Steigende Haftungsgefahr durch immer komplexere Fallgestaltungen

Die Mandate werden zuneh­mend kom­plexer und erfor­dern nicht selten das Zusam­men­spiel mit anderen Experten – zum Bei­spiel bei der Rea­li­sie­rung eines großen Bau­vor­ha­bens. Früher kam der Mandant eher mit ein­zelnen Pro­blemen zum Anwalt, heute bringt er von vorn­herein das gesamte Projekt mit. Damit steigt auch die Haf­tungs­ge­fahr.    

Anwälte müssen bei kom­plexen Fall­ge­stal­tungen viel mehr „am Rande des Gesche­hens“ erkennen. Auch zu rein wirt­schaft­li­chen Fragen müssen sie ihren Man­danten Rede und Antwort stehen. Damit ver­la­gert der Auf­trag­geber in letzter Kon­se­quenz auch an und für sich ori­ginär bei ihm anzu­sie­delnde Risiken qua Haftung auf Rechts-, Steuer- und Wirt­schafts­be­rater, wenn das Projekt schief laufen sollte. Keine Frage: Das Anspruchs­denken auf Seiten der Man­danten steigt. Es ist natür­lich das gute Recht des Man­danten, die Bera­tung des Rechts­an­walts zu hin­ter­fragen und begrün­dete Haft­pflicht­an­sprüche not­falls auch gericht­lich durch­zu­setzen. Zuweilen ent­steht jedoch der Ein­druck, dass jede Pro­zess­nie­der­lage zum Anlass genommen wird, den Rechts­an­walt zumin­dest wegen ver­meid­barer Kosten in Anspruch zu nehmen.

Komplexe Haftungsfälle in interprofessionell tätigen Gesellschaften

Eine besondere Komplexität besitzen häufig Haftungsfälle, die in interprofessionell tätigen Berufsausübungsgesellschaften entstehen. Eine solche berufliche Zusammenarbeit führt zu einer gegenseitigen akzessorischen Haftung der einzelnen Gesellschafter für Pflichtverletzungen sowohl berufsangehöriger als auch fremder Gesellschafter. Zur Absicherung dieser Haftungsszenarien hat der DAV eine unverbindliche Musterklausel für interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften entwickelt, wonach die Berufsausübungsgesellschaft und nicht der einzelne Gesellschafter Versicherungsnehmer ist. Grundsätzlich können in einer solchen Berufsausübungsgesellschaft aber separate Versicherungsverträge für die verschiedenen Berufsträger (z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten) abgeschlossen werden.

Wirtschaftliche Tätigkeit des Rechtsanwalts

Nicht selten erfordern komplexe Mandate auch Tätigkeiten außerhalb der klassischen Rechtsanwaltstätigkeit. Anwälte sollten daher grundsätzlich ein Auge darauf haben, ob ihre Tätigkeit aus der klassischen Rechtsberatung herausführt und beispielsweise rein wirtschaftlicher Natur ist. Dies kann sowohl bei der Wahrnehmung von Kontrollfunktionen in Gesellschaften, der Beratung bei bestimmten Investitionsentscheidungen, dem Verkauf von Immobilien, der Wahrnehmung einer Aufgabe als Treuhandkommanditist oder als Mittelverwendungskontrolleur in einem Investmentfonds der Fall sein. Solche Tätigkeiten können unter bestimmten Voraussetzungen vom Versicherungsschutz ausgenommen sein (BGH, Beschluss v. 23.9.2015, IV ZR 484/14).

Junge Anwälte extrem gefährdet

Junge Anwälte und Berufs­ein­steiger haben wenig Berufs­er­fah­rung, können es sich aber ande­rer­seits nicht leisten, ein lukra­tives aber zu kom­plexes und schwie­riges Mandat abzu­lehnen. Doch auch die­je­nigen jungen Anwälte, die in eine bestehende Sozietät ein­treten, unter­schätzen oft die sich erge­benden Haf­tungs­ri­siken aus bereits bestehenden Ver­bind­lich­keiten der Kanzlei. Knall­hart ist hier einmal mehr der Bun­des­ge­richtshof.  Sozien, die neu in eine Sozietät ein­treten, haften danach in ana­loger Anwen­dung des § 130 HGB auch für bereits bestehende Ver­bind­lich­keiten der Gesell­schaft mit ihrem Pri­vat­ver­mögen. Um die Haftung für Alt­schulden der Sozietät zu ver­meiden, sollten sich Jung­an­wälte bzw. neu in eine Sozietät ein­tre­tende Anwälte die nach­fol­genden vier Fragen stellen:

  • Welche Deckungs­summen stehen aktuell und für die Ver­gan­gen­heit zur Ver­fü­gung?
  • Bieten die betei­ligten Ver­si­cherer die Mög­lich­keit einer Rück­wärts­de­ckung? Um sämt­liche Deckungs­lü­cken zu schließen, ist eine Rück­wärts­de­ckung für die gesamte Dauer des Bestehens der Sozietät erfor­der­lich. Der­ar­tiger Ver­si­che­rungs­schutz wird jedoch nur im Ein­zel­fall und gegen ent­spre­chende Mehr­prämie zu erhalten sein. 
  • Ist der Ver­si­cherer bereit, für die Ver­gan­gen­heit auf die Anwen­dung des §12 AVB (Durch­schnitts­bil­dung) zu ver­zichten?
  • Ist es möglich eine Haf­tungs­frei­stel­lung im Innen­ver­hältnis zu ver­ein­baren?