Das AG München hatte sich in einer kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung mit einer etwas skurrilen Schmerzensgeldklage zu befassen. Die Mieterin einer über der Wohnung der Beklagten gelegenen Wohnung hatte diese auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen unaufhörlichen Klopfens gegen die Wohnungsdecke verklagt.
Nachbarin fühlte sich durch Industrienähmaschine gestört
Die im 1. Obergeschoss gemeinsam mit ihrem Ehemann wohnende Klägerin hatte sich nach Darstellung der im Erdgeschoss wohnenden Beklagten eine leistungsfähige Industrienähmaschine zugelegt. In ihrer Wohnung im 1. OG soll sie zu den unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten großem Umfang Näharbeiten durchgeführt haben. Dies sei in der Erdgeschoßwohnung deutlich durch unangenehme, spezifische Geräusche wahrnehmbar gewesen. Dies habe den Wohnwert ihrer Wohnung erheblich eingeschränkt.
Klopfen an die Wohnungsdecke als Gegenmittel
Die beklagte Mieterin der Parterrewohnung wusste sich nach ihrer Darstellung nicht anders zu helfen, als durch wiederholtes deutlich vernehmbares Klopfen gegen ihre Wohnungsdecke die Nachbarin im 1. OG auf die Lärmbelästigung aufmerksam zu machen. Hiermit verband sie die Hoffnung, dass diese ihre Näharbeit einstellt.
Mieterin verklagte Klopferin auf Unterlassung und Schmerzensgeld
Die Hoffnung auf Einstellen der Näharbeiten erfüllte sich nicht. Die Mieterin der Wohnung im 1. OG verklagte die Mieterin der Parterrewohnung auf Unterlassung des Klopfens sowie auf Zahlung von 1.000 Euro Schmerzensgeld. Sie hatte über das Klopfen Buch geführt. Für den Zeitraum August 2022 bis April 2023 ergaben sich hieraus über 500 Klopfattacken. Für jede einzelne davon sollte die Beklagte also 2 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Gemeindemitarbeiter hörten nichts
Zur Klärung des Streits hatte sich außergerichtlich auch die Ortsgemeinde eingeschaltet, von der die Parteien ihre Wohnung gemietet hatten. Die Gemeinde entsandte 2 Mitarbeiter zum Ort des Geschehens. Diese veranlassten einen Test. Die Bewohnerin des 1. OG sollte die Nähmaschine betätigen, um feststellen zu können, welcher Grad an Lärmbelästigung hiervon auf die Parterrewohnung ausgeht. Ergebnis des Tests: In der Parterrewohnung war nichts zu hören. Belästigungsintensität gleich 0.
Klopferin machte Notwehrrecht geltend
Trotz dieses Testergebnisses berief sich die Beklagte vor Gericht auf ein ihr zustehendes Notwehrrecht. Sie blieb dabei, dass die Lärmbelästigung durch die Industrienähmaschine unerträglich gewesen sei. Das Klopfen an die Decke sei die einzig erfolgversprechende Möglichkeit gewesen, den Lärm abzustellen.
Belästigung durch Nähmaschine nicht nachgewiesen
Die Beklagte hatte vor dem AG eine Tonbandaufnahme vorgelegt, mit der sie die Lärmbelästigung durch die Nähmaschine belegen wollte. Das Gericht konnte sie hiermit allerdings nicht überzeugen. Der Amtsrichter vermochte auf der Tonaufnahme lediglich ein starkes Rauschen zu hören. Die für eine Nähmaschine charakteristischen Geräusche konnte er demgegenüber nicht wahrnehmen.
Kein Notwehrrecht auf Klopfattacken
Schließlich vertrat das AG die Auffassung, dass eine Lärmbelästigung durch die Nähmaschine - sollte sie tatsächlich erfolgt sein - nicht zu einem Recht auf eine Gegenmaßnahme wie Klopfen führe. Vielmehr hätte die Beklagte gegebenenfalls selbst gerichtliche Schritte einleiten müssen, um mithilfe der Justiz die von ihr wahrgenommene Belästigung abzustellen. Ein Notwehrrecht auf Klopfattacken existiere nicht.
Schmerzensgeld auf 300 Euro reduziert
Im Ergebnis gab das Gericht der Klage auf Unterlassen des Klopfens statt und verurteilte die Parterrebewohnerin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 300 Euro. Nach Auffassung des Gerichts waren die Klopfattacken der Beklagten hinreichend nachgewiesen, wenn auch die Häufigkeit nicht zu 100 % geklärt werden konnte. Es sei aber plausibel dargelegt und bewiesen, dass die Klägerin durch nächtliche Klopfattacken in ihrer Nachtruhe spürbar beeinträchtigt worden sei.
(AG München, Urteil v. 18.8.2023, 173 C 11834/23)