I. Abgrenzungskriterien.

 

Rn 6

Maßgebend für die Erforderlichkeit einer Einwilligung zu einer Willenserklärung sind die Wirkungen der Willenserklärung für den Minderjährigen. Grundsatz ist die Einwilligungsbedürftigkeit. Keine Einwilligung ist mangels Schutzbedürfnis des Minderjährigen dann erforderlich, wenn die Willenserklärung ihm lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt. Abzustellen ist allein auf die rechtlichen, nicht auf die wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts (stRspr und hL BGH MDR 71, 380; BGHZ 161, 170; Schmitt NJW 05, 1091; aA nur Stürner AcP 171, 402; Köhler JZ 83, 225). Entscheidend ist, ob der Minderjährige durch den Abschluss des Rechtsgeschäfts eine persönliche Verpflichtung eingeht oder seine Rechte sonst vermindert werden. Ist dies der Fall, bedarf die Willenserklärung des Minderjährigen stets der Einwilligung, selbst dann, wenn es sich um ein wirtschaftlich äußerst günstiges Geschäft handelt. Treffen den Minderjährigen als Haupt- oder Nebenfolge eines Geschäfts irgendwelche rechtlichen Verpflichtungen, ist das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Auf den Umfang der Pflichten kommt es nicht an. Rechtlich nachteilig und damit einwilligungsbedürftig sind damit alle gegenseitig verpflichtenden Verträge. IdR rechtlich nachteilig sind auch die unvollkommen zweiseitigen Verträge wie die Leihe (§ 598), der Auftrag (§ 662), das unverzinsliche Darlehen (§ 488) und die unentgeltliche Verwahrung (§ 690), da den Minderjährigen Erhaltungs-, Rückgabe- bzw Rückgewährpflichten treffen oder er Aufwendungsersatzansprüchen ausgesetzt sein kann. Rechtlich vorteilhaft ist nur die Schenkung als einseitig verpflichtender Vertrag, der auf eine unentgeltliche Zuwendung gerichtet ist (s Rn 10, Rn 11). Hingegen kann aufgrund des bestehenden Rückforderungsanspruchs des Treugebers eine Vermögensverlagerung bei der uneigennützigen Treuhand nicht als unentgeltlich betrachtet werden (BGH NJW-RR 17, 496 [BGH 08.12.2016 - IX ZR 257/15]). Sie stellt daher kein lediglich rechtlich vorteilhaftes Rechtsgeschäft dar (BGH NJW 17, 3516 [BGH 07.09.2017 - IX ZR 224/16]). Bei einseitigen Rechtsgeschäften ist entscheidend, ob der Minderjährige eine Rechtsposition einbüßt, wie bei der Ausschlagung einer Erbschaft oder nur einen Vorteil erlangt, wie bei der Kündigung eines zinslosen Darlehens durch den Minderjährigen als Darlehensgeber oder einer Mahnung (Köln NJW 98, 320 [OLG Köln 23.09.1997 - 14 UF 105/97]; Emmerich JuS 95, 124). Maßgebend sind nur die unmittelbaren Wirkungen des Rechtsgeschäfts, gleichgültig, ob diese auf Grund des Parteiwillens oder kraft Gesetzes eintreten (BGHZ 53, 173, 178). Unerheblich ist, ob der Minderjährige durch das Geschäft später möglichen Ansprüchen aus §§ 812 ff, 823 ff ausgesetzt werden könnte. Auch mögliche Rückgewähransprüche des Schenkers nach §§ 528, 530 bleiben als mittelbare Nachteile außer Betracht (BayObLG NJW 98, 3574 [BayObLG 29.05.1998 - 2 ZBR 85/98]; MüKo/Spickhoff Rz 71). Auf den Zeitpunkt des Eintritts des Nachteils kommt es aus Gründen des Minderjährigenschutzes nicht an. Anfänglich kostenfreie Verträge, die erst nach Eintritt der Volljährigkeit Kosten verursachen, sind daher richtigerweise als rechtlich nachteilig einzustufen (hierzu Latzel/Zöllner NJW 19, 1031; umf zum späteren Eintritt bzw Wegfall rechtlicher Nachteile Rodi 123 ff).

 

Rn 7

Unterschiedlich beurteilt wird die rechtliche Vorteilhaftigkeit eines von einem Minderjährigen abgeschlossenen Behandlungsvertrages. Für den Fall eines gesetzlich versicherten Patienten wird überwiegend davon ausgegangen, dass es sich um einen einseitig verpflichtenden Vertrag handelt, da sich der Vergütungsanspruch nicht gegen den Kassenpatienten richtet (Lauf/Birk NJW 18, 2232 mwN). Der privatversicherte Minderjährige kann hingegen keinen wirksamen Behandlungsvertrag schließen (Staud/Klumpp Rz 28). Ist eine ärztliche Leistung, wie die COVID-19-Schutzimpfung, ohne Rücksicht auf Alter oder Versicherungsstatus kostenfrei, lässt sich mit einer Kostenlast keine für § 107 relevante Nachteilhaftigkeit begründen (Amend-Traut/Schlereth GuP 22, 128). Davon zu trennen ist aber die Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich des medizinischen Eingriffs (s § 104 Rn 1).

 

Rn 8

Ist das Rechtsgeschäft für den Minderjährigen rechtlich vorteilhaft, gilt für Insichgeschäfte der Eltern das Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 nicht (krit Heuser JR 13, 125), ebenso wenig der für Betreute angeordnete Einwilligungsvorbehalt des § 1825 III. Auch die Vertretungsbeschränkungen für Eltern (§ 1629 Rn 10 ff) und Vormund (§ 1795) gelten nicht.

II. Rechtlich neutrale Geschäfte.

 

Rn 9

Nicht einwilligungsbedürftig sind über den Wortlaut des § 107 hinaus auch solche Rechtsgeschäfte, die für den Minderjährigen weder rechtliche Vorteile noch Nachteile bringen. Der Minderjährige ist nicht schutzwürdig, wenn die Wirkungen des Geschäfts nicht ihn selbst, sondern einen Dritten treffen (hM MüKo/Spickhoff Rz 54 f; von Olshausen AcP 189, 231; aA BayObLG MDR 79, 669 [BayObLG 15.02.1979 - BReg. 2 Z 29/78]). Typischer Fall ist das Handeln des Mind...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge