Das Wichtigste in Kürze:

1. Als Verteidiger muss man sich darüber bewusst sein, dass Strafverteidigung nicht erst in der Revisionsinstanz beginnt, sondern die Grundlagen für eine ggf. erfolgreiche Revision (zumindest) in der Tatsacheninstanz, wenn nicht schon im EV, gelegt werden.
2. Die Verwirkung von Verfahrensrügen/Beanstandung von Prozessverstößen kann für den Verteidiger in dreifacher Weise eintreten Am häufigsten ist der Fall des Rügeverzichts entweder vor oder nach einer Prozesshandlung.
3. Ob eine Verwirkung von Verteidigungsrechten ggf. auch infolge arglistigen Verhaltens des Verteidigers eintreten kann, ist zweifelhaft.
4. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist für den Verteidiger die in der Rspr. des BGH in den letzten Jahren in verstärktem Maße vertretene "Widerspruchslösung".
 

Rdn 3888

 

Literaturhinweise:

Bernsmann, Zur Stellung des Strafverteidigers im deutschen Strafverfahren, StraFo 1999, 226

Beulke, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß – Eine Erwiderung auf Pfister, StV 2009, 554

Dahs, Das Schweigen des Verteidigers zu tatrichterlichen Verfahrensfehlern und die Revision, NStZ 2007, 241

ders., Das Schweigen des Verteidigers und die Revision, in: Festschrift für Kay Nehm, 2006, S. 243

Ebert, Zum Beanstandungsrecht nach Anordnungen des Strafrichters gem. § 238 Abs. 2 StPO, StV 1997, 269

Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, 2005

ders., Unwahre Verfahrensrüge und Strafvereitelung, StV 2015, 51

Jeschek, Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, JZ 1952, 400

Kempf, Der "Missbrauchsgedanke" argumentum pro advocato? – zugleich Erwiderung auf Fahl StV 2015, 51 (vorstehend), StV 2015, 55

Maatz, Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust, NStZ 1992, 513

Nagel, Die Ohnmacht der Verteidigung vor der Macht der Richter? Ein Beitrag zur Diskussion um Verteidigerpflichten und Rügepräklusionen, StraFo 2013, 221

Pfister, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 2009, 550

Schlüchter, Wider die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, in: Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990, S. 445

W. Schmid, Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, 1967

Widmaier, Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust(?), NStZ 1992, 519

s.a. die Hinw. bei → Widerspruchslösung, Teil W Rdn 4012.

 

Rdn 3889

1. Als Verteidiger muss man sich darüber bewusst sein, dass Strafverteidigung nicht erst in der Revisionsinstanz beginnt, sondern die Grundlagen für eine ggf. erfolgreiche Revision (zumindest) in der Tatsacheninstanz, wenn nicht schon im EV, gelegt werden. Der Verteidiger hat kaum Möglichkeiten, Fehler, die er in der HV vor dem Tatrichter gemacht hat, in der Revisionsinstanz noch "auszubügeln" (Dahs, Rn 787 m.w.N.). Dazu können auch die Fälle gehören, in denen der Verteidiger einen Verfahrensfehler des Tatrichters zwar bemerkt hat, gegen ihn aber nicht vorgegangen ist, um sich den Fehler zur Begründung der Revision "aufzuheben". Wegen der großen Gefahren, die sich daraus für den Angeklagten ergeben können, soll an dieser Stelle ein Überblick zu den Fragen der Verwirkung von Verteidigungsrechten gegeben werden (wegen der Einzelh. s. die eingehende Darstellung bei Dahs, Rn 787 ff. m.w.N.; ders. NStZ 2007, 241 und ders., a.a.O., S. 243 ff., sowie Dahs, RV, Rn 402 ff. sowie insbesondere a. → Widerspruchslösung, Teil W Rdn 4012).

 

Rdn 3890

2. Die Verwirkung von Verfahrensrügen/Beanstandung von Prozessverstößen kann für den Verteidiger in dreifacher Weise eintreten:

 

Rdn 3891

a)aa) Am häufigsten ist der Fall des Rügeverzichts entweder vor oder nach der (falschen) Prozesshandlung, die durch den Verzicht geheilt wird (Dahs, RV, Rn 404 ff.). Dies gilt allerdings nur für (verzichtbare) Prozesshandlungen, auf die der Verteidiger also durch Erklärungen einwirken kann, wie z.B.

die → Nachtragsanklage, Teil N Rdn 2259,
die Verlesung von Protokollen früherer Vernehmungen (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 3; → Verlesung von Protokollen, Protokolle und Urkunden aller Art, Teil V Rdn 3527; → Verlesung von Protokollen, richterliche Vernehmungsprotokolle, Teil V Rdn 3558),
den Verzicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist (→ Ladung des Angeklagten, Teil L Rdn 2185; → Ladung des Verteidigers, Teil L Rdn 2198; → Aussetzung, Nichteinhaltung der Ladungsfrist, Teil A Rdn 598; zum Verzicht auf das Recht, die Aussetzung der HV zu verlangen, BGH NStZ 2005, 646; s.a. OLG Hamm StraFo 1998, 164, 269 [im Verzicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist liegt kein Vorabverzicht auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 wegen Nichtteilnahme des – notwendigen – Verteidigers]),
den → Beweisverzicht, Teil B Rdn 1373, z.B. auf die Vernehmung von (erschienenen) Zeugen und/oder SV (dazu u.a. BGH StV 1995, 623).
 

☆ Geht es um den Verzicht des Angeklagten, wird zu dessen Wirksamkeit vorausgesetzt, dass der ­ Angeklagte Kenntnis von dem Verfahrensverstoß hatte (BGH NStZ 2005, 114; 2006, 461).Angeklagte Kenntnis von dem Verfahrensverstoß hatte (BGH NStZ 2005, 114; 2006, 461).

 

Rdn 3892

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