Gesetzestext

 

Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.

A. Grundsatz der Sachnormverweisung.

 

Rn 1

Art 20 schreibt für den Anwendungsbereich von ROM I (s Art 1) den Grundsatz der Sachnormverweisung fest: Mit Ausnahme des IPR gelten alle Rechtsnormen des Staates, dessen Recht durch die Anwendung von ROM I berufen ist (Schack IPRax 13, 315, 318). Dies entspricht der Regelung in Art 15 EVÜ und ex Art 35 I EGBGB.

Anders als in anderen Bereichen des IPR (s Art 4 EGBGB) findet nach Anwendung von unionsrechtlichem IPR in ROM I keine weitere Prüfung des IPR des berufenen Rechts statt. Eine Rück- oder Weiterverweisung der berufenen Rechtsordnung ist unbeachtlich (BGH VersR 11, 1405, 1407; vgl auch MüKoIPR/Martiny Art 20 Rz 1), auch wenn er durch andere – nicht schuldvertragsrechtliche – Qualifikation durch das berufene Recht erfolgt (vgl Cass civ 1ère 11.3.97, JDI 97, 789, 790 mA Santa-Croce; MüKoIPR/Martiny Art 14 Rz 48; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 123). Damit kann der Inhalt einer Rechtswahl nach Art 3 sehr weit reichen und nach dem Parteiwillen auch für einen Vertrag relevante Rechtsnormen erfassen, deren Anwendbarkeit sich auch objektiv aus dem Anwendungswillen des gewählten Rechtes ergibt. Entsprechendes gilt für die objektive Anknüpfung nach Art 4 (dazu Wegen in FS Bechtold [06], 623 ff; str).

B. Grenzen.

 

Rn 2

Zu den Grenzen der Wirkung der Sachnormverweisung s zunächst Art 1, 5–9, 21, 23–25, 28 sowie Vor ROM I Rn 16–20. Art 20 beruft die geltenden Rechtsnormen im berufenen Sachrecht. Die Auswahl des anwendbaren Rechts mit Hilfe von ROM I ist danach nur der erste Schritt auf dem Weg zur Bestimmung des anwendbaren Sachrechts (Art 20 schließt nur das Internationale Privatrecht des berufenen Rechts aus). In einem zweiten Schritt ist nach dem von ROM I berufenem Recht zu prüfen, welches Sachrecht gilt. Dies erfordert neben der Prüfung des intertemporalen Rechts die Prüfung, ob einheitliches Sachrecht das autonome Recht des Staates, dessen Recht berufen ist, verdrängt. Beispiel: Führt ROM I (zB in einem Fall zwischen einem Vertragsstaat und einem Nichtvertragsstaat des CISG wie dem Vereinigten Königreich) zur Anwendung des Kaufrechts eines Vertragsstaates des CISG (zB Deutschland, Frankreich, Italien, China, Japan, Russland, USA, s www.unilex.info) – und ist das CISG daher nicht bereits über Art 1 I lit a CISG anwendbar (s Art 1 Rn 10) –, verdrängt das einheitliche Kaufrecht im CISG über Art 1 I lit b CISG das autonome nationale Kaufrecht (soweit das CISG selbst einschlägige Regelungen enthält). Das berufene Recht kann auch selbst den Vorrang von materiellem Einheitsrecht in Staatsverträgen gebieten (so zB Art 55 der frz. Verfassung: Vorrang von Staatsverträgen ggü autonomem Recht). – Interlokales Recht ist hingegen nach dem berufenen Recht idR nicht zu prüfen: Diese Fragen regelt ROM I in Art 22 selbst (s Art 22).

C. Gestaltungsfreiheit.

 

Rn 3

Art 20 enthält kein Verbot zur Gestaltung der Rechtswahl. Deswegen muss es (wie schon nach Art 15 EVÜ u ex Art 35 I EGBGB, s ex Art 35 EGBGB Rn 4, www.pww-oe.de) gestattet sein, eine indirekte Rechtswahl (Gesamtverweisung) auszusprechen. Für die Schiedsgerichtsbarkeit folgt dies aus Art 1 II lit e – wenn man die Rechtswahl als Teil der Schiedsvereinbarung begreift – (so auch MüKoIPR/Martiny Art 20 Rz 6, Vor Art 1 Rz 101; Wegen in FS Kühne (09), 933, 942; s oben Art 1 Rn 21), s.a. § 1051 I 2 ZPO und die zugrunde liegende Regelung in Art 28 III UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration und Mallmann NJW 08, 2953, 2957. So führt der Verweis auf die Regeln einer Schiedsgerichtsinstitution zur Anwendung von deren Regeln zur Bestimmung des auf die Hauptsache anwendbaren Rechts (Brödermann Uniform Law Review 11, 589 ff). Str ist die Zulassung der Gesamtverweisung für vor ordentlichen Gerichten zu entscheidende Fälle (Bsp: ›Es gilt das nach Schweizer IPR zu bestimmende Recht‹). Der Grundsatz der Sachnormverweisung gilt ›soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist‹. Dies ist u.E. der Fall: Art 3 I 2 lässt ohne Einschränkung die Rechtswahl (auch die indirekte) zu, sofern die dort genannte Bedingung (Ausdrücklichkeit oder Eindeutigkeit der Bestimmungen des Vertrages oder der Umstände des Falles) gewahrt ist. Durch die Wahl des IPR eines Staates wird eine hinreichende Eindeutigkeit erreicht (aA nun wohl MüKoIPR/Martiny Art 20 Rz 6). Gegen die Zulässigkeit der Kollisionsrechtswahl zB Rauscher/Thorn Rz 2 mwN. Die Frage wird letztlich der EuGH zu entscheiden haben.

 

Rn 4

Ebenso ist es in den Grenzen des gewählten Rechts zulässig, eine Versteinerungsklausel vorzusehen: Es gilt dann das gewählte Recht in der zum bestimmten Zeitpunkt (zB Vertragsschluss) geltenden Fassung (s zB Reithmann/Martiny/Martiny Rz 2.54; BRHP/Spickhoff Art 3 Rz 10), jedenfalls soweit dies nicht in Widerspruch zu späterem zwingenden Recht steht. S Art 3 Rn 2.

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