Erbschaftsausschlagung nach EU-Recht

Die Ausschlagung einer nach deutschem Recht angefallenen Erbschaft durch einen in einem anderen EU-Staat ansässigen Erben ist wirksam, wenn der Ausschlagende die in seinem EU-Land geltenden Formerfordernisse und Fristen beachtet.

Dies hat der EuGH in einem erbrechtlichen Präzedenzfall entschieden, in dem ein in den Niederlanden lebender Erbe eines zuvor in Deutschland lebenden Erblassers die Erbschaft vor einem niederländischen Gericht lange Zeit nach der in Deutschland geltenden Ausschlagungsfrist nach niederländischem Recht rechtsgültig ausgeschlagen hat.

Neffen in den Niederlanden vom Nachlassgericht informiert

Ein niederländischer Staatsangehöriger hatte vor seinem Tod im Mai 2018 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Hansestadt Bremen. Die ebenfalls in Deutschland lebende Ehefrau des Erblassers hatte Anfang 2019 beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein beantragt, der neben der Ehefrau als Erben zu 3/4 zwei in den Niederlanden lebende Neffen des Erblassers, zu jeweils 1/8 als Erben ausweisen sollte. Die Neffen wurden im Juni 2019 vom Nachlassgericht über das Erbscheinverfahren informiert.

Ausschlagung der Erbschaft vor dem Bezirksgericht in Den Haag

Im September 2019 erklärten die Neffen des Erblassers gegenüber dem Bezirksgericht in Den Haag die Ausschlagung der Erbschaft. Diese Ausschlagung wurde am 30. September 2019 im niederländischen Nachlassregister eingetragen.

Deutsche Ausschlagungsfrist deutlich überschritten

Mit einem in niederländischer Sprache abgefassten Schreiben unter Beifügung der - nicht ins Deutsche übersetzten - Urkunden des Bezirksgerichtes in Den Haag informierten die Neffen im Dezember 2019 das Nachlassgericht in Bremen vor Ausstellung des Erbscheins über die Ausschlagung der Erbschaft. Das Nachlassgericht Bremen bemängelte u.a. die nach deutschem Recht deutlich überschrittene Ausschlagungsfrist. Diese beträgt gemäß § 1944 Abs. 1 BGB grundsätzlich 6 Wochen nach Kenntnis vom Erbfall und gemäß § 1944 Abs. 3 BGB 6 Monate, wenn sich der Erbe bei Beginn der Frist im Ausland aufhält. Auch die Sechsmonatsfrist war nach Auffassung des Nachlassgerichts deutlich überschritten, da die Neffen bereits seit Mai 2018 Kenntnis vom Tod des Erblassers hatten. Die Erbschaft gelte daher als durch die Neffen angenommen.

Vorlage an EuGH

Das nach Anfechtung des entsprechenden Beschlusses des Nachlassgerichts durch die niederländischen Neffen schließlich mit der Sache befasste OLG bat den EuGH zur Frage der Wirksamkeit der Ausschlagung u.a. um Auslegung der Art. 13 und 28 der EU-Verordnung Nr. 650/212 über „die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung des europäischen Nachlasszeugnisses“.

Alternative Zuständigkeit des EU-Wohnortgerichts des Erben

Der EuGH stellte zunächst klar, dass Art. 13 der EU-Verordnung 650/2012 sämtliche länderübergreifenden Gerichtsstände in Erbsachen innerhalb der EU regelt. Danach seien die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht eine Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder eine Erklärung zur Haftungsbegrenzung für Nachlassverbindlichkeiten abzugeben hat, neben dem eigentlichen Nachlassgericht für die Entgegennahme solcher Erklärungen zuständig. Nach dieser Vorschrift hätten Erben somit die Möglichkeit, ihre Erklärung über Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft vor dem Gericht ihres Mitgliedstaats abzugeben, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Formerfordernisse des Wohnortstaates des Erben maßgeblich

Diese Zuständigkeitsregel wird nach Auslegung des EuGH durch die Kollisionsnorm des Art. 28 der EU-Verordnung 650/2012 ergänzt. Nach dieser Vorschrift sei die Formgültigkeit solcher Erklärungen gegeben, wenn die Erklärung entweder

  • den Erfordernissen des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts (in diesem Fall also des deutschen Rechts) oder
  • den Erfordernissen des Rechtes des Staates entspreche, in dem der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Erklärungen vor dem Wohnortgericht in der gesamten EU wirksam

Im Ergebnis schlussfolgert der EuGH aus Art. 13, 28 der EU-Verordnung 650/2012, dass unter der Voraussetzung, dass der Mitgliedstaat, in dem der Erbe seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Möglichkeit der Abgabe einer Erklärung zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft vor Gericht grundsätzlich vorsieht, sämtliche Handlungen und Erklärungen, die der Erbe vor diesem Gericht vornimmt, in der gesamten EU wirksam sind, soweit die dafür geltenden Fristen und Formvorschriften eingehalten werden.

EU-Recht soll effektive Rechtsdurchsetzung für die Erben gewährleisten

Dieses Ergebnis entspricht nach Auffassung des EuGH auch den Erwägungsgründen der EU-Verordnung 650/2012, wonach unter anderem sichergestellt werden soll, dass Personen an der Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall nicht durch unterschiedliche Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten gehindert werden. Die Verordnung diene damit der effektiven Durchsetzung der Rechte der Erben und auch der Nachlassgläubiger.

Erben zur Mitteilung an Nachlassgericht verpflichtet

Die Richter des EuGH befassten sich in ihrer Entscheidung dann noch mit dem Problem, dass die EU-Erbrechtsverordnung 650/2012 keinen Mechanismus vorsieht, nach dem vor dem Gericht eines Mitgliedstaats abgegebene Erklärungen der Erben an das zuständige Nachlassgericht übermittelt werden. Deshalb obliegt es nach Auslegung des EuGH den betroffenen Erben, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um das für den Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht über solche Erklärungen in Kenntnis zu setzen. Dieser Verpflichtung haben die in den Niederlanden lebende Neffen nach Auffassung des EuGH dadurch erfüllt, dass sie das Nachlassgericht in Bremen vor Erteilung des Erbscheins über ihre Ausschlagungserklärung in den Niederlanden informiert hatten.

(EuGH, Urteil v. 2.6.2022, C-617/20)

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