Gesetzestext

 

Ist das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart, so gilt für die Aufrechnung das Recht, dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.

A. Ermittlung des Aufrechnungsstatuts.

I. Vertragsfreiheit (1. Hs).

 

Rn 1

Art 17 schreibt im 1. Hs den Grundsatz der Vertragsfreiheit für die Aufrechnung (zum Aufrechnungsbegriff s Lieder RabelsZ [14], 809, 820 ff) fest: Die Parteien können das Recht wählen, nach dem aufgerechnet werden kann (Aufrechnungsstatut). Daraus dürfte im Erst-Recht-Schluss folgen, dass die Parteien materiell die Aufrechnungsmöglichkeit ausschließen können, etwa durch Vereinbarung einer echten Fremdwährungsschuld für die Hauptforderung (vgl § 244 I BGB).

II. Sonst: Statut der Hauptforderung (2. Hs).

 

Rn 2

Wurde keine (Teil-)Rechtswahl für die Aufrechnung getroffen, gilt für die Aufrechnung nach Art 17 2. Hs das Vertragsstatut der Hauptforderung (Passivforderung), die durch die Aufrechnung mit der Gegenforderung (Aufrechnungsforderung) erfüllt werden soll (BGH NJW 14, 3156, 3157 [BGH 14.05.2014 - VIII ZR 266/13]; Lieder RabelsZ [14], 809, 825 f).

 

Rn 3

Ist staatsvertragliches Einheitsrecht, das die Aufrechnung nicht regelt, kraft eigenen Rechtsanwendungswillens anwendbar (so zB das CISG nach seinem Art 1 I lit a), ist mit Hilfe von ROM I, zB Art 3 u 4, das ergänzend geltende Vertragsstatut der Passivforderung zu ermitteln: Es ist nach Art 17 das Aufrechnungsstatut (BGH NJW 14, 3156, 3157 f [BGH 14.05.2014 - VIII ZR 266/13]). Anderes gilt, wenn die aufzurechnenden Forderungen aus demselben Vertrag stammen, der dem CISG unterliegt. Dann gelten nach Art 7 II CISG konventionsautonome Grundsätzen der Verrechnung (BGH NJW 15, 867, 871–872 [BGH 24.09.2014 - VIII ZR 394/12]; kritisch Huber IPRax 17, 268, 272).

B. Reichweite des Aufrechnungsstatuts.

 

Rn 4

Die Reichweite des nach Art 17 bestimmten Aufrechnungsstatuts ist aufgrund autonomer Auslegung der ROM I zu ermitteln (s Vor ROM I Rn 12 ff). Der größtmögliche Nutzen (›effet utile‹) von Art 17 als Beitrag zur Errichtung des gemeinsamen Marktes (s Art 3 EUV) und der größtmögliche Schutz der Partei, der nach Art 17 eine Aufrechnungsmöglichkeit eingeräumt wird, wird durch eine weite Reichweite des nach Art 17 bestimmten Aufrechnungsstatuts erzielt (iE ebenso Ferrari/Leible/Hellner Rome I Regulation, 251, 259 f). Zum ›gebotenen autonomen Verständnis‹ der Aufrechnung s MüKoIPR/Spellenberg Art 17 Rz 7.

 

Rn 5

Das Aufrechnungsstatut gilt danach – im Ergebnis wie auch schon nach altem Recht (s ex Art 32 EGBGB 7. Aufl Rz 4) – für: (1) Aufrechnungsverbote (MüKoIPR/Spellenberg Art 17 Rz 18; Staud/Magnus Art 32 EGBGB Rz 61), (2) Aufrechnungsvoraussetzungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zT sehr unterschiedlich sind (s zB Jud IPRax 05, 104 f: In Österreich, Griechenland und den Niederlanden gelten zT mit kleinen Unterschieden §§ 387 ff BGB entsprechende Regelungen für eine ex tunc wirkende Aufrechnungserklärung; in England gibt es u.a. die ex nunc wirkende Prozessaufrechnung. In Frankreich und Italien (vgl BGH NJW 14, 3156, 3157 f [BGH 14.05.2014 - VIII ZR 266/13]) kommt es kraft Gesetzes zur Aufrechnung (s Art 1290 frz Code civil – Fassung 2017 –; MüKoIPR/Spellenberg Art 17 Rz 4), sowie (3) den Vollzug der Aufrechnung (ex lege wie in Frankreich oder Italien, durch Erklärung wie in Deutschland oder durch Richterspruch wie in England, s MüKoIPR/Spellenberg Art 17 Rz 4 ff). Diese materiell-rechtlichen und prozessualen Unterschiede, auch zur Zulässigkeit der Aufrechnung von Fremdwährungsschulden, sollten bei der Rechtswahl zumindest bedacht werden, s zu Fremdwährungsschulden zB Art 8.2 UNIDROIT Principles 2016.

 

Rn 6

Ist deutsches Recht Aufrechnungsstatut und sind verschiedene Währungen betroffen, ist weiterhin von einer Gleichartigkeit iSv § 387 BGB jedenfalls bei Ersetzungsbefugnis nach § 244 BGB auszugehen (str: implizit BGH IPRax 94, 366 (zu dem Kurs bei Zugang der Aufrechnungserklärung); Hambg VersR 79, 833, 834; Reithmann/Martiny/Martiny Rz 3.244; und wohl auch zu Recht Gleichartigkeit bei freier Konvertibilität: Kobl RIW 92, 59, 61; gegen Gleichartigkeit: KG NJW 88, 2181 [KG Berlin 29.06.1988 - 24 U 6446/87]; NK-BGB, Bd. 6, Hüßtege/Mansel/Doehner Art 17 Rz 9).

C. Vorfrage: Aufrechnungsforderung.

 

Rn 7

Die Bestimmung in Art 17 setzt eine aufzurechnende Forderung (Aufrechnungsforderung) voraus. Der Bestand und die Aufrechenbarkeit der für eine Aufrechnung in Betracht kommenden Forderung ist als Vorfrage vorab zu klären. Über das auf diese Frage anwendbare Recht trifft Art 17 keine Aussage. Insoweit muss das Statut der aufzurechnenden Forderung entscheiden (unselbständige Anknüpfung der Vorfrage, Grüneberg/Thorn Art 17 Rz 2; Brödermann/Rosengarten/Brödermann 8. Aufl Rz 128 ff).

 

Rn 8

Das Statut der aufzurechnenden Forderung beurteilt danach auch, ob eine Forderung klagbar ist. Ist dies nicht der Fall, scheidet die Aufrechnung aus. Beispiele: (1) Verstoß der aufzurechnenden Forderung gegen einen Staatsvertrag, s die devisenrechtliche Regelung Art VIII Abschn 2 (b) 1 des Bretton Woods-Üb; (2) pactum de non petendo, der aufgrund des in diesem Bereich geltenden Grundsatzes der Vertragsfreiheit für die Wahl des Aufrechnungsstatuts erst recht (a fo...

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