Colours of law: Weidemilch darf auch aus dem Stall kommen

Weidemilch muss nicht von der Weide kommen. Dies hat überraschend das OLG Nürnberg entschieden. Danach verstößt die Bezeichnung „Weide-Milch“ nicht gegen das Verbot der Irreführung des Verbrauchers, auch wenn die Milch tatsächlich nicht von der Weide stammt.

Ein Wettbewerbsverband hielt die Bewerbung als Weidemilch für einen Verstoß gegen den lauteren Wettbewerb und nahm den Discounter auf Unterlassung in Anspruch. Der Verband wies darauf hin, die Milch stamme von Kühen, die nur 120 Tage im Jahr je 6 Stunden am Tag auf der Weide stünden, die restliche Zeit im Stall. Tatsächlich handele es sich damit um einen Saisonartikel, der ganzjährig angeboten würde. Der Verbraucher werde durch die Bezeichnung Weide-Milch irregeführt, auch wenn auf der Rückseite der Verpackung in Textform wahrheitsgemäß vermerkt sei, dass die Milch von Kühen stamme, die mindestens 120 Tage im Jahr - davon mindestens 6 Stunden - am Tag auf der Weide stehen.

Etikett laut LG irreführend

Der Unterlassungsklage des Verbraucherverbandes gab das LG in erster Instanz statt und sah den Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1UWG in Verbindung mit §§ 3, 3 a, 5 UWG, Art. 7 Absatz 1a LMIV als begründet an. Nach diesen Vorschriften ist eine Kennzeichnung von Lebensmitteln, die den Verbraucher in die Irre führt, unzulässig. Nach Auffassung des LG versteht der Verbraucher unter Weide-Milch, dass die konkret angebotene Milch von Kühen stammt, die sich am Tag der Bemelkung oder am Vortag längere Zeit auf der Weide befunden hätten. Da dies im konkreten Fall nicht gewährleistet sei, rufe das produktbezogene Merkmal Weide-Milch beim Verbraucher eine Fehlvorstellung hervor. Die blickfangmäßig hervorgehobene, objektiv unrichtige Bezeichnung auf der Vorderseite des Produkts könne durch den klarstellenden Hinweis auf der Rückseite der Milchverpackung nicht beseitigt werden.

Auch eine Weidekuh steht nicht jeden Tag auf der Weide

Dies sah das OLG in 2.Instanz anders. Das OLG wies darauf hin, dass keine rechtlichen Vorgaben darüber existieren, unter welchen Voraussetzungen eine Milch als Weide-Milch bezeichnet werden darf. Es entspreche dem Branchenstandard, dass Kühe nicht bei jeder Witterung und bei jedem Zustand des Bodens auf der Weide stünden. Eine Kuh werde in der Branche üblicherweise als Weidekuh angesehen, wenn diese mindestens 120 Tage im Jahr auf der Weide steht.

Discounter für unrichtige Verpackungsangaben nicht verantwortlich

Das OLG bestätigte allerdings, dass Art. 7 Abs. 1 LMIV ein umfassendes Irreführungsverbot enthält. Die LMIV (LebensmittelinformationsVO) gilt seit dem 13.12.2014 in allen Mitgliedsländern der EU unmittelbar. Die dort enthaltene Regelung ist nach der Bewertung des Senats abschließend. Sie setze nicht nur einen Mindeststandard, sondern erlaube auf der anderen Seite auch keine strengeren nationalen Regelungen. Nach dieser Regelung sei der Discounter als Händler für unrichtige Informationen für von Dritten hergestellte Lebensmittel nicht verantwortlich, Art 8 LMIV. Als Beklagter sei der Discounter daher der falsche Adressat und die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

Der Verbraucher ist nicht so naiv wie das LG meint

Das OLG bezweifle allerdings auch, ob der Käufer tatsächlich unter Weide-Milch eine Milch versteht, die nur von Kühen stammt, die sich am Tag der Bemelkung oder am Vortag für einige Stunden auf der Weide befunden hatten. Nach Auffassung des OLG gehen Verbraucher nicht davon aus, dass Kühe das ganze Jahr über bei jedem Wetter nur im Freien auf der Weide stehen. Es sei naheliegender, dass der normal informierte und vernünftig aufmerksame und kritische Verbraucher unter der Bezeichnung Weide-Milch eine Milch versteht, die von Kühen stammt, welche - wenn auch nicht ganzjährig - im Rahmen der üblichen Weidesaison und zu bestimmten Weidezeiten auf der Wiese grasen. Im Übrigen wird nach Auffassung des Senats eine etwaige Fehlvorstellung des Verbrauchers durch den aufklärenden Hinweis auf der rückseitigen Etikettierung beseitigt.

BGH und EuGH setzen einen emanzipierten kritischen Verbraucher voraus

Diese Einschätzung des Verbrauchers entspricht nach dem Diktum des OLG auch der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil v. 2.2.2012, I ZR 45/13 – „Himbeer-Vanille Abenteuer“) und des EuGH (EuGH, Urteil v. 4.6.205, C-195/14). Beide Gerichte setzten voraus, dass ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher sich vor seiner Kaufentscheidung die Angaben auf der Verpackung einschließlich der Rückseite anschaut. Auch nach dieser Rechtsprechung sei dennoch eine Irreführung anzunehmen, wenn sich aufgrund der Gesamtdarstellung beim Verbraucher ein falscher und missverständlicher Eindruck aufdränge. Dies ist nach Auffassung des Senats aber vorliegend aber nicht der Fall.

Hohes Schutzniveau für Verbraucher im Gesundheitsbereich

Interessant ist ein Vergleich der OLG-Entscheidung mit der jüngst ergangenen Entscheidung des EuGH im Falle „DEXTRO  ENERGY“. Danach kann selbst ein auf einer Verpackung angebrachter, sachlich völlig richtiger Hinweis auf den Energiespender Zucker insgesamt beim Verbraucher den fehlerhaften Eindruck erwecken, das Lebensmittel sei nützlich (EuGH, Urteil v. 8.6.2017, C-296/16 P). Der EuGH hat den entsprechenden, für sich genommen zutreffenden Hinweis auf der Verpackung wegen Irreführung des Verbrauchers daher als unzulässig angesehen. Allerdings gilt im Gesundheitsbereich ein besonders hohes Verbraucherschutzniveau (Health-Claims-VO). Das EuGH-Urteil ist mit dem vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall daher nur bedingt vergleichbar. Dennoch lassen die unterschiedlichen Entscheidungen aus Sicht des Verbrauchers eine wünschenswert klare Linie nicht ohne weiteres erkennen.

(OLG Nürnberg, Urteil v. 7.2.2017, 3 U 1537/16)