Gesetzestext

 

(1) Das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für

a) seine Auslegung,
b) die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen,
c) die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung dieser Verpflichtungen, in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse, einschließlich der Schadensbemessung, soweit diese nach Rechtsnormen erfolgt,
d) die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben,
e) die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags.

(2) In Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Falle mangelhafter Erfüllung zu treffenden Maßnahmen ist das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksichtigen.

A. Funktion, Voraussetzungen für die Anwendung von Art 12.

 

Rn 1

Art 12 bestimmt den Anwendungsbereich des Vertragsstatuts. Die Regelungen entsprechen Art 10 EVÜ bzw ex Art 32 EGBGB.

 

Rn 2

Die Anwendung von Art 12 setzt ihrerseits voraus, dass (1) der sachliche, räumliche und zeitliche Anwendungsbereich des Art 12 eröffnet ist (s Art 1) und (2) die Sachnormverweisungen (s Art 20 zum Ausschluss des Renvoi) von ROM I (insb Art 3–8, 10–11) zum Vertragsstatut geführt haben.

 

Rn 3

Ist materielles Einheitsrecht (zB CISG, CMR, COTIF) nicht kraft eigenen Geltungswillens (s Art 1 Rn 8–10), sondern (zB über Art 1 I lit b CISG) als Teil des von ROM I berufenen Vertragsstatuts anwendbar, verdrängt dies die Anwendung von Art 12, soweit es die in Art 12 angesprochenen Themenkomplexe selbst regelt. Bsp: Das CISG bestimmt selbst, welche Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung kaufvertragsrechtlicher Pflichten es regelt (zB den Zinsanspruch dem Grunde nach, Art 78 CISG). Soweit das CISG diese Folgen nicht selbst regelt, gilt das mit Hilfe von ROM I bestimmte Recht in den Grenzen von Art 12 (Bsp: Bestimmung der Zinshöhe, s Staud/Magnus Art 78 CISG Rz 12 f).

 

Rn 4

Soweit ROM I mit Art 17 für die Anknüpfung der Aufrechnung eine spezielle Kollisionsnorm bereithält, wird Art 12 I lit c verdrängt: Insoweit gilt das von Art 17 berufene Aufrechnungsstatut und nicht das allgemeine Vertragsstatut über den Umweg von Art 12.

B. Reichweite des Vertragsstatuts (Abs 1 und Abs 2).

 

Rn 5

Art 12 I nennt – wie schon Art 10 EVÜ und ex Art 32 I EGBGB – Regelbeispiele (s Rauscher/Freitag Art 12 Rz 6; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 3) für die Reichweite des von ROM I berufenen Rechts, deren Anwendungsbereich nicht immer scharf zu trennen ist. Soweit die Parteien keine vorrangigen anderen Festlegungen (Vertragsfreiheit) getroffen haben – zB Ausschluss des CISG nach Art 6 CISG; Versteinerungsklausel zur Festschreibung der bei Vertragsabschluss geltenden Fassung des Vertragsstatuts (s zB Reithmann/Martiny/Martiny Rz 2.67; BRHP/Spickhoff Art 27 Rz 27) –, berufen Art 3 ff das Vertragsstatut in seiner jeweiligen Gestalt (so treffend Grüneberg/Thorn Art 12 Rz 3: Das Vertragsstatut entscheidet über intertemporale Fragen (s zB Einleitung BGB Rn 9, Rn 22 zur Änderung des deutschen Schuldrechts). Leitbild ist damit auch nach der ROM I die Einheit des Vertragsstatuts, auch wenn es in der Praxis durch die Teilrechtswahl nach Art 3 I 3 (dépeçage), die Teilfrageanknüpfungen der Geschäftsfähigkeit (Art 7 EGBGB) bzw Rechtsfähigkeit und Vertretung von Gesellschaften (s IntGesR Rn 10) sowie der Form (Art 11 EGBGB) und die Sonderanknüpfung einzelner Rechtsfragen wie der Aufrechnung (Art 17) oder zwingender Vorschriften (Art 9) zu einer Vielfalt anwendbarer Rechtsordnungen oder Vertragsspaltung kommen kann. Häufiger führt eine Sonderanknüpfung zwingender Vorschriften (Vor ROM I Rn 10) zu Abweichungen vom Einheitsstatut.

 

Rn 6

Die Regelbsp entsprechen den aus der Anwendung von ex Art 32 I EGBGB und Art 10 EVÜ bekannten Bsp: Die erforderliche autonome Auslegung der Begriffe (vgl Vor ROM I Rn 12 ff) erforderte idR kein Umdenken, da bereits ex Art 32 I EGBGB nach ex Art 36 EGBGB einheitlich und rechtsvergleichend auszulegen war (s ex Art 36 EGBGB 7. Aufl Rz 6). Damit sind die Auslegungsmethoden ähnl. Es kann deshalb auch auf Rechtsprechung und Literatur zu ex Art 32 I EGBGB und Art 10 EVÜ zurückgegriffen werden.

 

Rn 7

Ergänzend können im Einzelfall dem DCFR Kriterien für die Interpretation der in Art 12 I verwendeten Begriffe entnommen werden, da der DCFR auf rechtsvergleichender Basis unter Betrachtung der Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten (s Vor ROM I Rn 14) entstanden ist. Einschlägig sind zB: Sec II.-8:101–107 für die Auslegung, Sec III.-2:101–114 für die Vertragserfüllung, Sec III.-3:101–713 für die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung, sowie Sec III.-7:101–601 für die Verjährung und Sec II.-7:101–304 für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags.

I. Auslegung (Abs 1 lit a).

 

Rn 8

Das Vertragsstatut ist maßgebend für die Auslegung (vgl BGH NJW-RR 90, 248, 249 [BGH 24.11.1989 - V ZR 240/88] I 3; München NJWE-WettbR 96, 180, 181; Staud/Magnus Art 12 Rz 24). Das umfasst (1) die Auslegungsmethoden: bei dt Statut zB die Frage, ob und inwieweit europäische Vorgaben und ...

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