Gesetzestext

 

Die Verletzung einer das Verfahren des ersten Rechtszuges betreffenden Vorschrift kann in der Berufungsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei das Rügerecht bereits im ersten Rechtszuge nach der Vorschrift des § 295 verloren hat.

A. Systematik, Zweck, Anwendungsbereich.

 

Rn 1

Im Berufungsverfahren ist eine Abänderung des angefochtenen Urteils auch wegen eines Verfahrensfehlers möglich (§ 513 I 1 1. Alt). Liegt die Befolgung der Verfahrensvorschrift nicht im öffentlichen Interesse, sondern dient lediglich dem Schutz einer Partei, kann diese darauf (konkludent) verzichten. Hat sie dies erstinstanzlich getan, kann sie sich auf den Verfahrensfehler nicht mehr berufen. § 534 perpetuiert die Wirkungen eines solchen Verzichts in die Berufungsinstanz, auch hier kann der Verfahrensfehler dann nicht mehr gerügt werden. § 534 ist damit Ausfluss des allgemeinen Rechtsgedankens, dass das Berufungsverfahren die Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens darstellt und die in 1. Instanz an Handlungen oder Unterlassungen der Parteien geknüpfte Wirkungen in 2. Instanz fortdauern (MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 1).

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren. Auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahrens findet sie gem § 64 VI ArbGG entsprechende Anwendung.

B. Erstinstanzliche Verfahrensfehler.

I. Verfahrensfehler.

 

Rn 3

Von § 534 erfasst werden alle unter § 295 fallenden (§ 295 Rn 3 ff) verzichtbaren Verfahrensvorschriften. Hierunter fallen alle den äußeren Prozessablauf betreffenden Normen, zB §§ 253, 159 f, 166, 227, 271, 274, 283, 311 ff, 355 ff, 377. Nicht verzichtbar sind Normen, die den Inhalt von Partei- oder Gerichtshandlungen betreffen, insb die vAw zu berücksichtigenden Prozessvoraussetzungen (dazu § 532), und Vorschriften, die die Öffentlichkeit der Verhandlung oder das rechtliche Gehör gewähren sollen. Unerheblich ist, ob die Verletzung der Norm durch das Gericht oder durch den Dritten erfolgte.

II. Verlust.

 

Rn 4

Verloren hat die Partei das Rügerecht, wenn sie hierauf ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln verzichtet hat. Ein Verzicht ist auch im Falle rügeloser Verhandlung anzunehmen, dh, wenn die Partei den Mangel in der nächsten mündlichen Verhandlung nicht gerügt hat, obgleich er ihr bekannt war oder bekannt sein musste (§ 295 Rn 12). Der (ausdrückliche oder stillschweigende) prozesstaktische Vorbehalt einer erstinstanzlich nicht erhobenen Rüge hindert den Rügeverlust für die 2. Instanz nicht. Darauf, dass das erstinstanzliche Gericht die Verletzung bereits festgestellt hat, kommt es nicht an. Praktisch führt § 534 damit dazu, dass die Berufung nur auf diejenigen verzichtbaren erstinstanzlichen Verfahrensverletzungen gestützt werden kann, die bereits erstinstanzlich gerügt wurden, die der Partei unverschuldet unbekannt geblieben sind oder die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung 1. Instanz begangen wurden.

C. Zweitinstanzliche Verfahrensfehler.

 

Rn 5

Nicht von § 534 erfasst wird der Verlust der Möglichkeit der Rüge einer Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Berufungsgericht. Dieser unterfällt §§ 525, 295. Wiederholt das Berufungsgericht einen bereits vom erstinstanzlichen Gericht gemachten Verfahrensfehler, steht der Rüge in 2. Instanz nicht entgegen, dass die Partei ihr erstinstanzliches Rügerecht bereits verloren hatte (Wieczorek/Schütze/Gerken Rz 3).

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