Was können die Legal Tech-Geschäftsmodelle?

Immer mehr Startups setzen auf die Digitalisierung der Rechtsberatung. Welche Anbieter werden erfolgreich sein und wie werden sie den Markt verändern? Rechtsanwalt Bernfried Rose von ROSE & PARTNER LLP. nimmt verschiedene Legal Tech-Geschäftsmodelle unter die Lupe.

Facebook kennt mich gut. Daher hat es mir – dem fahrradfahrenden Juristen – neulich die Werbung einer Online-Rechtsberatung für Radfahrer eingespielt. Bikeright heißt das Legal Tech-Startup aus Hamburg. Auf der Internetseite bikeright.de können sich hilfesuchende Radler durch verschiedene Eingabemasken tippen und klicken. Am Ende des Vorgangs wird ein Beratungstermin mit einem Anwalt vereinbart – im Falle eines Fahrradunfalls kostenlos und bei sonstigen Rechtsfragen zum Pauschalpreis von 29,90 Euro.

Der Mandant füttert Eingabemaske und Algorithmus

Das Beispiel zeigt, dass bei der Rechtsberatung der Zukunft die Arbeit anfangs erst mal beim Kunden und Computer liegt.

Der Mandant gibt mithilfe von Frage-Antwort-Dialogen und Wenn/Dann-Algorithmen sein Anliegen und den dazugehörigen Sachverhalt online ein. Unterlagen wie Verträge oder amtliche Bescheide scannt er ein. Hinzu kommen selbstverständlich noch die persönlichen Daten für das Mandatsverhältnis und die Kreditkarteninfos für den Bezahlvorgang.

Der Anwalt kommt zum Schluss…

Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht effizient. Mandatsanbahnung, Aktenanlage, Sachverhaltserfassung, Honorarverhandlung, Rechnungsstellung etc. nehmen bei herkömmlichen kleineren Mandaten oft mehr Zeit in Anspruch als die juristische Arbeit. Bei den neuen Legal-Tech-Geschäftsmodellen sind diese Tätigkeiten automatisiert oder werden vom Mandanten selbst geleistet.

Beim ersten Kontakt mit dem Mandat verfügt der Anwalt dann bereits über alle wesentlichen Informationen. Die gezielte Abfrage des Sachverhalts durch entsprechende Eingabefelder sorgt dafür, dass der Anwalt nur die Daten erhält, die für die Bearbeitung von Bedeutung sind.

…oder auch gar nicht

Es gibt sogar bereits Rechtsdienstleistungen, bei denen der Anwalt nicht nur bei der Datenerfassung sondern auch bei der eigentlichen rechtlichen Tätigkeit entbehrlich ist. Das Unternehmen smartlaw bietet zum Beispiel Privatpersonen und Unternehmen online generierte „Rechtsdokumente in Anwaltsqualität“ – von der Kündigung des Handyvertrags über das Ehegattentestament bis zum GmbH-Gesellschaftsvertrag.

Der Entwurf der Dokumente wird komplett vom Algorithmus übernommen, ein Anwalt ist allenfalls noch für die Vorgaben an den Programmierer notwendig.

Anbieter locken mit Festpreis und Erfolgshonorar

Bei smartlaw gibt es Abo-Angebote für Unternehmen und Private oder auch die Möglichkeit des Erwerbs von Einzeldokumenten. Für den Mandanten sind derartige Festpreise attraktiv, da sie die Wundertüte Anwaltshonorar berechenbar machen.

Bei der Durchsetzung von Ansprüchen bieten die neuen Akteure sogar kostenlose Vertretung auf Basis von Erfolgshonoraren. So werben die Fahrradanwälte von Bikeright mit der Übernahme des Kostenrisikos bei Fahrradunfällen. Vom durchgesetzten Schadensersatzanspruch wollen sie im Gegenzug 15 Prozent.

Etwas mehr verlangen die Fluggastrechteportale, die zu den Pionieren unter den Legal Tech-Geschäftsmodellen gehören. So beträgt die Erfolgsbeteiligung bei Flightright 25 Prozent des für eine Flugverspätung erstrittenen Betrags.

Herkömmliche Kanzleien mit überwiegend analoger Bearbeitung können aufgrund ihrer Kostenstruktur mit den Pauschalpreisen der neuen Billiganbietern nicht mithalten. Außerdem sind sie nach wie vor zurückhaltend bei der Vereinbarung von Erfolgshonoraren. Das liegt zum einen an dem noch immer gesetzlich eingeschränkten Anwendungsbereich von Erfolgshonoraren. Ein anderer Grund liegt in der schwierigen Einschätzung der Erfolgsaussichten bei der Durchsetzung von Ansprüchen.

Digitalisierung und Spezialisierung

Derartige Schwierigkeiten sollte Flightright nicht haben. „2.000.000-fach erfolgreich genutzter Service“ liest man auf den Fahnen des Marktführers für Fluggastrechte. Damit steht dem Legal Tech-Unternehmen eine gewaltige Menge Daten für einen überschaubaren Kreis von Rechtsfragen zur Verfügung. Der Flightright-Algorithmus dürfte folglich ziemlich genau wissen, welche Entschädigung gegen Fluggesellschaft X aufgrund Verspätungsgrundes Y  vor dem Gericht Z mit welcher Wahrscheinlichkeit erstritten werden kann.

Angesichts dieser Datenfülle dürfte es auch erfahrenen und spezialisierten Anwälten schwerfallen hier gegenzuhalten?

Es spricht also einiges dafür, dass die digital gestützte Rechtsberatung in vielen Bereichen nicht nur schneller und günstiger, sondern womöglich auch besser ist als die herkömmliche.

Die Köpfe hinter dem Algorithmus

Doch der beste Algorithmus kann nur so gut sein, wie sein juristischer Pate, der die Vorgaben für die Programmierung macht. Das gilt zumindest, solange und soweit die Software sich nicht selbstlernend ständig selbst weiterentwickelt.

Smartlaw konnte zu diesem Zweck namhafte Fachanwälte für eine „Zusammenarbeit“ verpflichten, die inhaltlich für die online generierten Rechtsdokumente verantwortlich sind. Dass diesbezüglich andere Portale noch Nachholbedarf haben, zeigt der Mandatsvermittler advocado. Das Legal Tech-Startup, das kürzlich erst Millionen von Investoren eingesammelt hat, bringt auf seiner Internetseite Mandanten mit passenden Anwälten zusammen. advocado wirbt mit „geprüften“ bzw. „spezialisierten“ Partneranwälten. Im Bereich Erbrecht treten sie jedoch zum Beispiel mit einer Gallionsfigur an, die weder Fachanwalt noch spezialisiert zu sein scheint.

Und auch hinter bikeright stehen keine spezialisierten Fachanwälte für Verkehrsrecht, sondern offenbar eine kleine Kanzlei, in der zwei Anwältinnen ausweislich ihrer Homepage so ziemlich jedes Rechtsgebiet beackern.

Ein gutes Legal Tech-Geschäftsmodell bietet daher

  1. automatisierte Datenerfassung, Aktenanlage, Rechnungserstellung etc.,
  2. günstige pauschale oder erfolgsbasierte Honorare,
  3. kompetente spezialisierte Rechtsanwälte, die die eigentliche Beratung oder die inhaltliche Verantwortlichkeit für die eingesetzten Algorithmen übernehmen.

Die Google-Suchergebnisliste – durch dieses Nadelöhr müssen alle

Doch Qualität allein garantiert auch im Legal Tech-Bereich noch keinen Erfolg. Nur wer im Internet präsent ist und bei Bedarf gefunden wird, kann sein Produkt an den Mann bzw. die Frau bringen.

Bikeright hat mich über eine Facebook-Kampagne mit entsprechender Zielgruppeneinstellung gefunden. Das ist gut, reicht aber womöglich nicht aus. Wenn ich in zwei Jahren einen Fahrradunfall habe und mit an den Namen bikeright nicht mehr erinnere, werde ich wohl so etwas wie „Fahrradunfall Schadensersatz“ bei Google eingeben. Und da taucht bikeright bislang in meiner Suchergebnisliste nicht auf der ersten Seite auf.

Das gleiche gilt auch für advocado und andere neuere Startups, deren Besucherzahlen – vor allem aufgrund noch ausbaufähiger Suchmaschinenpräsenz – noch überschaubar sind. Die besten Plätze für Rechtsbegriffe bei Google sind derzeit durch Wikipedia, Anwaltsuchdienste wie Anwalt.de oder Anwalt24, die großen Nachrichtenportale sowie online-affine klassische Kanzleien belegt. Diese werden kaum freiwillig das Feld räumen.

Konzentration und Markenbildung

Wer nicht auf Dauer seine Sichtbarkeit bei Google mit Adwords-Werbekampagnen teuer erkaufen will, muss daher Geld und Zeit in die Optimierung und Verlinkung seiner Seite investieren.

Dafür braucht man einen langen Atem und geduldige Investoren. Viele Legal Tech-Modelle werden an dieser Hürde der Suchmaschinenoptimierung scheitern.

Am Ende bleibt ein Milliarden-Markt für einige wenige Akteure, die den Wettbewerb dominieren und zu den ersten echten Marken im Bereich der Rechtsberatung aufsteigen. Noch ist das Rennen offen.