Rn 6

Die im Prozess erklärte Aufrechnung ist materielles Rechtsgeschäft und prozessuale Geltendmachung eines Verteidigungsmittels zugleich (Doppeltatbestand, BGH NJW 57, 591 [BGH 20.12.1956 - II ZR 177/55]). Um prozessuale Wirkungen zu entfalten, muss sie daher prozessrechtlich wirksam sein und den maßgebenden Substantiierungserfordernissen genügen (LAG Düsseldorf 20.3.07, 12 Sa 306/07). Sie führt ggf zur Klageabweisung (BGH NJW 53, 1589 [BGH 09.07.1953 - IV ZR 12/53]). Umstritten ist die Zulässigkeit der Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen. Sie ist allerdings stets zulässig, wenn die Gegenforderung unstreitig oder bestands- oder rechtskräftig festgestellt ist. Ansonsten sollte sie insoweit als zulässig gelten, als Zivilgerichte (einschließlich der Familien- und fG-Gerichte) die Aufrechnung mit Forderungen berücksichtigen, die vor die ArbG gehören (und umgekehrt); ebenso liegt es im Verhältnis der Gerichte der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit untereinander (Drygalla NZA 92, 294; Vollkommer FS Kissel, 1183, 1201 ff; aA Nürnbg MDR 15, 1202 [OLG Nürnberg 15.07.2015 - 12 W 1374/15]; BAG NJW 02, 317 = NZA 2001, 1158 [BAG 23.08.2001 - 5 AZB 3/01] für den Fall einer ausschließlichen Zuständigkeit; vermittelnd BAG NZA 08, 843 [BAG 28.11.2007 - 5 AZB 44/07]: Vorbehaltsurteil und anschließende Verweisung; s ferner § 387 Rn 23). Im Zweifel ist die im Prozess erklärte Aufrechnung eine bloße Hilfsaufrechnung. Das Gericht darf sie erst berücksichtigen, wenn es die Klageforderung nicht nur für schlüssig, sondern auch für begründet hält (RGZ 167, 257, 258). Die Aufrechnung kann auch in einer Rechtsmittelschrift erklärt werden, soweit dies prozessual zulässig ist (BGH NJW 84, 357 [BGH 12.10.1983 - VIII ZR 19/82]). Allerdings enthält die Geltendmachung der Aufrechnung in einem vorbereitenden Schriftsatz in aller Regel lediglich eine Ankündigung, die Aufrechnung in der mündlichen Verhandlung materiell-rechtlich erklären und prozessual geltend machen zu wollen; anders liegt es im schriftlichen Verfahren (Brandbg 12.7.07, 5 U 132/06). Bei der Prozessaufrechnung ist trotz der materiell-rechtlichen Rückwirkung der Aufrechnung nicht der Eintritt der Aufrechnungslage, sondern der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung als das erledigende Ereignis anzusehen (BGHZ 155, 392). Unzulässig ist eine Aufrechnung, soweit sie die Kognitionsbefugnis der zur Entscheidung berufenen Stelle überschreitet. Der Rechtspfleger kann zB nicht im Kostenfestsetzungsverfahren über eine nach Bestand und Höhe streitige Gegenforderung entscheiden (BGH DB 95, 573).

 

Rn 7

Die Präklusionswirkung des rechtskräftigen Urteils eines Vorprozesses (oder einer Feststellung zur Insolvenztabelle, s BGHZ 201, 121) steht der prozessualen Geltendmachung der Aufrechnung dann entgegen, wenn die Aufrechnungslage schon zu dem für die Rechtskraft des Vorprozesses maßgebenden Zeitpunkt bestand. Das ist bei einem Feststellungsurteil, das den Schuldner zum Ersatz künftiger Schäden verpflichtet, nicht der Fall (BGHZ 103, 362). Im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs ist dementspr eine Aufrechnungserklärung des Schuldners dann eine beachtliche Einwendung, wenn die Gründe, auf denen sie beruht, erst nach dem Zeitpunkt entstanden sind, in dem sie im Verfahren spätestens hätten geltend gemacht werden müssen (BGH NJW-RR 97, 1289).

 

Rn 8

Wird die Prozessaufrechnung als unzulässig erachtet, etwa weil ein Aufrechnungsverbot eingreift, so liegt keine rechtskräftige Entscheidung über die Aufrechnungsforderung vor und diese kann erneut selbstständig geltend gemacht werden (BGH NJW 01, 3616). Das gilt auch, wenn das Gericht die Aufrechnung zu Unrecht für unzulässig hält (BGH NJW 97, 743 [BGH 05.12.1996 - IX ZR 67/96]). Ist die Aufrechnung prozessual nicht zulässig, so bleibt die Aufrechnungserklärung wirkungslos, sei es, dass man eine durch die prozessuale Zulassung aufschiebend bedingte Aufrechnung annimmt, sei es, dass sich – was näher liegt – die prozessuale Unwirksamkeit der Erklärung nach § 139 auf das materiell-rechtliche Geschäft erstreckt (BGH NJW 94, 2769, 2770 [BGH 30.03.1994 - VIII ZR 132/92]). Der Schuldner kann die (hilfsweise) Prozessaufrechnung auch zurücknehmen mit der Folge, dass die materiellrechtliche Aufrechnungserklärung entfällt (BGH NJW-RR 91, 156, 157 [BGH 11.10.1990 - I ZR 32/89]; Schlesw MDR 09, 889; Zweibr NJW-RR 04, 651 [OLG Zweibrücken 14.11.2003 - 2 UF 95/03]; aA Kobl WuM 07, 545). Die Forderung ist also nicht verbraucht und kann erneut zur Aufrechnung genutzt werden.

 

Rn 9

Infolge einer zulässigen Prozessaufrechnung kann es zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Aufrechnungsforderung kommen. Maßgebend sind prozessuale Grundsätze, namentlich gilt § 322 II ZPO. Entscheidend ist, ob das Urt die Aufrechnungsforderung inzident aberkennt oder zuerkennt – im Überblick: Eine rechtskräftige Entscheidung über die Aufrechnungsforderung ergeht, wenn das Gericht die Klageforderung für begründet, aber die Auf...

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