Rn 12

Gem II 1 kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der für sie maßgebenden Tatsachen erklärt werden; länger zurückliegende Geschehnisse können bei ›innerem Zusammenhang‹ mit dem aktuellen Kündigungsgrund berücksichtigt werden (LAG BW NZA-RR 07, 350 [LAG Baden-Württemberg 28.03.2007 - 12 Sa 81/06]). II 1 ist ein gesetzlich begründeter Verwirkungstatbestand (BAG NZA-RR 11, 177 [BAG 25.11.2010 - 2 AZR 171/09]), Versäumen der Frist führt zur Unwirksamkeit der Kündigung, Wiedereinsetzung ist ausgeschlossen. Bei Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschens nach Ablauf der Frist von II 1 ist Kündigung unverzüglich zu erklären (BAG NZA 20, 1326 [BAG 11.06.2020 - 2 AZR 442/19], zur Zustimmungsfiktion gem § 174 III 2, V SGB IX: BAG ArbR 12, 514 [BAG 19.04.2012 - 2 AZR 118/11] m Anm Lingemann).

 

Rn 13

Die Zweiwochenfrist beginnt gem II 2, sobald der Kündigungsberechtigte zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis (BAG NZA 19, 1415) – grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht – aller kündigungsrelevanten Tatsachen hat (BAG NZA 19, 1415 [BAG 27.06.2019 - 2 ABR 2/19]). Dies ist bei einem Geständnis des Kündigungsadressaten grds der Fall (BAG NZA 19, 1445). Soweit Ermittlungen erforderlich sind, hat der Kündigungsberechtigte sie mit der gebotenen Eile durchzuführen (BAG NZA 07, 746 [BAG 01.02.2007 - 2 AZR 333/06]). Bei Compliance-Untersuchungen beginnt die Frist regelmäßig erst dann zu laufen, wenn ein von einer Compliance-Abteilung erstellter (Abschluss- oder Zwischen-)Bericht an die kündigungsberechtigten Stellen im Unternehmen weitergeleitet wird (BAG NZA 22, 1276 [BAG 05.05.2022 - 2 AZR 483/21]). Die Anhörung des Kündigungsadressaten – iRe Verdachtskündigung zwingend (Rn 9) – innerhalb einer Woche wirkt fristhemmend (BAG NZA 19, 1415 [BAG 27.06.2019 - 2 ABR 2/19]; 18, 1405 [BAG 20.06.2018 - 5 AZR 262/17]; 14, 1015 [BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12]; 11, 798). Bei Straftaten kann der Kündigende – unabhängig von Geständnis im Ermittlungsverfahren – den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlichen Zeitpunkt kündigen (BAG NZA 13, 665 [BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11]; zum beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren BAG NZA 14, 529 [BAG 26.09.2013 - 2 AZR 741/12]). ArbG kann auch erneut kündigen aufgrund veränderter Tatsachen, obwohl er schon bei Beginn der Ermittlungen gekündigt hat (BAG aaO). Bei Dauerzuständen wie eigenmächtigem Fernbleiben (BAG BB 98, 1213), andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (BAG NZA-RR 11, 155), häufigen Kurzerkrankungen (BAG NZA 14, 962); dauerhaftem Wegfall des Arbeitsplatzes (BAG DB 98, 1035), autoritärem Führungsstil (BAG NZA 96, 581) oder Insolvenzverschleppung (BGH DB 05, 1849) beginnt die Frist nicht vor Beendigung des Dauerzustandes (BAG NZA 18, 1191; BGH DB 05, 1850). Bei Verdachtskündigung beginnt die Frist nur mit Kenntnis von verdachtsverstärkenden Tatsachen erneut (BAG NZA 11, 798 [BAG 27.01.2011 - 2 AZR 825/09]).

 

Rn 14

Bei juristischen Personen kommt es auf die Kenntnis des zuständigen gesetzlichen Vertreters oder des von diesem zur Kündigung Bevollmächtigten an. Wissen eines nicht kündigungsberechtigten Dritten kann nur zugerechnet werden, wenn (1.) seine Stellung im Betrieb den Umständen nach erwarten lässt, dass er den Kündigungsberechtigten über den Kündigungssachverhalt unterrichtet und (2.) die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten darauf beruht, dass die Organisation des Betriebes zu einer Verzögerung des Fristbeginns geführt hat, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre (BAG AP Nr 217 zu § 626). Bei Kündigung des Anstellungsvertrags eines Geschäftsführers durch Gesellschafterversammlung bzw eines Vorstands durch Aufsichtsrat kommt es grds auf die Kenntnis des gesamten Kollegialorgans (BGH NJW-RR 07, 690 [BGH 12.02.2007 - II ZR 308/05]) an. Kenntnis eines Mitglieds wird aber zugerechnet, wenn dieses seine Kollegen nicht mit aller zumutbaren Beschleunigung informiert hat, obwohl ihm das möglich war (BGH NJW-RR 90, 1332 [BGH 05.04.1990 - IX ZR 16/89]; s aber NJW-RR 02, 174 [BFH 18.07.2001 - I R 48/97]).

 

Rn 15

Die Frist berechnet sich nach §§ 187, 188, § 193 findet Anwendung (BAG 14, 725). Fristen für Unterrichtung oder Zustimmung von Betriebsrat/Personalrat (Rn 18 f) hemmen die Zweiwochenfrist nicht, hier ist also äußerste Eile geboten. Notwendige und mit der gebotenen Eile durchgeführte Ermittlungen (Rn 13) hemmen die Frist (BAG NZA 07, 744 [BAG 01.02.2007 - 2 AZR 333/06]). Sie wird gewahrt durch Zugang der Kündigung gem § 130 vor Fristablauf. Bei Ausspruch der Kündigung durch Bevollmächtigte ist wegen § 174 Beifügung der Originalvollmacht dringend anzuraten, Nachreichen innerhalb der Frist von II 1 gelingt regelmäßig nicht. Auch Genehmigungen nach §§ 177, 180 müssen innerhalb der Frist erklärt werden (BAG AP Nr 24 zu § 626 – ›Ausschlussfrist‹; nach Schutzzweck von II zw).

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