege in der Regel dann vor, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt so hoch sei wie der Wert der Gegenleistung. In solchen Fällen spreche eine tatsächliche Vermutung für die verwerfliche Gesinnung des Vertragspartners, der nicht annehmen könne, dass der andere Teil das Geschäft ohne persönliche finanzielle Not abgeschlossen hätte. Vor diesem Hintergrund bewertete das OLG den geschlossenen Kaufvertrag als wucherähnliches Geschäft und damit als nichtig gemäß § 138 Abs. 1 BGB.
Keine Kaufmannseigenschaft der Kläger
Gegen diese Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des beklagten Unternehmens sprach nach Auffassung des Senats auch nicht der Umstand, dass die Kläger beide Geschäftsführer verschiedener Gesellschaften waren und noch sind. Zwar bestehe die tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung nach der Rechtsprechung des BGH dann nicht, wenn es sich bei dem benachteiligten Geschäftspartner um einen Kaufmann im Sinne des §§ 1 Abs. 1, 5 HGB handle. Die Tätigkeit der Kläger als Geschäftsführer reiche für die Annahme einer Kaufmannseigenschaft aber nicht aus. Der Verkauf des Fahrzeugs sei in finanzieller Not von der Eigentümerin des Kfz als Privatperson getätigt worden.
Nichtigkeit umfasst komplette Vertragsgestaltung
Das OLG bewertete das gesamte Sale-and-rent-back-Geschäft als nichtig. Die ansonsten im Zivilrecht geltende Differenzierung zwischen dem schuldrechtlichen Vertrag und der dinglichen Übereignung eines Gegenstandes greife im konkreten Fall nicht. Der schuldrechtliche Kaufvertrag, die dingliche Übereignung des PKW und der Mietvertrag seien hier gemäß § 139 BGB als einheitliches Rechtsgeschäft zu beurteilen. Der hierfür erforderliche Einheitlichkeitswille liege immer dann vor, wenn das eine Geschäft nicht ohne das andere gewollt sei (BGH, Urteil v. 22.9.2016, IIIZR 427/15). Im konkreten Fall erfasse dieser Einheitlichkeitswille sowohl Kauf- und Mietvertrag als auch die dingliche Eigentumsübertragung des Fahrzeugs.
Verkäuferin ist Eigentümerin des Fahrzeugs geblieben
Im Ergebnis ist wegen der Nichtigkeit des dinglichen Übertragungsgeschäfts die Klägerin nach der Entscheidung des Senats Eigentümerin des Fahrzeugs geblieben. Ihr Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs folgt damit aus § 985 BGB.
Kläger dürfen den gezahlten Kaufpreis behalten
Nach dem Urteil des OLG Karlsruhe steht den Beklagten der mit der Hilfswiderklage geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nicht zu. Einer Rückforderung stünde § 817 Satz 2 BGB entgegen. Das Sale-and-rent-back-Unternehmen habe sich durch die sittenwidrige Ausnutzung der Notlage der anderen Vertragspartei selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt. Für diesen Fall sehe § 817 Satz 2 BGB einen Ausschluss der Rückforderung vor.
Sale-and-rent-back-Unternehmen geht komplett leer aus
Im Ergebnis hat das Sale-and-rent-back-Unternehmen nach der Entscheidung beider Instanzen auf ganzer Linie das Nachsehen und muss einen nicht unerheblichen Verlust in Kauf nehmen.
(OLG Karlsruhe, Urteil v. 7.10.2025, 19 U 121/24)
Hintergrund:
Die Frage, ob Sale-and-rent-back-Unternehmen in diesen Fällen den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen können, ist in der Rechtsprechung nicht unumstritten. Das OLG München hat dies Anfang dieses Jahres in einem ähnlichen Fall anders als das OLG Karlsruhe gesehen. Das Münchener Gericht hat die Vorschrift des § 817 Satz 2 BGB unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB einschränkend ausgelegt. Es sei unbillig, wenn Sale-and-rent-back-Unternehmen am Ende völlig leer ausgehen und nicht einmal den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen können (OLG München, Urteil v. 27.2.2025, 32 U 2389/24).
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