5 gute Gründe gegen eine Kanzleigründung
Ideale Zeiten also für Kanzleigründer?
Dr. Geertje Tutschka, MCC ist seit 30 Jahren Anwältin und Kanzleigründerin im In- und Ausland. Seit 15 Jahren ist sie mit der Unternehmensberatung CLP auf die Begleitung von Juristen und Kanzleien spezialisiert, die
- Teams, Dienstleistungen oder Produkte ausgründen,
- Kanzleien neu gründen, aufspalten, übertragen oder schließen,
- sich neu positionieren oder verändern müssen.
Ihr Fachbuch „Strategische Kanzleientwicklung“ ist seit fast 10 Jahren ein Standardwerk zum Thema in deutsch und englisch und Lehrbuch des Masterstudienganges „Lawyer and Legal Practice“ (LL.M.) an der Fernuniversität Hagen.
Sie berichtet für Haufe.Recht, welche fünf guten Gründen dafürsprechen, keine Kanzlei zu gründen.
1. Ich will im Zweifel lieber als Anwalt arbeiten als als Unternehmer agieren
Es klingt banal, trifft aber den Kern: Wer eine Kanzlei gründet, arbeitet nicht in erster Linie als Anwalt, sondern als Unternehmer.
Mandate bearbeiten ist nur ein Teil der Tätigkeit. Mindestens ebenso viel Zeit fließt in:
- Organisation
- Marketing
- Verwaltung
- Personalführung
- strategische Entscheidungen
Viele junge Jurist:innen stellen während der ersten Gründungsmonate fest, dass ihnen der unternehmerische Anteil nicht liegt oder sie von den vielfältigen parallelen Aufgaben überfordert sind. Natürlich sind gerade zu Beginn viele Entscheidungen zu treffen und der Aufbau der Kanzleistrukturen zu organisieren. Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass der Anteil dieser Aufgaben insgesamt viel weniger wird: es werden nur andere Aufgaben.
Die wichtigste Frage ist jedoch: Werde ich bei einer Entscheidung wie z.B. dem Anschaffen einer neuen Softwarelösung im Zweifel meiner Perspektive als Kanzleiinhaber den Vorrang geben vor meiner Anwaltsperspektive?
Wer sich klar dazu bekennt, lieber juristisch als organisatorisch zu arbeiten, hat mit einer gut strukturierten Anstellung häufig den besseren, weil passenderen Karriereweg.
2. Ich kann mit dem unternehmerischen Risiko und der Verantwortung für hohe Kosten und Personal nicht ruhig schlafen
Eine Rechtsanwaltskanzlei zu gründen, bedeutet Unsicherheit und Verantwortung – finanziell, organisatorisch und menschlich. Miete, Infrastruktur, Software, Versicherungen, Personalgehälter: Die Fixkosten einer Kanzlei können beträchtlich sein. Aber auch die eigenen Lebenshaltungskosten müssen erwirtschaftet werden, ebenso wie die im Vergleich zu anderen „Start-ups“ hohen Gründungs- und Versicherungskosten. Gleichzeitig sind die Einnahmen am Anfang relativ gering und schwanken in der Regel bzw. sind kaum planbar.
Eine Gründung ist also immer auch eine Investition in eine ungewisse Zukunft. In Zeiten, in denen sich Juristen selbst und das Geschäfts-Modell der Rechtsberatung neu erfinden müssen, noch weniger berechenbar als bisher. Und das Modell der Kanzleien als Altersvorsorge, weil „verkaufbar“, hat sich schon seit Jahren in Luft aufgelöst. Die Risikominimierung durch entsprechende Gesellschaftsverträge, Fremdkapital und die Möglichkeit der Geschäftsaufgabe sind nach dem Berufsrecht für Kanzleien stark eingeschränkt.
Nicht jede:r kann oder möchte mit dieser Unsicherheit leben. Und auch wenn kein Finanzierungskredit zu stemmen ist: das Finanzpolster von mindestens 6 Monatseinkommen täglich schmelzen zu sehen ist nichts für schwache Nerven.
Wer nachts wachliegt oder nicht in den Urlaub geht, weil die wirtschaftliche Verantwortung belastet, wird in der Selbstständigkeit nicht glücklich werden. Das hat nichts mit fehlendem Mut zu tun, sondern mit realistischem Selbstbild und einer individuellen Kosten-Nutzen-Einschätzung.
Die wichtigste Frage ist also: Sehe ich in Veränderungsprozessen eher Chancen als Risiken?
Es gibt gute Gründe, diese Verantwortung nicht zu übernehmen – und ebenso gute Alternativen.
3. Ich habe ein Problem damit, mich selbst in den Mittelpunkt zu stellen: Selbstvermarktung, Akquise und Vertrieb sind nicht mein Ding
Juristische Kompetenz allein reicht nicht.
Eine eigene Kanzlei lebt von Sichtbarkeit, Persönlichkeit und Außenwirkung. Dazu gehören:
- Selbstmarketing
- Akquise
- Mandantenkommunikation
- Networking
- Positionierung
Viele Jurist:innen finden es unangenehm, sich selbst als Marke zu erfinden oder pro-aktiv nach Mandanten zu suchen. Doch genau das ist unverzichtbar. Erst Recht, wenn man als das „Gesicht“ der eigenen Kanzlei auch das Geschäft für weitere Mitarbeiter mit heranbringen muss. So wird es kaum eine „Privatzeit“ geben, in welcher man nicht (auch) als Anwalt wahrgenommen werden wird. Das kann in manchen Lebenssituationen weniger passend sein als in anderen. Und auch Teilzeit-Selbstständigkeiten bieten nicht immer ausreichend Raum dafür.
Programme zur Förderung von Kanzleigründung oder professionelle Gründungsberatung für Anwälte bieten hierfür zwar Unterstützung – aber sie ersetzen nicht die Bereitschaft, sich selbst sichtbar zu machen, zumal sie sehr viel weniger als in anderen Wirtschaftszweigen strukturiert und flächendeckend abrufbar sind.
Die Frage aller Fragen lautet: Fallen mir Marketing, Social Media, Networking und Akquise schwer und habe ich ein Thema damit, gutes Geld für meine Leistung zu verdienen?
Wer diesen Teil der Selbstständigkeit nicht leisten möchte, wird als Kanzleiinhaber:in kaum erfolgreich sein – und ist damit gut beraten, gar nicht erst zu gründen.
4. Auch wenn ich Menschen gut führen kann, stelle ich mich nicht gern über andere und möchte nicht Ansprechpartner für allen Orga-Kram im Büro sein
Führung ist das eine – Hierarchie das andere.
Viele, die gut im Umgang mit Menschen sind, scheuen sich dennoch davor, selbst die letzte Instanz zu sein: die Person, die entscheidet, korrigiert, delegiert, Konflikte löst, Prozesse einführt und für alles im Büro verantwortlich ist.
Kanzleialltag bedeutet:
- Fragen beantworten
- technische Probleme lösen
- Abläufe organisieren
- Entscheidungen treffen
- Unzufriedenheit auffangen
Es bedeutet auch, Rollen einzunehmen, die nicht jedem liegen: Chef, Vorgesetzter, Krisenmanager, Kümmerer. Und im Zweifel auch: nicht Teil des Teams zu sein, sondern über dem Team zu stehen. Das kann sehr einsam sein – und sich gleichzeitig anfühlen, als wenn man die Servicekraft für alle ist.
Die Frage für Dich: Bin ich gern Chef oder lieber Teamplayer?
Wer weiß, dass er diese Rolle nicht übernehmen möchte, sollte keine Kanzlei gründen – denn genau diese Aufgaben kommen unweigerlich.
5. Ich schließe mich lieber einer bestehenden Kanzlei an oder gehe den Partner Track, statt ganz von vorne und ganz klein anzufangen
Viele Jurist:innen wünschen sich ein professionelles Umfeld, bestehende Strukturen, ein Team und eine klare Perspektive. Sie halten es nur schwer aus, dass die ersten Monate viel Improvisation gefragt ist und womöglich die eigene Arbeit leidet.
Der klassische Partner Track ist für viele attraktiver als die Gründung im Alleingang – und das völlig zurecht. Nicht jeder möchte vom Kanzlei-Logo bis zur Farbe der Stühle im Wartezimmer alles auswählen müssen. Aber auch eine Gründung im Team startet mit stürmischen Zeiten bis jede und jeder seine Position und Rolle im Team gefunden und etabliert hat.
Die Frage ist: Wieviel von mir oder uns muss in dieser neuen Kanzlei erkennbar sein?
Nicht jede:r möchte „ganz klein“ starten oder jahrelang Aufbauarbeit leisten. Sich einer bestehenden Kanzlei anzuschließen oder in ein etabliertes System einzutreten, ist keine schlechtere Entscheidung – sondern oft die bessere, weil sie zu Persönlichkeit, Arbeitsweise und Lebenssituation passt.
Fazit
Der Anwaltsberuf bereitet weder auf die Kanzleigründung noch auf die damit verbundene unternehmerische Tätigkeit vor.
Wer gründet, übernimmt Verantwortung – für sich selbst, für andere und für ein Unternehmen, das in der Realität oft mehr Organisation als Anwaltschaft erfordert.
Eine Rechtsanwaltskanzlei zu gründen kann erfüllend sein, aber sie ist keineswegs der einzige Weg zu einer erfolgreichen juristischen Karriere; erst recht nicht zu einer langfristig gesicherten Existenzgrundlage.
Die fünf genannten Gründe zeigen, dass es völlig legitim ist, sich gegen die Selbstständigkeit zu entscheiden. Oder zumindest in der derzeitigen Lebenssituation dagegen zu entscheiden. Nicht jede:r muss gründen – und wer es nicht will, trifft damit eine ebenso valide wie vorausschauende Entscheidung.
Deine persönliche Checkliste
Lieber Anwaltsperspektive als Unternehmerentscheidung
Sicherheit vor Freiheit mit Risiko
Empfehlungen vor Selbstdarstellung und Akquise
Personalführung und Organisation sind eher Pflicht als Kür
Bevorzugt etabliertes nutzen statt was Neues aufbauen
besser keine Kanzlei zu gründen, wenn Du mindestens 3 Fragen mit JA beantwortest.
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