Essen mit der Kanzlerin macht Verfassungsrichter nicht befangen

Die AfD ist mit einem gegen sämtliche Richterinnen und Richter des Zweiten Senats gerichteten Befangenheitsantrag gescheitert. Es handelte sich um ein gegen die Bundeskanzlerin gerichtetes Organstreitverfahren und Auslöser des Befangenheitsantrags war ein Abendessen.

Das BVerfG hat den Befangenheitsantrag der AfD in einem Organstreitverfahren wegen einer gänzlich ungeeigneten Begründung als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen.

Gemeinsames Abendessen von Bundeskanzlerin und Verfassungsrichtern

In einem gegen die Bundesregierung bzw. gegen die Bundeskanzlerin von der AfD-Bundestagsfraktion eingeleiteten Organstreitverfahren hat die Antragstellerin AfD sämtliche Mitglieder des zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung stützte sie sich auf eine Pressemitteilung des BVerfG vom 1.7.2021. Danach war eine Delegation des BVerfG unter Leitung des Präsidenten und der Vizepräsidentin am 30.6.2021 zu einem Treffen mit Mitgliedern der Bundesregierung gereist. Auf Einladung der Bundeskanzlerin fand zum Abschluss ein gemeinsames Abendessen mit den Mitgliedern der Bundesregierung statt.

AfD befürchtet Befangenheit wegen gemeinsamen Abendessens

Die Antragstellerin sah in diesem Abendessen nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung in dem von ihr angestrengten Organstreitverfahren Gründe, die befürchten ließen, dass eine unvoreingenommene Behandlung des Organstreitverfahrens durch das Gericht nicht gewährleistet sein würde.

Ein Abendessen mit der Antragsgegnerin persönlich, in dem es erfahrungsgemäß nicht nur zu einem sachlichen, sondern auch einem persönlichen Meinungsaustausch komme, sei geeignet das Vertrauen der Antragstellerin in die unparteiliche Behandlung des Organstreitverfahrens zu erschüttern.

Der zweite Senat selbst wies Befangenheitsantrag zurück

Der zweite Senat des BVerfG entschied selbst über das Ablehnungsgesuch, da dieses offensichtlich unzulässig sei. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit seien die abgelehnten Richter weder zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung verpflichtet noch von der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ausgeschlossen. Einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch einen anderen, den ersten Senat, habe es daher nicht bedurft.

Keine vernünftigen Gründe für Befangenheit dargelegt

Die offensichtliche Unzulässigkeit des Befangenheitsantrags folgt nach Auffassung der Richter daraus, dass die Begründung zur Darlegung der Gründe für die Besorgnis der Befangenheit völlig ungeeignet sei. Gemäß § 19 BVerfGG setze die Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit der betroffenen Richter zu rechtfertigen. Entscheidend sei dabei, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände für den Antragsteller Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit eines oder mehrerer Richter zu zweifeln. Ob der oder die Richter tatsächlich befangen seien, sei dabei unerheblich.

Ein Abendessen macht Verfassungsrichter nicht befangen

Nach Einschätzung der Verfassungsrichter ist die Teilnahme an einem Abendessen auf Einladung der Bundeskanzlerin nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Das BVerfG als Teil der rechtsprechenden Gewalt und oberstes Verfassungsorgan sei in die grundgesetzliche Gewaltenteilung eingebunden und nehme an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Das Verhältnis der obersten Verfassungsorgane untereinander sei auf gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation angelegt.

Dazu gehörten auch regelmäßige Treffen der Mitglieder des BVerfG mit der Bundesregierung zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch.

Dialog der Verfassungsorgane ist demokratische Normalität

Das BVerfG wies darauf hin, dass das Gericht auch mit anderen Verfassungsorganen im regelmäßigen Dialog steht. Dazu gehörten regelmäßige Besuche des Bundespräsidenten beim BVerfG sowie regelmäßige Treffen der Verfassungsrichter zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit Mitgliedern des Bundestages. Aus diesem regelmäßigen Dialog den Schluss zu ziehen, die Richter seien nicht in der Lage oder nicht willens, unvoreingenommen über verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, sei abwegig.

Das BVerfG entscheidet permanent über Regierungshandeln

Daran ändert nach Auffassung des BVerfG auch die Tatsache nichts, dass das anhängige Organstreitverfahren sich unmittelbar gegen die Bundeskanzlerin bzw. die Bundesregierung richtete. Das BVerfG sei permanent mit Verfahren befasst, die das Handeln der Bundesregierung und anderer oberster Verfassungsorgane betreffen. Hiernach wäre ein Informations- und Gedankenaustausch zwischen den Verfassungsorganen nicht mehr möglich, wenn dieser die Besorgnis der Befangenheit in Gerichtsverfahren begründe, an denen diese Verfassungsorgane beteiligt sind.

Das Bild des Verfassungsrichters rechtfertigt kein grundsätzliches Misstrauen

Schließlich widerspräche es auch dem nach dem GG vorgegebenen Bild des Verfassungsrichters, auf den Dialog der Verfassungsorgane ein grundsätzliches Misstrauen gegen die Richter am BVerfG zu stützen. Die Verfassungsrichter betonten, dass die Richter am BVerfG über die innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, über Gegenstände auch in Organstreitverfahren unvoreingenommen zu entscheiden, auch wenn sie in zeitlicher Nähe zu dem Gerichtsverfahren Kontakt zu an dem Gerichtsverfahren beteiligten Organen hatten.

Das BVerfG wies die Befangenheitsanträge mit diesen Argumenten als offensichtlich unzulässig ab.

(BVerfG, Beschluss v. 20.7.2021, 2 BvR 4/20; 2 BvR 5/20).

Hintergrund:

In dem beim BVerfG anhängigen Organstreitverfahren beanstandet die AfD Äußerungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich, der im Jahre 2020 mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag gewählt worden war. Die Bundeskanzlerin hatte nach der Wahl erklärt, die Wahl müsse rückgängig gemacht werden, die Wahl zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der alten sei unverzeihlich. Mit diesen einseitigen Äußerungen zum Nachteil der AfD hat Merkel nach Auffassung der AfD ihre Kompetenzen als Bundeskanzlerin in einer die Verfassung verletzenden Weise überschritten. Die Amtszeit von Kemmerich als Ministerpräsident dauerte vom 5.2. bis 4.3.2020 und dürfte damit eine der kürzesten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein.