BGH

Späte Verjährung beim Anwaltsregress


Anwaltshaftung: Späte Verjährung beim Anwaltsregress

Die Verjährung für einen Anwaltsregress beginnt erst zu laufen, wenn der Mandant als juristischer Laie selbst erkennen konnte, dass ein verlorener Prozess auf einen Anwaltsfehler zurückzuführen ist.

In einer Grundsatzentscheidung zur Verjährung von Regressansprüchen gegen Anwälte hat der BGH über den Zeitpunkt des Beginns des Laufs der Verjährungsfrist beim Anwaltsregress entschieden. Das Gericht hat den Fristbeginn zu Gunsten der Mandanten auf einen Zeitpunkt festgesetzt, der zeitlich deutlich nach einem verlorenen Prozess und nach Beendigung des Mandats liegen kann.

Rechtschutzversicherung verweigerte Kostenübernahme für Zweitverfahren

Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Rechtsanwalt den Kläger in 2 zivilrechtlichen Schadenersatzverfahren vertreten. Im ersten Verfahren hatte das vom Anwalt informierte Schadensabwicklungsunternehmen des Rechtsschutzversicherers den Kläger von sämtlichen Verfahrenskosten freigestellt. Im zweiten Verfahren verweigerte das Schadensabwicklungsunternehmen die Übernahme der Kosten. Begründung: Der Rechtsanwalt habe es pflichtwidrig unterlassen, die Kostenübernahme vor Einleitung des zweiten Verfahrens gesondert anzufragen.

Erneute Kostendeckungsanfrage versäumt

Das OLG Frankfurt wies die Kostenübernahmeklage im August 2016 mit der Begründung ab, der Anwalt hätte für das 2. Verfahren gesondert Deckungsschutz beantragen müssen. Eine 2. Deckungsanfrage sei nicht entbehrlich gewesen, da es sich entgegen der Auffassung des Anwalts um einen neuen Streitgegenstand gehandelt habe.

Regressklage gegen Anwalt zunächst wegen Verjährung abgewiesen

Im Dezember 2019 beantragte der Kläger den Erlass eines Mahnbescheids gegen den beklagten Rechtsanwalt, gegen den der Beklagte 7 Tage nach Zustellung im Februar 2020 Widerspruch erhoben. Im September 2021 reichte der Kläger eine auf Zahlung von noch ca. 23.000 EUR gerichtete Regressklage gegen den Anwalt beim LG ein. Sowohl das LG als auch das in der Berufungsinstanz zuständige OLG wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass eine mögliche Regressforderung gegen den Anwalt verjährt sei.

Verjährungsbeginn erst mit Kenntnis

Der BGH stellte klar, dass die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche grundsätzlich

  • in einer Frist von 3 Jahren gemäß § 195 BGB verjähren und
  • gemäß § 199 Abs. 1 BGB die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und
  • der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und
  • der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Keine Verjährungshemmung durch Mahnbescheid

Der im Dezember 2019 beantragte und im Februar 2020 erlassene Mahnbescheid hatte nach der Entscheidung des BGH mangels ausreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs die Verjährung nicht gemäß §§ 204 Abs. 1 Nr. 3, 209 BGB gehemmt.

Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien im Mahnbescheidsantrag nicht im einzelnen individualisiert und hinreichend aufgegliedert worden. Eine solche Anspruchsindividualisierung sei aber Voraussetzung für den Eintritt der hemmenden Wirkung eines Mahnbescheids.

Beginn der Verjährungsfrist nicht automatisch mit verlorenem Prozess

Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen nach Auffassung des BGH nicht die Annahme, dass die Verjährungsfrist bereits mit dem Schluss des Jahres 2016, also dem Jahr, in dem der ursprüngliche Schadensprozess für den Kläger verloren gegangen war, in Lauf gesetzt wurde. Im August 2016 habe der Kläger zwar Kenntnis von dem verlorenen Prozess und mit Kenntnis der Entscheidungsgründe auch Kenntnis davon erlangt, weshalb der Prozess verloren gegangen sei. Dies reiche aber nicht für die Annahme aus, dass der Kläger dadurch auch Kenntnis von den einen Anwaltsregress begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt habe.

Verlorener Prozess indiziert noch keinen Anwaltsfehler

Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der einen Rechtsanspruch begründenden Umstände im Sinne der Verjährungsvorschriften nicht schon dann vorliegt, wenn dem Mandanten ein Rechtsverlust oder ein verlorener Prozess bekannt geworden ist (BGH, Urteil v. 29.10.2020, IX ZR 10/20). Erforderlich sei vielmehr die Kenntnis von solchen Tatsachen, aus denen sich für ihn als juristischer Laie erschließt, dass der Rechtsberater einen Fehler gemacht oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlich gewesen wären. Dies betreffe im vorliegenden Fall die Einholung einer gesonderten Kostendeckungszusage für den zweiten, von dem Anwalt eingeleiteten Schadenersatzprozess (BGH, Urteil v. 15.12.2016, IX ZR 58/16).

Mandanten können Anwaltsverhalten nur schwer beurteilen

Ein Mandant könne als Laie selbst nach Verlust eines Prozesses über 2 Instanzen regelmäßig nur schwer beurteilen, ob sein Anwalt fehlerhaft gearbeitet hat und ob ihm daraus ein Schaden entstanden ist (BGH, Urteil v. 6.2.2014, IX ZR 245/12). Der Mandant dürfe grundsätzlich auf die Fachkunde des von ihm eingeschalteten Rechtsanwalts vertrauen. Nicht jeder Rechtsverlust indiziere eine Pflichtwidrigkeit oder ein fehlerhaftes Verhalten des Anwalts.

Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers bisher nicht geklärt

Der BGH rügte, das OLG habe sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, zu welchem Zeitpunkt der Kläger Kenntnis - oder grob fahrlässige Unkenntnis - von dem Fehler seines Bevollmächtigten gehabt hatte. Allein die Tatsache, dass aus dem ergangenen Urteil und seiner Begründung Rückschlüsse auf ein Fehlverhalten des Anwalts hätten gezogen werden können, genügt nach Auffassung des BGH nicht. Die vom Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil vom August 2016 zeige im Gegenteil, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt immer noch auf die Richtigkeit der Beratung durch seinen Anwalt vertraut habe.

Anwalt muss Kenntnis des Mandanten beweisen

Im Ergebnis reichten dem BGH die Feststellungen der Vorinstanz zum Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht aus. Das Gericht verwies daher die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Hierbei stellte der Senat klar, dass die Darlegungs- und Beweislast für eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der behaupteten Pflichtverletzung den beklagten Rechtsanwalt trifft.


(BGH, Urteil v. 9.10.2025, IX ZR 18/24)


Schlagworte zum Thema:  Recht , Anwalt , Anwaltshaftung , Verjährung
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