Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachehelicher Unterhalt: Anspruch auf Aufstockungsunterhalt unter Berücksichtigung der Erkrankung der Unterhaltsberechtigten. Zurechnung fiktiven Einkommens. Befristung des Unterhaltsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die stets wandelbaren Lebensverhältnisse rechtfertigen eine spätere erstmalige Geltendmachung nachehelichen Ehegattenunterhalts, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ändern (hier: teilweiser Wegfall von Verbindlichkeiten).

2. Wird nach rechtskräftiger Ehescheidung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt oder eine außergerichtliche Schuldenbereinigung unternommen, so sind ehebedingte Verbindlichkeiten nur noch im Umfang der pfändbaren Beträge berücksichtigungsfähig.

3. Für die Frage einer Befristung des nachehelichen Ehegattenunterhalts ist nicht ausschließlich auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in dem früher gewählten Beruf abzustellen. Die Tatsache oder auch nur die Möglichkeit einer Tätigkeit im erlernten Beruf ist deshalb allein als Indiz für das Fehlen ehebedingter Nachteile anzusehen. Für die Befristungsdauer (Übergangsfrist) ist auch der seitherige Unterhaltszeitraum in Betracht zu ziehen. Dem hat der Umstand gleichzustehen, dass Unterhalt wegen der Zahlung auf gemeinsame Verbindlichkeiten nicht geschuldet ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1572, 1573 Abs. 2, § 1578b Abs. 2; EGZPO § 36 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Oberndorf (Urteil vom 01.02.2008; Aktenzeichen 4 F 162/05)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 02.06.2010; Aktenzeichen XII ZR 138/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des AG - FamG - Oberndorf vom 1.2.2008 - 4 F 162/05 - abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin nachehelichen Ehegattenunterhalt zu zahlen wie folgt:

I. für den Zeitraum von August 2005 bis April 2007 i.H.v. 9.933 EUR

II. für den Monat Mai 2007 i.H.v. 531 EUR,

III. für den Monat Juni 2007 i.H.v. 552 EUR,

IV. für die Monate Juli bis Dezember 2007 i.H.v. jeweils 419 EUR,

V. sowie ab dem Monat Januar 2008 bis einschließlich Dezember 2009 i.H.v. monatlich jeweils 438 EUR.

Die jeweils weitergehende Berufung wird zurückgewiesen, die weitergehende Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden in beiden Rechtszügen gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Berufungsstreitwert: 9.370,79 EUR.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um nachehelichen Ehegattenunterhalt betreffend die Zeit ab August 2005. Ihre am 12.6.1981 geschlossene Ehe wurde auf den am 12.6.2002 zugestellten Scheidungsantrag durch Urteil vom 26.3.2003 geschieden, rechtskräftig seit demselben Tage. Aus der Ehe sind die Töchter N., geboren am 29.11.1983, und N., geboren am 27.5.1986, hervorgegangen. Die Klägerin ist am 30.3.1961 geboren, jetzt also 47 Jahre alt. Der Beklagte ist wieder verheiratet. Unstreitig verfügt seine Ehefrau über bedarfsdeckende Einkünfte.

Das FamG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin rückständigen und laufenden Aufstockungsunterhalt zu zahlen, nämlich im Umfang von 15.652 EUR für die Zeit von August 2005 bis April 2007, i.H.v. 757 EUR für den Monat Mai 2007, i.H.v. jeweils 845 EUR für die Monate Juni bis September 2007, von jeweils 904 EUR für die Monate Oktober bis Dezember 2007 und ab dem Monat Januar 2008 herabgesetzt auf monatlich 500 EUR.

Dagegen wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Der Beklagte erstrebt, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird. Die Klägerin ihrerseits stützt den Unterhalt auf eine andere Anspruchsgrundlage als durch das FamG geschehen. Sie begehrt den Unterhalt als Krankheitsunterhalt. Ihr Rechtsmittel zielt ferner darauf ab, dass sie einerseits höheren Unterhalt zugesprochen erhält, und andererseits dessen Absenkung entfällt.

Durch Vergleich des AG - FamG - Kirchheim unter Teck vom 26.3.2003 - 2 F 203/02 - war für die Zeit ab rechtskräftiger Ehescheidung geregelt worden, dass der Klägerin kein Ehegattenunterhalt zustehe, solange der Ehemann weiterhin Zahlungen auf bestehende Verbindlichkeiten (monatlich 1.261,91 EUR) sowie Kindesunterhalt für die Tochter N. i.H.v. monatlich 327 EUR leiste. Zu den Verbindlichkeiten ist dort klarstellend formuliert: Der Antragsteller verpflichtet sich, die Zahlung von Verbindlichkeiten i.H.v. mindestens EUR 1.261,91 jeweils vierteljährlich nachzuweisen, erstmals zum 1.6.2003. Die Parteien sind sich hierbei darüber einig, dass zu den Verbindlichkeiten auch Zahlungen auf verbrauchsabhängige und verbrauchsunabhängige Nebenkosten für das Haus H. in L. gehören." Entspreche der seinerzeitige Antragsteller und nunmehrige Beklagte seiner Verpflichtung nicht, die genannten Zahlungen nachzuweisen, so könne "die Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt ohne weitere Inverzugsetzung in dann noch zu berechnender Höhe fordern." ...

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