Es können auch andere Gesichtspunkte im Rahmen der nachehelichen Solidarität in die Billigkeitsabwägungen zur Abwägung der beiderseitigen Zumutbarkeit einer fortdauernden, unbefristeten Unterhaltsverpflichtung einfließen (ausführlich Viefhues FuR 2011, 505 und FuR 2011, 551):
- Wie dringend ist die Unterhaltsberechtigte neben ihren eigenen Einkünften auf die fortdauernde Leistung des Unterhalts angewiesen?
- Wie stark wird der Unterhaltspflichtige auch unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten durch diese fortdauernden Unterhaltszahlungen belastet?
a) Bedeutung der gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen Situation der Eheleute
Dabei kann die wirtschaftliche Situation beider Ehegatten nicht ausgeklammert werden (BGH NJW 2014, 1302 = FamRZ 2014, 823; NJW 2013, 2434 = FamRZ 2013, 1291):
- Ist die/der Berechtigte selbst in der Lage, auch dauerhaft einen angemessenen Lebensstandard zu erwirtschaften (BGH NJW 2013, 1530 = FamRZ 2013, 853; NJW 2013, 1444 m. Anm. Born = FamRZ 2013, 860 m. Anm. Maurer; OLG Düsseldorf FamRZ 2014, 772 = NJW 2014, 948)?
- Bezieht die/der Berechtigte eine angemessene Rente (BGH, Urt. v. 26.11.2008 – XII ZR 131/07, FamRZ 2009, 406 m. Anm. Schürmann = FPR 2009, 128 m. Anm. Kemper = NJW 2009, 989 = FuR 2009, 204; Bömelburg FF 2009, 419)?
- Ist abzusehen, dass der/dem Berechtigten eine angemessene Altersvorsorge aus dem Versorgungsausgleich zufließen wird (BGH FamRZ 2009, 406)?
- Hat die/der Berechtigte hohe Einkünfte bzw. ein Einkommen oder Vermögen, das sie/ihn dauerhaft absichert (OLG Stuttgart FamRZ 2007, 2075, 2077; OLG FuR 2010, 47; OLG Celle FamRZ 2009, 56)?
- Hat die/der Berechtigte nur einen unsicheren Arbeitsplatz?
Stehen der/dem Berechtigten Rücklagen zur Verfügung, z.B.
- aus eigenem Vermögen (BGH FamRZ 2007, 2049),
- aus Erbfolge (BGH FamRZ 2007, 2052; OLG Hamm FF 2009, 337; FamRZ 2009, 2098; OLG Stuttgart ZFE 2008, 196) oder
- aus dem Zugewinn (BGH FamRZ 2007, 2052; zur verfahrensrechtlichen Behandlung eines noch zu zahlenden Zugewinns vgl. BGH NJW 2011, 670 m. Anm. Born = FamRZ 2011, 454 m. Anm. Finke; s. auch OLG Stuttgart NJW 2012, 689 = FamRZ 2012, 983)?
- Ist die/der Berechtigte durch lastenfreies Wohneigentum (BGH FamRZ 2009, 1990; OLG Hamm, Beschl. v. 4.11.2016 – 13 UF 34/15; FamRZ 2005, 1177; OLG Celle FamRZ 2008, 1949, 1950; OLG Stuttgart FamRZ 2009, 53, 55) abgesichert?
Aber auch die Interessen des Unterhaltspflichtigen und dessen wirtschaftliche Verhältnisse sind für die Zumutbarkeitsabwägungen von Belang (BGH FamRZ 2013, 274), also dessen gegenwärtige und zukünftige Belastungen (BGH NJW 2014, 1302) durch
- die Höhe des an den Ehegatten fortdauernd zu zahlenden Unterhaltsbetrags (OLG Celle FF 2008, 421; OLG Köln FamRZ 2009, 518, 519),
- die Höhe weiterer – auch nachrangiger – Unterhaltsverpflichtungen (BGH NJW 2013, 1530 = FamRZ 2013, 853),
- zusätzliche Belastungen aus der Ehezeit (Kreditbelastungen) und
- das ihm danach verbleibende Resteinkommen (BGH NJW 2013, 1444; FamRZ 2007, 200, 204; OLG Celle FamRZ 2009, 2105, 2107).
b) Gesundheitliche Situation der geschiedenen Eheleute
Auch der Gesundheitszustand beider Ehegatten kann hier Berücksichtigung finden (BGH NJW 2010, 2056; OLG Stuttgart FamRZ 2008, 2208).
c) Umstände aus der Vergangenheit ("Lebensleistung" der Ehegatten)
Im Rahmen der Billigkeitsabwägungen ist es auch möglich, bestimmte in der Vergangenheit liegende Gesichtspunkte auf Seiten beider Ehegatten zu berücksichtigen.
Praxishinweise:
- Es ist zugunsten beider Ehegatten immer zu überprüfen, welche Leistungen für die eheliche Lebensgemeinschaft ("Lebensleistung"; BGH FamRZ 2014, 823; FamRZ 2013, 1291; FamRZ 2010, 1414) erbracht und welche Belastungen während der Ehe getragen worden sind (BGH NJW 2014, 1302).
- Hierbei handelt es sich regelmäßig um Gesichtspunkte, die für das Gericht aus dem normalen Sachverhalt regelmäßig nicht erkennbar sind, also besonders vorgetragen werden müssen.
In die Billigkeitsabwägung einfließen können damit auch folgende weitere Gesichtspunkte:
- überobligatorischer Einsatz während der Ehe zugunsten des Partners,
- besonderer Einsatz bei der Betreuung der gemeinsamen Kinder während der Ehe (OLG Köln FamRZ 2014, 1207, 1208; vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 2012, 1395; OLG Hamm FuR 2012, 266; OLG Celle FamRZ 2009, 2105) oder nach der Scheidung (BGH FamRZ 2012, 772),
- Betreuung des Partners während längerer Krankheit,
- Versorgung eines Kindes des Ehegatten (Stiefkind),
- ob dem Unterhaltsgläubiger während der Ehezeit längerfristig die wirtschaftliche Verantwortung für die Familie oblag,
- ob der Unterhaltsschuldner etwa für ein gemeinsames Kind Bar- und Betreuungsunterhalt hat leisten müssen (BGH FamRZ 2010, 869),
- Finanzierung der Ausbildung (BGH NJW 2011, 3577; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1447; OLG Saarbrücken FF 2008, 505; KG NJW 2009, 3661; OLG Frankfurt FamRZ 1999, 97),
- Mitarbeit im Erwerbsgeschäft des Ehegatten,
- die Pflege oder Unterstützung der Schwiegereltern,
- Bereitstellung von ererbtem Vermögen für den Erwerb eines gemeinsamen Hauses (OLG Koblenz FamRZ 2012, 1395) oder
- die Tilgung von persönlichen Schulden des Ehegatten.
Praxishinweis:
Im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsüberlegungen kann auch die Zeit der Betreuung gemeinsamer Kinder vor der Heirat Berücksichtigung f...
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