Gesetzestext

 

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) 1Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. 2An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

A. Herkunft.

 

Rn 1

§ 313 kodifiziert die in der Lit aus § 242 entwickelte und seit 1922 (RGZ 103, 328, 332) von der Rspr übernommene Lehre (rechtsvergleichend Kramer SJZ 14, 273; ders JBl 15, 273). Eine sachliche Neuerung war durch § 313 nicht beabsichtigt (mit bloß einer wirklichen Ausnahme, vgl u. Rn 20 sowie Heinrichs FS Heldrich [05], 183, 187 ff). Nach wie vor gilt letztlich die Formulierung von H. Köhler Festgabe 50 Jahre BGH I 00, 295, 296: ›Die Stärke der Lehre von der Geschäftsgrundlage liegt in ihrer Schwäche, nämlich in ihrer Unbestimmtheit sowohl hinsichtlich des Tatbestandes als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen.‹ Daher ist die diese Schwäche etwas konkretisierende alte Rspr idR noch verwendbar.

B. Funktion.

 

Rn 2

Die Berücksichtigung von Grundlagenstörungen wird häufig als Aufweichung der Vertragstreue (also der Regel pacta sunt servanda) verstanden (etwa BGH NJW 76, 565, 566 [BGH 13.11.1975 - III ZR 106/72]; 77, 2262, 2263 [BGH 25.05.1977 - VIII ZR 196/75]). Doch ist das weithin zweifelhaft (Medicus FS Flume I, 78, 629 ff): Wenn die Parteien einen Umstand nicht oder nicht richtig bedacht haben, kann die Auslegung ergeben, dass dieser Umstand nur vom Wortlaut und nicht auch vom Willen erfasst wird. Dann durchbrechen die Regeln über die Geschäftsgrundlage den Vertrag nicht wirklich, sondern beschränken ihn nur sinngerecht. Monographisch dazu Schollmeyer Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage 14.

C. Anwendungsbereich.

I. Beschränkung auf Verträge.

 

Rn 3

Nach Stellung, Wortlaut und Sinn gilt § 313 nur für Verträge (die Bezeichnung als ›Geschäfts-‹grundlage ist insoweit ungenau). Doch muss es sich dabei nicht notwendig um Schuldverträge handeln. Für öffentlich-rechtliche Verträge gilt § 60 VwVfG. Unanwendbar ist § 313 dagegen auf einseitige Rechtsgeschäfte, etwa eine Anfechtung oder Kündigung, auch eine Verfügung von Todes wegen (BGHZ 37, 233, 241; NJW 93, 850). Hier hilft nur die ergänzende Auslegung (BGH aaO). Der Vertrag kann auch unentgeltlich sein (freilich passt dann die Fallgruppe der Äquivalenzstörung nicht, vgl u. Rn 30). Auch für nach dem Recht der DDR geschlossene Verträge passt § 313 (BGHZ 120, 10, 22; 128, 320, 321 f).

II. Ausschluss durch Spezialvorschriften.

 

Rn 4

Etwa die §§ 321, 437, 519, 527 f, 530, 574c I, 593, 650, 775, 779, 1301, 2077, 2079 sowie die 36 UrhG; 29 UStG schließen § 313 aus. Diese Vorschriften enthalten eine ausdrückliche Risikoverteilung, die durch die Anwendung des § 313 nicht modifiziert werden darf (s für das Gewährleistungsrecht BGH NZM 08, 462; Kuhn AcP 221, 845; für das Mietrecht BGHZ 208, 18 Rz 24 zu § 558 III unter Aufgabe von NJW 07, 2626 Rz 19). Diese Grundsätze gelten auch für die COVID-19-Pandemie (zum Verhältnis zum Mietmangel Anzinger/Strahl ZIP 20, 1833; Kumkar/Voß ZIP 20, 893; zum Verhältnis zur Kündigung im Pauschalreiserecht Tonner MDR 20, 519, 521). Doch reicht dieser Ausschluss nur so weit wie die Spezialregelung selbst (etwa BGHZ 150, 102, 105 ff zu § 23 SchuldrAnpG betr ein Datschengrundstück; BGH NJW 00, 2497, 2498 zu § 779 und BGH VersR 12, 72 zu § 437). Zum Verhältnis zwischen § 313 und § 314 bei Dauerschuldverhältnissen vgl § 314 Rn 18, zum Verhältnis zu § 275 II u. Rn 6.

III. Ausschluss durch Vereinbarung.

 

Rn 5

§ 313 ist weithin nicht direkt abdingbar, weil der zugrunde liegende § 242 als zwingend angesehen wird (§ 242 Rn 12). Doch kann vertraglich geregelt werden, dass eine Partei das Risiko bestimmter Veränderungen tragen soll; das ergibt schon der Hinweis auf die vertragliche Risikoverteilung in I (dazu u. Rn 17). Auch können die Parteien iRv § 138 Zumutbarkeitsgrenzen bestimmen (zB die Unerheblichkeit von Kostensteigerungen bis zu einem gewissen Betrag).

IV. Verhältnis zu § 275 II.

 

Rn 6

Die Abgrenzung zu § 275 II wird vielfach als problematisch angesehen. Folgende Grundsätze lassen sich dafür aufstellen (näher Stürner JURA 10, 721): Ausgangspunkt ist die vertragliche Risikostruktur. Störungen, die dem Bereich der Geschäftsgrundlage zuzuordnen sind, werden ausschließlich von § 313 erfasst; dagegen unterfallen Leistungsstörungen, die dem vertraglichen Risikobereich zugehören, nur § 275 II und III (so im Grundsatz auch BGHZ 74, 370, 373; s.a. BGH WM 17, 1937 Rz 8). Tatbestandliche Überschneidungen beider Normen kommen daher bei sachgerechter A...

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