Führerscheinentzug bei extremer Häufung von Bagatellverstößen

159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen in 12 Monaten: Eine solche extreme Häufung kann den Entzug der Fahrerlaubnis auch bei bloßen Bagatellverstößen gegen die StVO  rechtfertigen, wenn die Verstöße auf charakterliche Mängel des Führerscheininhabers schließen lassen.

Das VG Berlin hat sich ausführlich mit der Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Bagatellverstößen gegen die StVO auseinandergesetzt und entschieden, dass eine ungewöhnliche Häufung solcher Verstöße über den Zeitraum eines Jahres in der Regel charakterliche Mängel des Führerscheininhabers offenlegt, die diesen als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erscheinen lassen können.

Klage gegen Entziehung der Fahrerlaubnis

Gegenstand des vom VG Berlin entschiedenen Rechtsstreits war die Klage eines Fahrerlaubnisinhabers, der sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch die Verkehrsordnungsbehörde wehrte. Gegen den Kläger waren im Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 ca. 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt worden, darunter 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Parkverstöße erfolgten überwiegend in Zonen des absoluten Halteverbots und mehrheitlich im unmittelbaren Umfeld der Wohnanschrift des Klägers.

Behörde vermutet gefestigtes Verhaltensmuster

Ende August 2021 erhielt der Kläger einen Bescheid der Straßenverkehrsbehörde, mit dem ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Die Behörde äußerte Zweifel an der Fahreignung des Klägers. Im Hinblick auf die Anzahl und die Art der Verstöße ging die Behörde von einem gefestigten, negativen Verhaltensmuster des Klägers aus. Der Kläger ignoriere schlichtweg die geltenden Rechtsnormen zum ruhenden Verkehr. Die Behörde ordnete an, dass der Kläger seinen Führerschein innerhalb von 5 Tagen bei der zuständigen Polizeibehörde abzugeben habe.

Widerspruch gegen Entziehungsverfügung

Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er an, die Verkehrsverstöße seien zum größten Teil von nahen Verwandten seiner großen Familie begangen worden, die über seine diversen Fahrzeuge verfügen könnten. Er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis sei unverhältnismäßig, denn man hätte ihm zunächst auch die Führung eines Fahrtenbuches androhen bzw. auferlegen können.

Entziehung der Fahrerlaubnis bei mangelnder Fahreignung

Der Widerspruch blieb ebenso wie die nachfolgende Klage ohne Erfolg. Das VG stützte seine Entscheidung auf § 3 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV. Hiernach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist bei erheblichen und wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

159 Parkverstöße offenbaren hartnäckige Missachtung der StVO

Das VG hatte keine Zweifel, dass angesichts der hohen Zahl von Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren innerhalb von 12 Monaten von einer fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen sei. Durch 159 Parkverstöße innerhalb dieses Zeitraums haben der Kläger eine völlige Ignoranz der Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr zu erkennen gegeben. Es sei erkennbar nicht willens, geltende Ordnungsvorschriften im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs einzuhalten. Der Kläger habe diese Ordnungsvorschriften dermaßen hartnäckig missachtet, dass dies den Schluss zulasse, dass er seine persönlichen Interessen in gemeinschaftsschädlicher Weise über die Interessen der Allgemeinheit stellt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 13.3.2007, 5 S 26.07; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.9.2012, 4 L 271.12).

Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer

Das VG berücksichtigte zulasten des Klägers, dass der Großteil der Verstöße im direkten Wohnumfeld des Klägers zu verzeichnen war und das permanente Parken nicht nur im einfachen, sondern mehrheitlich im absoluten Halteverbot grundsätzlich auch geeignet gewesen sei, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden.

Täterschaft anderer Familienmitglieder entlastet nicht

Die vom Kläger behauptete Täterschaft anderer Familienmitglieder nahm das VG dem Kläger nicht ab. Ergänzend wies das Gericht darauf hin, dass auch bei einer unterstellten Täterschaft anderer Familienangehöriger der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Der Kläger habe gegen zahlreiche ihm zugegangenen Bußgeldbescheide nichts unternommen und diese einfach bezahlt. Er habe keine Maßnahmen ergriffen, um die angeblich verantwortlichen Familienangehörigen zu einem ordnungsgemäßen Verhalten anzuhalten und diesen nach eigener Darstellung die weitere Nutzung seiner Fahrzeuge gestattet. Auch ein solches Verhalten zeige charakterliche Mängel, die den Kläger als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erscheinen ließen (BVerwG, Urteil v. 17.12.1976, VII C 57.75).

Berufliche Angewiesenheit kann nicht berücksichtigt werden

Schließlich wies das Gericht darauf hin, dass für die Berücksichtigung einer beruflichen Angewiesenheit des Klägers auf die Fahrerlaubnis in diesem Fall kein Raum bleibe. Bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis handle sich um eine gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum für die Berücksichtigung persönlicher Umstände wie der beruflichen Angewiesenheit auf eine Fahrerlaubnis. In einem solchen Fall gehe das Interesse der Allgemeinheit an einem ordnungsgemäßen Straßenverkehr den persönlichen Interessen eindeutig vor.

Entziehung der Fahrerlaubnis war rechtmäßig

Im Ergebnis bestätigte das Gericht damit die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Straßenverkehrsbehörde.

(VG Berlin, Urteil v. 28.10.2022, 4 K 456/21)