20.000 EUR Schadensersatz für bei Verkehrsunfall verletzten Hund

Vom Schadensverursacher geschuldete Behandlungskosten dürfen den Wert eines Tieres um ein Vielfaches übersteigen: Das LG München hat einen Autofahrer, der durch eine Geschwindigkeitsverstoß die Verletzung eines Welpen verursachte, zum Ersatz von rund 20.000 Euro für die Behandlung seiner Hundepfote mit anschließender Physiotherapie verurteilt.

In einem in der Tierschützer-Szene stark beachteten Urteil hat das LG München einen Autofahrer zu einer ungewöhnlich hohen Schadenersatzzahlung an den Halter eines bei einem Verkehrsunfall verletzten Hundes verurteilt.

Betroffene Hund wurde angeleint durch einen Gewerbepark geführt

Der Inhaber eines Gewerbeparks in München hatte die Absicht, seinen Rhodesian-Ridgeback-Rüden (Marktwert: ca. 2.000 Euro) auf dem von ihm geleiteten Gewerbepark als Wachhund einzusetzen. Zu diesem Zweck hatte er einen Angestellten damit beauftragt, den vier Monate alten Rüden angeleint über den Gewerbepark spazieren zu führen, um den Hund mit dem Gelände vertraut zu machen. Die Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge auf dem Privatgelände war durch Verkehrsschilder auf 10 km/h begrenzt.

Fahrzeug erfasste Rüden an der Vorderpfote

Als der Hundeführer mit dem angeleinten Hund ansetzte, eine Straße auf den Gewerbepark zu überqueren, bemerkte er ein mit überhöhter Geschwindigkeit herannahendes Fahrzeug und zog den bereits im Straßenraum befindlichen Hund an der Leine zurück. Dennoch erfasste das Fahrzeug den Hund an der Vorderpfote.

Tierarztbehandlung mit anschließender Physiotherapie

Infolge der Verletzungen an einer Vorderpfote wurde eine umfassende tierärztliche Behandlung des Hundes erforderlich mit anschließender Physiotherapie. Ein später vom Gericht hinzugezogenen Gutachter bestätigte die medizinische Angemessenheit der tierärztlich angeordneten Behandlungen.

Fahrzeughalter wendet Tiergefahr ein

Der Fahrzeughalter und dessen Versicherung wehrten sich dennoch gegen die Übernahme der nach ihrer Auffassung überhöhten und unangemessenen Behandlungskosten. Der Fahrzeughalter vertrat die Ansicht, in dem Unfallgeschehen habe sich die Tiergefahr verwirklicht, d.h. nach den Grundsätzen der Tierhalterhaftung trage der Hundehalter gemäß § 833 S. 1 BGB die alleinige Verantwortung für das Unfallereignis.

Landgericht bewertet Tiergefahr mit Null

Dies sah das LG anders. Die Einzelrichterin am LG bewertete die nicht unerhebliche Geschwindigkeitsübertretung durch den Fahrzeugführer - laut Gericht mindestens 20 km/h statt der erlaubten 10 km/h - verbunden mit einer gewissen Unaufmerksamkeit als maßgeblich für das Unfallgeschehen.

Ob der Fahrzeugführer auch noch mit seinem Handy telefonierte, blieb zwischen den Parteien streitig. In dem Unfallereignis hat sich nach Auffassung des LG alleine die mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundene Betriebsgefahr verwirklicht. Die in dem Unfallereignis zutage getretene Tiergefahr des an der Leine geführten Hundes bewertete das LG mit Null.

Die teure Physiotherapie war angemessen

Die anschließende tierärztliche Behandlung hielt das Gericht für angemessen. Die teure Physiotherapie sei tiermedizinisch sinnvoll gewesen, da der erst vier Monate alte Rüde sich noch im Wachstum befunden habe und die verletzte Pfote habe trainieren müssen, damit diese wieder voll einsatzfähig wurde.

Fahrzeughalter zu 20.000 Euro Schadenersatz verurteilt

Mit diesen Argumenten hat das LG den PKW-Halter und seine Haftpflichtversicherung in voller Höhe zu dem geltend gemachten Schadensersatz in Höhe von rund 20.000 Euro verurteilt.

(LG München I, Urteil v. 15.9.2020, 20 O 5615/18)

Hintergrund: Haftung und Tiergefahr

Der BGH hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach zur Berücksichtigung der Tiergefahr bei Unfallereignissen geäußert. Die typische Tiergefahr äußert sich laut BGH in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren selbständigen Verhalten eines Tieres (BGH Urteil v. 20.12.2005, VI ZR 225/04). An einer solchen typischen Tiergefahr fehlt es, wenn in dem Unfallgeschehen keine eigene Energie des Tieres zutage getreten ist (BGH, Urteil v. 25.3.2014, VI ZR 372/13). Deshalb muss in jedem Fall sorgfältig geprüft worden, ob die typische Tiergefahr sich in einem Unfallgeschehen (mit)verwirklicht hat (BGH, Urteil v. 27.10.2015, VI ZR 23/15).

Werteentscheidung für Schutz der Tiere

In der Rechtsprechung war lange Zeit umstritten, in welcher Höhe die Behandlungskosten für ein verletztes Tier im Rahmen von Schadenersatzansprüchen zu erstatten sind. § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB stellt insoweit klar, dass die Behandlung eines verletzten Tieres nicht deshalb unverhältnismäßig ist, weil die Aufwendungen den Wert des Tieres erheblich übersteigen.

Der BGH verweist in diversen Entscheidungen darüber hinaus auf die in Art. 20a GG sowie in § 1 TierSchG zum Ausdruck kommende Werteentscheidung des Gesetzgebers, wonach der Schutz der Tiere zum Verantwortungsbereich der staatlichen Gewalt gehört und Tiere gemäß § 90a BGB grundsätzlich nicht mehr – wie früher - als Sachen anzusehen sind.

Behandlungskosten dürfen Wert eines Tieres um ein Vielfaches übersteigen

Ausgehend von der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Lebewesen verbietet die Rechtsordnung nach dieser Rechtsprechung eine Schadensbemessung nach einer streng wirtschaftlichen Betrachtungsweise. In der Folge können danach bei Tieren mit einem geringen materiellen Wert Behandlungskosten und dann ersatzfähig sein, wenn sie den Wert des Tieres um ein Vielfaches übersteigen. Allerdings zieht der BGH bei der Höhe der erstattungsfähigen Behandlungskosten eine Zumutbarkeitsgrenze. Bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze komme es auf den

  • Grad des Verschuldens des Schädigers,
  • das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier sowie darauf an,
  • ob die aufgewendeten Behandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht vertretbar sind (BGH, Urteil v. 27.10.2015, VI ZR 23/15).

Kein Schmerzensgeld für Tierhalter bei Tötung eines Tieres

Der BGH legt allerdings auch Wert auf eine deutliche Unterscheidung zwischen der Bedeutung der Verletzung eines Menschen und der eines Tieres. Anders als bei Verletzung oder Tötung eines nahestehenden Menschen gehöre die Verletzung und Tötung von Tieren, mögen die Ereignisse auch noch so schwerwiegend und der Schmerz des Tierbesitzers menschlich noch so verständlich sein, zum allgemeinen Lebensrisiko und begründen daher keine eigenständigen Schmerzensgeldansprüche des Tierhalters (BGH, Urteil v. 20.3.2012, VI ZR 114/11).

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